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# taz.de -- Anzeigenblatt als rechtes Medium: Ganz unauffällig
> Das Anzeigenblatt „Neues Gera“ landet freitags in den Briefkästen der
> Stadt. Ein Beispiel dafür, wie rechte Agitation in bürgerlicher Tarnung
> geht.
Bild: Gera, Thüringen, im November 2020: Hier wird mit einem unscheinbaren Bla…
Das Neue Gera sieht auf den ersten Blick [1][wie alle lokalen
Anzeigenblätter] aus. Etwas antiquierter wirkt der große Titel in
verschnörkelter Fraktur, darunter gelb unterlegt „Mit wichtigen
Bekanntmachungen aus der Stadt Gera“.
Seit Juli 1993 liegen die 12, manchmal 16 Seiten freitags gratis in den
Briefkästen der noch etwa 48.000 Haushalte in der Stadt. Die Druckauflage
beträgt 56.000 Exemplare. Das Neue Gera ist auch gebührenfrei als PDF im
Netz abrufbar, während die Ostthüringer Zeitung mit ihrem
Qualitätsjournalismus stetig teurer wird und an Auflage verliert.
In der Vorweihnachtsausgabe vom 18. Dezember 2020 gibt es digitale
Eintrittskarten für Christvespern, Spenden für Kinderprojekte,
Coronatesthinweise. Auf Seite 10 steht aber plötzlich in Blau und Rot
„Neues aus dem Landtag von Dieter Laudenbach“. Der heutige
AfD-Landtagsabgeordnete unterlag [2][in der Stichwahl zum Oberbürgermeister
2018 dem heutigen Amtsinhaber Julian Vonarb].
Laudenbach lamentiert in seinem Beitrag über wirtschaftliche Coronafolgen,
ein gespaltenes Land, die Sehnsucht nach Glaube, Halt und nach bleibenden
Werten jenseits des Konsums: Der verordnete „Zwangsstopp“ könne sogar einen
Sinn haben, wenn 83 Millionen Bürger sich nun über den Sinn ihres Lebens
klarwerden würden. Auf der gleichen Seite findet man eine Karikatur mit der
Sprechblase: „Man muss auch an die Maske glauben, sonst wirkt sie nicht.“
## Verleger steht für ein Interview nicht zur Verfügung
Auf zwei werbefreien Seiten geht es nach Laudenbachs Vorweihnachtspredigt
in diesem Sinn weiter. Warnungen eines AfD-Arztes vor Impfungen und der
„Propaganda“ von Thüringens Sozialministerin Heike Werner, Alarm wegen des
„erschreckenden Kriminalitätsanstiegs“ aufgrund der „Kuscheljustiz“. D…
Rubrik „Aus fremder Feder“ wirkt in diesem Kontext überhaupt nicht fremd.
Mitleid mit dem angeblich um seinen Wahlsieg betrogenen Donald Trump,
Attacken gegen Multikulti, Plädoyers für den totalen Markt und die totale
Freiheit.
Autorennamen wie Henryk M. Broder, Vera Lengsfeld,
Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, Günter Scholdt aus dem
rechtsintellektuellen Tumult-Magazin oder die Geraer AfD-Funktionärin
Evelyn Gropp werden in der Regel nicht eingeordnet. Im Landtagswahlkampf
2019 lag ungeniert Björn Höckes „Blauer Mut“ bei, die Zeitung der Thürin…
AfD-Landtagsfraktion.
Harald Frank, der Verleger des Neuen Gera, ist Vorsitzender [3][der
zwölfköpfigen AfD-Fraktion, der stärksten im Geraer Stadtrat]. Wie der
promovierte Chemiker in dieses Zeitungsgeschäft kam, lässt er sich nicht
fragen. „Ich stehe für ein Interview nicht zur Verfügung“, teilt er der t…
mit. Eine Vita von ihm ist nicht auffindbar.
Etwas durchsichtiger erscheint sein politischer Werdegang. Im Landesverband
der Familienunternehmer engagiert, zog es ihn zunächst zur FDP, bevor er in
Gera 2014 für die neue Liste „Bürgerschaft“ kandidierte. Er wolle nie
wieder einer überregionalen Partei beitreten, erklärte er damals. Was er
aber 2018 doch tat und zur AfD wechselte. Die konnte den „langjährigen
erfahrenen kommunalpolitischen Akteur“ gut brauchen, wie ihn sein
Kontrahent von der Linken, Andreas Schubert, bezeichnet.
## Sogar linken Kreisen sympathisch
Schubert selbst durfte am 11. Dezember im Neuen Gera gegen die von der
„Blockadehaltung der nationalkonservativen Stadtratsmehrheit“, also unter
Einschluss der CDU und AfD verhinderte Beschaffung von 12 neuen
Straßenbahnen wettern. Am 4. Dezember ist in dem Anzeigenblatt dann von
einem „schwarz-braunen Putsch“ die Rede. Gemeint sind wieder CDU und AfD,
die den Haushalt gegen den Willen von Linken, SPD und Grünen
durchpeitschten.
„Feigenblätter“ nennt das das Bündnis Gera Nazifrei, das zu den Inhalten
des Neuen Gera recherchiert. Solche Beiträge sind geschickte Tarnung, sie
sollen der Dominanz von AfD und rechter Propaganda das Alibi der Pluralität
gegenüberstellen.
Frank scheint ein Meister dieser Tarnung zu sein. Sogar in linken Kreisen
wird er als ein kulant und sympathisch wirkender Mensch beschrieben. Er
fördert Jugendarbeit und Schulen, die Wohnungsbaugenossenschaft, das Geraer
Höhlerfest in der Altstadt. Er unterhält beste Verbindungen zur Industrie-
und Handelskammer, wurde 2013 mit dem Mittelstandspreis „Unternehmer des
Jahres“ geehrt. „Frank ist ein Paradebeispiel, wie eine als integer
bekannte Person diesen Einfluss und seine Macht als Verleger nutzt, um eine
politische Strömung zu unterstützen“, sagt ein Aktiver des
Nazifrei-Bündnisses, der anonym bleiben will.
Da kann er sich leisten, [4][im Flüchtlingsjahr 2015] im eigenen Neuen Gera
zu schreiben: „Wer Asylpolitik (…) wie Opium über die Bürger gießt,
versündigt sich am deutschen Volk. Wer dieses Volk abschaffen will, der
soll es deutlich sagen.“ Ein Jahr später wähnte sich Frank als Redner einer
AfD-Kundgebung mitten im Kommunismus, lehnte Steuern als „Enteignung“ ab,
sah die AfD als Opfer von „linken Provokateuren und Schlägern“.
## Vom Zentrum für Rechtsextremismusforschung geprüft
Als besondere Form der Mimikry darf Franks langjähriger Coup gelten, alle
vier Wochen das Amtsblatt der Stadt Gera beilegen zu dürfen. 2018 beendete
der neue Oberbürgermeister dies, nach Angaben der Pressestelle des
Rathauses aus Kostengründen. Die Stadt gibt seither ihr Amtsblatt selbst
heraus.
Doch der Stadtrat setzte durch, dass die Bekanntmachungen „wieder an alle
Haushalte verteilt werden sollen“. Derzeit werden die
Ausschreibungsunterlagen für das Amtsblatt formuliert. Frank soll einer von
fünf Bewerbern sein, gewiss nicht der aussichtsloseste.
„Schlimm ist, dass eine Mehrheit der Geraer meint, das Neue Gera mit seiner
unterschwelligen Ideologie sei das Amtsblatt der Stadt“, sagt eine Jenaer
Politikwissenschaftlerin, die ebenfalls anonym bleiben will.
Am Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und
gesellschaftliche Integration der Uni Jena wird inzwischen Material des
Anzeigenblattes geprüft. Das Geraer Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus
hat darum gebeten, weil es eine Beschwerde beim Deutschen Presserat erwägt.
An manchen Briefkästen Geras sieht man inzwischen schon Aufkleber „Kein
Neues Gera!“.
5 Jan 2021
## LINKS
[1] /Presse-in-Corona-Zeiten/!5717449
[2] /Oberbuergermeisterwahl-in-Gera/!5502159
[3] /AfD-Vorsitz-im-Stadtrat-Gera/!5717320
[4] /Berichterstattung-ueber-Fluechtlingskrise/!5429014
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt AfD
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