# taz.de -- Schwarze Migration nach Afrika: Rückkehr ins Unbekannte | |
> Ghana ruft Menschen in der Diaspora dazu auf, in das Land ihrer Wurzeln | |
> auszuwandern. Die in England geborene Jemima Nunoo hat den Schritt | |
> gewagt. | |
Bild: Elmina Castle aus dem 15. Jahrhundert, Erinnerung an die europäische Kol… | |
ACCRA taz | Dienstagvormittag in Accra. Auf dem parkähnlichen Gelände des | |
Du Bois Centre inmitten der ghanaischen Hauptstadt ist es anders als sonst | |
in der Metropole angenehm ruhig. Ein leichter Wind weht. Ein Gärtner | |
bewässert den kurz geschnittenen Rasen. Die Beete sind akkurat angelegt und | |
gepflegt. Herzstück des Geländes ist das in ein Museum umgewandelte | |
einstige Wohnhaus von [1][William Edward Burghardt Du Bois]. Sein | |
Teeservice ist ebenso ausgestellt wie sein großer brauner Schreibtisch und | |
Hunderte Bücher, die er im Jahr 1961 aus den USA und Europa nach Ghana | |
mitbrachte. | |
Der 1868 in Massachusetts geborene Panafrikanist erhielt 1895 als erster | |
Afroamerikaner einen wissenschaftlichen Doktorgrad an der berühmten | |
Harvard-Universität. W.E.B. Du Bois, wie er meist abgekürzt wird, hat sich | |
in seinen Schriften mit Rassismus, Kolonialismus und Demokratie | |
beschäftigt. Er gilt als einer der ersten Rückkehrer*innen aus der | |
Diaspora. Das war 1961. Heute ist Du Bois, der 1963 in Accra verstarb, | |
Vorbild für viele, die aus den USA oder Großbritannien zurück ins | |
„Mutterland“ Ghana ziehen wollen. | |
Traditionell gehören zu diesen „Rückkehrer*innen“ Menschen, die ihr | |
Rentenalter in der alten Heimat verbringen. Dem ghanaische Präsidenten | |
[2][Nana Akufo-Addo] reichte das nicht, er erklärte 2019 zum „Jahr der | |
Rückkehr“ – 400 Jahre nach Ankunft der ersten Sklav*innen in den heutigen | |
USA. Die Initiative hatte mehr Reisen ins Land zur Folge: Akufo-Addo sprach | |
anschließend von 200.000 zusätzlichen Urlauber*innen bei insgesamt mehr als | |
1,13 Millionen Gästen. | |
Zum Boom beigetragen haben Besuche von Stars wie Rapper T.I. und | |
Schauspieler Danny Glover. Entstanden ist daraus die Initiative „Nach der | |
Rückkehr“. Tourist*innen, deren Familien ursprünglich aus Westafrika | |
stammen, sollen dabei ebenso angesprochen werden wie jene, die sich | |
dauerhaft in Ghana niederlassen wollen. | |
## Schwarze in der Diaspora suchen Verbindung zum Kontinent | |
Naa Ajele Awula Akua Sharp, Programmleiterin im [3][Du Bois Centre], sitzt | |
auf der überdachten Terrasse des Verwaltungsgebäudes und bespricht sich mit | |
dem Museumsleiter. „Unsere Besucherzahl ist definitiv gestiegen. Vor allem | |
Schwarze in der Diaspora haben nach einer Verbindung zum Kontinent gesucht. | |
Für viele war das eine spirituelle Reise.“ Sie erinnert sich an viele | |
Gespräche, die sie während der Führungen durch das Museum geführt hat. „W… | |
sind gefragt worden, wie es uns in Ghana geht. Das hat mich berührt.“ | |
Einige Kontakte seien allerdings etwas anstrengend gewesen, etwa Fragen | |
danach, ob die Menschen in der Millionenstadt Accra in richtigen Häusern | |
lebten oder wie viele bettelnde Kinder es gebe. „Wenn man mit diesen | |
Vorstellungen kommt, kann der Alltag auch eine Art Kulturschock sein“, sagt | |
Naa Ajele Awula Akua Sharp. | |
Wie viele Menschen infolge der Initiative planen, langfristig nach Ghana | |
umzuziehen, ist nicht bekannt. Es existieren keine Agenturen, die im | |
Ausland gezielt Rückkehrwillige anwerben würden. Im November 2019 hat die | |
ghanaische Regierung 126 Afroamerikaner*innen und Einwohner*innen aus der | |
Karibik mit afrikanischen Wurzeln in den Präsidentenpalast „Jubilee-Haus“ | |
eingeladen, um ihnen die ghanaische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Es war | |
ein symbolischer Akt, der dennoch viel Aufmerksamkeit erhielt. Gefördert | |
wird die Ansiedlung in Ghana zudem durch das Recht für Menschen | |
afrikanischen Ursprungs, auf unbestimmte Zeit und ohne Visum dort zu leben. | |
Accra hat sich in den vergangenen Jahren zu einer modernen Metropole | |
gewandelt. Luxuriöse Apartmentblocks, teilweise mit Pool und Bar auf der | |
Dachterrasse, werden hochgezogen. Neu angelegte Wohnviertel verfügen über | |
breite Straßen und wirken geradezu amerikanisch. Caféhaus-Ketten eröffneten | |
in der ganzen Stadt Filialen und bieten Salate, Wraps und Baguettes für ein | |
schnelles Mittagessen an. Die Restaurantszene ist so vielfältig wie in | |
keiner anderen westafrikanischen Stadt – wenn man sich das Ausgehen denn | |
leisten kann. Für diejenigen, die das Großstadtleben in Europa und den USA | |
gewöhnt sind und nach Accra kommen, macht das die Eingewöhnung leichter. | |
## Jemima Nunoo: von Birningham nach Accra | |
Jemima Nunoo hat Zeit für ein Treffen und schlägt ein Café in West Legon | |
vor, das nur wenige Minuten von ihrem Haus entfernt liegt. Accra nennt sie | |
seit elf Jahren ihr Zuhause. Geboren wurde Nunoo in Manchester, wohin ihre | |
Eltern in den 1970er Jahren zum Studium gezogen waren. Ihr Vater lebt bis | |
heute in Großbritannien. Ihre Mutter ist erst vergangenes Jahr nach Ghana | |
zurückgezogen. | |
„Es war eine gute Kindheit in einer höflichen, vorwiegend weißen | |
Nachbarschaft“, erinnert sich Nunoo an die Zeit in Manchester, die aber | |
nicht ohne Stereotype ablief. „Ich wurde gefragt, ob es in Afrika Häuser | |
gibt und wir Elefanten im Garten haben; Dinge, über die man heute lachen | |
kann.“ Regelmäßige Besuche in der alten Heimat zählten zum Familienleben. | |
„Es war stets ein Teil von mir, und ich hatte nie eine negative Einstellung | |
dazu, die nicht nur Europäer*innen, sondern auch mitunter Menschen | |
afrikanischen Ursprungs in Europa haben“, sagt Nunoo. | |
Nach der Schule studierte sie in Birmingham und London Biochemie sowie | |
internationale Beziehungen. Ihren ersten Einjahresvertrag als Dozentin an | |
der Universität Nottingham hätte sie verlängern können. „Doch ich habe mi… | |
in wie in einem Hamsterrad gefühlt. Ich lief und lief und lief, sah aber | |
keine Ergebnisse und hatte nicht den Eindruck, dass mein Einsatz mich | |
voranbringt. Ich war müde.“ Beim Erzählen macht sie eine unmerkliche Pause. | |
„Letztendlich gab es nur zwei Möglichkeiten: Ich arbeite weiter in England, | |
habe ein komfortables Leben, aber verändere nichts. Die meisten schwarzen | |
Akademiker*innen im Vereinigten Königreich spüren diese Grenze.“ Die andere | |
Option hieß Afrika, Ghana, „meine Heimat“. | |
Anders als andere Staaten wirbt Ghana nicht explizit Rückkehrwillige aus | |
bestimmten Berufsgruppen an. Das geschieht mitunter nur, wenn die | |
Abwanderung von Fachkräften, etwa im medizinischen Bereich, zu groß wird. | |
„Jeder, der kommen möchte“, sei willkommen, heißt es vonseiten der | |
regierenden Neuen Patriotischen Partei. So kommt nicht nur Wissen und | |
Berufserfahrung in das knapp 30 Millionen Einwohner*innen zählende Land, | |
sondern auch Kapital. Statistiken fehlen, doch tatsächlich sind es durchaus | |
Gutverdiener*innen, die nach Afrika „zurückkehren“ oder laut über einen | |
Umzug nachdenken. | |
Jemima Nunoo kann sich noch genau an die Reaktionen erinnern, als sich | |
unter ihren Bekannten herumsprach, dass sie fortan in Ghana leben würde. | |
„Man hat gedacht, ich sei verrückt. Meiner Mutter sagte man: Was macht | |
deine hervorragend ausgebildete Tochter dort? Sie wird sicherlich nicht | |
lange bleiben.“ Selbst die eigene Mutter bestand auf der Buchung eines | |
Rückflugtickets nach England. Aus dem Rückflug ist nichts geworden. Heute | |
arbeitet Nunoo als Dozentin am Ghana Institute of Management and Public | |
Administration. | |
## Ghanas Vorteile: politisch und wirtschaftlich stabil | |
Ghana gilt seit Jahrzehnten als politisch stabil und als eine gefestigte | |
Demokratie. Es wird international als Land mittleren Einkommens eingestuft, | |
und was die Anfälligkeit für Korruption angeht, listet Transparency | |
International die einstige britische Kolonie auf Platz 80 von 180. Diese | |
Faktoren sind weitere Entscheidungshelfer für einen Umzug. Andere Staaten | |
wie Nigeria, das seit Jahren um Immigrant*innen – etwa medizinisches | |
Personal – wirbt, können da nicht mithalten. | |
Trotzdem sei der Neubeginn anfangs nicht immer leicht gewesen, berichtet | |
Jemima Nunoo. In den Anfangsjahren sei es zu häufigen Stromausfällen | |
gekommen. Der ewig laut brummende Generator, der dichte Verkehr, | |
Fußgänger*innen und Mopedfahrer*innen, die sich an keine Regel halten, | |
zeitaufwändige Besuche bei der Bank, die sich in England telefonisch oder | |
per Mail regeln ließen: Nunoos Liste der Anpassungsprobleme ist lang. Bei | |
der Eingewöhnung habe ihr damals ihre Familie geholfen. So viel Glück hat | |
jedoch nicht jeder. | |
Um die Einwanderung für Menschen aus der Diaspora wie für die Regierung | |
gleichermaßen erfolgreich zu machen, braucht es Strukturen. „Ein | |
Unternehmen, das dich an die Hand nimmt und bei der Wohnungssuche | |
unterstützt, Kontakte zu Firmen hat, die gerne Rückkehrer*innen | |
beschäftigen wollen, sind ebenso wichtig wie Informationen über gute | |
Investitionsmöglichkeiten“, sagt Nunoo. | |
Jemima Nunoo ist viel in Kontakt mit Ghanaer*innen, die zurück ins | |
„Mutterland“ kehren wollen. Nunoo gibt ihnen Tipps und Erfahrungen weiter, | |
bleibt aber auch realistisch. „Kommen hundert Personen zurück, bleiben | |
vielleicht sechzig dauerhaft hier. Längst nicht jede Rückkehr ist | |
erfolgreich.“ Sie selbst meint, trotz der schwierigen Eingewöhnung die | |
richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nunoo lächelt: „Für jeden | |
negativen Aspekt bekomme ich zehn wirklich gute Dinge zurück. Ghana gibt | |
mir Optionen, die ich im Vereinigten Königreich nie gehabt hätte.“ Was sie | |
aber vor allem gewonnen hat, seien Spontanität und Freiheit. „Die Qualität | |
meines Lebens hat sich sehr verbessert. In England ist doch jede Minute | |
durchgeplant.“ | |
13 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.naacp.org/naacp-history-w-e-b-dubois/ | |
[2] /Praesidentenwahl-in-Ghana/!5730578 | |
[3] http://webduboiscentreaccra.ghana-net.com/index.html | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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