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# taz.de -- Marketing für Erneuerbare: Kann Strom vegan sein?
> Ein Berliner Unternehmen wirbt für einen Energietarif gegen Tierleid, bei
> dem es nur Solarstrom verkauft. Doch einige Fragen bleiben offen.
Bild: Was wohl die Vögel zum Veganstrom sagen würden?
Berlin | taz | Eine blutverschmierte Steckdose. Auch Ökostrom töte, liest
man darunter. Der Berliner [1][Stromanbieter Greenstone] spart nicht an
dramatischen Bildern, um seinen Stromtarif „Veganstrom“ zu illustrieren.
Das Blutvergießen steht freilich für die Konkurrenzfirmen auf dem
(Öko-)Strommarkt.
Für das eigene Produkt ist eine Steckdose abgebildet, aus der Blumen
wachsen. Der Slogan hier: „Mit Veganstrom gegen Tierleid“. Dass Greenstone
Energy auf den markigen Stil der Tierrechtsorganisation Peta zurückgreift,
ist dabei kein Zufall, denn die ist Kooperationspartner.
Es ist ein außergewöhnliches Angebot, denn weder Strom noch Kraftwerke
enthalten eigentlich tierische Produkte. Was meint das Unternehmen also
dann? Vorweg: Die Blümchen auf dem Werbebild leiten etwas in die Irre. Denn
Bioenergie ist in dem Strommix der besagten Marke explizit ausgeschlossen.
Wie übrigens fast alles andere auch. Allein Photovoltaik, Geothermie und
Gezeitenkraft betrachtet der Anbieter als vegan.
Seine Beweggründe erläutert er präzise. Endliche Energiequellen wie
Braunkohle und Steinkohle, Erdöl und Erdgas sowie Atomkraft seien „ein
absolutes No-Go“. Auch Windenergieanlagen verbanne man, weil daran Vögel
und Fledermäuse ums Leben kämen. In den Turbinen von Laufwasserkraftwerken
könnten Fische tödlich verletzt werden, Speicherwasserkraftwerke wiederum
überfluteten Landschaften auf Kosten wertvoller Lebensräume.
## Tiere leiden auch unter Solarstrom
Und dann die Biomasse. Die ist zwar oft pflanzlicher Natur, aber in der
Praxis ist die Trennung zwischen tierisch und pflanzlich schwer – also raus
damit aus dem „veganen“ Strommix. Bei Biomasse, so ist bei Greenstone
Energy zu lesen, handle es sich „häufig um Gülle oder andere Reste aus der
Fleischindustrie, die enormes Tierleid verursacht“.
Damit bleiben Fragen. Erstens leiden streng genommen auch unter Solarstrom
Tiere, wenn man die gesamte Produktionskette betrachtet – denn die
Gewinnung nötiger Rohstoffe in Tagebauen zerstört Lebensraum. Aber davon
abgesehen: Kann es funktionieren, allein mit Sonne und den Nischenenergien
Geothermie und Gezeiten Stromkunden zu versorgen?
Die beiden letzteren Energiequellen liefern derzeit schließlich nur
marginale Strommengen. Die Stromerzeugung aus Geothermie zum Beispiel
erreicht aktuell in Deutschland trotz vielfältiger Projekte – wovon einige
zum Teil grandios scheiterten – lediglich einen Anteil von 0,03 Prozent am
Strommix.
Auch Gezeitenkraftwerke gibt es in Europa kaum. In der Bretagne läuft seit
1967 der Klassiker, ein Kraftwerk an der Mündung des Flusses Rance. Darüber
hinaus gibt es nur ein paar neuere und kleinere Projekte, die
Gezeitenströmungen nutzen. Diese erzeugten 2019 in ganz Europa gerade 49
Millionen Kilowattstunden – das schafft auch eine einzige
Offshore-Windturbine neuester Bauart.
Eigene Anlagen besitzt Greenstone Energy ohnehin nicht, sondern kauft
Stromerzeugern die nötigen Strommengen ab. Und zwar bislang, so räumt
Firmengründer und -chef Erik Oldekop auf Anfrage ein, ausschließlich
Solarstrom. Die beiden anderen Quellen seien als Optionen zu verstehen.
## Wie gelingt Versorgung auch nachts?
Doch wie gelingt einem Ökostromer, der nur Solarstrom liefert, die
Versorgung auch nachts, wenn die Sonne nicht scheint? Es sind die
Regularien des Strommarktes, die das ermöglichen. Denn Versorger können von
Ökostromerzeugern sogenannte Herkunftsnachweise (HKN) erwerben. Mit diesen
können sie ihren Strom dann entsprechend grün deklarieren.
Greenstone Energy betont, man erwerbe für die volle Anzahl der verkauften
Kilowattstunden HKN von Solarstromanlagen in Südeuropa und könne diese dann
auch für Stromlieferungen zur Nachtzeit anrechnen. Möglich ist das, weil
der Strommarkt immer zwei Ebenen hat: Die physische und die kaufmännische.
Und eigentlich sogar noch eine dritte, die formale. Damit kann sich bei
Greenstone Energy der „vegane“ Mix in der gesetzlich vorgeschriebenen
Strommix-Deklaration nicht einmal widerspiegeln. Denn jeder Versorger
bekommt zwingend die nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG)
geförderten Ökostrommengen anteilsmäßig zugewiesen. Folglich muss auch das
Berliner Unternehmen in seinem Mix aktuell 55,6 Prozent EEG-Strom ausweisen
– also den ungeliebten Strom aus Wind, Wasserkraft und Biomasse.
## Spezielle Strommarke für spezielle Gruppen
Hinter dem „veganen“ Strom steckt die Greenstone Energy GmbH, ein
IT-Unternehmen mit Sitz im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Es beschreibt
seine Tätigkeit wie folgt: „Entwicklung, Implementierung, Produktion und
Vertrieb von Software sowie Hardware für die Energiewirtschaft“, außerdem
deren Anwendung „in allen Wertschöpfungsstufen der Energiewirtschaft“. Das
Unternehmen betont, es verfüge über eine „revolutionäre, eigenentwickelte
Softwareplattform, auf der dezentrale Erzeugung sowie dezentraler Verbrauch
gebündelt wird“.
Firmenchef Oldekop sieht im deutschen Markt nicht einfach 40 Millionen
Haushalte, sondern eine Vielzahl spezifischer Gruppen, die mit einer
jeweils speziellen Strommarke bedient werden könnten. Der Physiker und
Wirtschaftsingenieur setzt daher im Endkundengeschäft mit Strom auf eine
Mehrmarkenstrategie, die ihm bisher „eine vierstellige Kundenzahl“ beschert
habe. Neben seinem Angebot für Veganer gibt – beziehungsweise gab – es aus
seinem Hause bereits weitere Strommarken: eine speziell für Migranten, eine
für Auswärtige, die zeitweise in Deutschland arbeiten, hier erfolgt die
gesamte Kommunikation auf Englisch.
Die spezifische Ansprache scharf definierter Zielgruppen erlaube es, die
Kosten der Kundenakquise deutlich zu senken, betont Oldekop. Das
funktioniere vor allem dann, wenn Kooperationspartner bei ihrer Klientel
für das Angebot werben – wie beim „Veganstrom“ eben Peta. Die durch
drastische Kampagnen bekannte Organisation schreibt: „Stromtarif rettet
zahlreiche Wildtiere vor qualvollem Tod“.
4 Jan 2021
## LINKS
[1] https://www.veganstrom.com/greenstone-energy/
## AUTOREN
Bernward Janzing
## TAGS
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