# taz.de -- Coronakrise im sächsischen Zittau: Eine Stadt verstummt | |
> Im Südosten Sachsens eskaliert die Coronalage. Zittaus Krematorium ist | |
> überlastet. Behörden machen Überstunden, um Totenscheine auszustellen. | |
Bild: An der Grenze: ein Leichenwagen vor dem Zittauer Krankenhaus | |
DRESDEN taz | Die Pandemiesituation im Südosten von Sachsen ist | |
alarmierend. In der Stadt Zittau müssen Opfer des [1][Coronavirus] derzeit | |
in einer Halle des Hochwasserschutzes gelagert werden. Die Zahl der | |
Verstorbenen übersteige die Kapazität des Krematoriums, teilt die | |
Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung mit – „trotz optimierter Abläufe | |
und konstant arbeitender Technik“. | |
Mit 115 bis zum Dienstag erfassten Toten ist die monatliche Sterblichkeit | |
gegenüber den Vorjahren bereits auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Dabei | |
werden allerdings auch im Klinikum behandelte Nichtzittauer erfasst. | |
Die amtsärztliche Leichenschau und die Ausstellung von Totenscheinen können | |
kaum noch folgen. Wegen des „dringenden Bedarfs“ wird das Standesamt auch | |
Heiligabend und am zweiten Weihnachtstag öffnen – „und ausschließlich | |
Sterbefälle beurkunden“. | |
Am Limit fühlt sich auch die Innung der Bestatter in Sachsen insgesamt. | |
„Das größte Problem sind nun die Feiertage, davor haben alle Angst“, sagte | |
Innungsobermeister Tobias Wenzel im erzgebirgischen Marienberg der dpa. | |
Seiner Meinung nach hätten die Pflegeheime besser geschützt werden müssen, | |
aus denen die meisten Verstorbenen kommen. | |
## Warum ausgerechnet Zittau? | |
Die extreme Lage in Zittau war lange nicht abzusehen. Die | |
29.000-Einwohner-Stadt zählte keineswegs zu den sächsischen Hotspots. Im | |
Dezember aber stieg die Infektionskurve steil an. Der 7-Tage-Inzidenzwert | |
überschritt inzwischen die Marke von 800. | |
Mitte des Monats sorgte eine Aussage des Ärztlichen Direktors des | |
Oberlausitzer-Bergland-Klinikums Mathias Mengel für Aufregung. Man habe | |
schon die sogenannte Triage anwenden müssen, also eine Auswahl zwischen | |
mehreren Hilfsbedürftigen aufgrund knapper Ressourcen. „Wir waren in den | |
vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden | |
mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, sagte der Direktor später | |
dem Nachrichtenportal T-Online. | |
Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping schwächte diese Äußerung als | |
„Warnruf“ ab, mit dem Mengel auf die drohende Überlastung aufmerksam machen | |
wollte. Oberbürgermeister Thomas Zenker rief um diese Zeit aber bereits um | |
Hilfe des Landes und anderer Klinikstandorte bei der Patientenversorgung. | |
„Es ist klar erkennbar, dass wir in dieser Lage aus eigener Kraft nicht | |
weiterkommen!“ Zenker ging auch mit [2][Coronaleugnern] hart ins Gericht, | |
darunter auch einige Stadt- und Kreisräte. Es sei „unsäglich“ gewesen, was | |
er sich bei der Versammlung eines Pegida-Ablegers habe anhören müssen. | |
Auch Pfarrer Ansgar Schmidt entrüstet sich darüber, dass | |
Verschwörungstheoretiker seine Johanniskirche „als Kulisse benutzt haben“. | |
Er beobachtet Verunsicherung und Angst in der Stadt. | |
## Angst und Vorsicht | |
Menschen machten die Erfahrung, „dass Tod und Krankheit näher gerückt | |
sind“. Nach einem Brief an alle Haushalte von Gemeindemitgliedern werde | |
insbesondere die angebotene telefonische Beratung viel genutzt. Menschen | |
schütteten ihr Herz aus. Von einer Panik könne man aber nicht sprechen, | |
Menschen seien nur vorsichtiger geworden. | |
Vom „Verstummen in einer grauen Stadt“ spricht auch Schauspielintendantin | |
Dorotty Szalma vom Gerhart-Hauptmann-Theater. „Niemand ist mehr laut, auch | |
die Verschwörungstheoretiker nicht mehr.“ Noch überdeckten die | |
Weihnachtsvorbereitungen die resignierte Stimmung, aber Angst habe sie vor | |
der Zeit nach dem Fest und seinem Familientrubel. Den ihr gut bekannten | |
Oberbürgermeister Thomas Zenker hat Szalma als „verzweifelt“ erlebt, ebenso | |
den Landrat des Kreises Görlitz Bernd Lange. Als mögliche Ursache für den | |
katastrophalen Anstieg der Infektionszahlen kann sie nur den hohen | |
Altersdurchschnitt der Einwohnerschaft vermuten. | |
Pfarrer Ansgar Schmidt hat bislang noch sechs Gottesdienste am | |
Weihnachtsfest geplant, jeweils auf 120 schriftlich angemeldete Besucher | |
limitiert. Doch auch die zögen ihre Anmeldung zurück. Angst und Vorsicht | |
nehmen zu. | |
23 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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