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# taz.de -- Seenotretter über seine politische Agenda: „Sichere Fluchtwege b…
> Der Seenotretter Julian Pahlke will für die Grünen in den Bundestag. Ein
> Gespräch über Flucht, Schwarz-Grün und seine roten Linien in der Politik.
Bild: Im Mittelmeer nimmt das Drama weiter seinen Lauf: Rettung Libyscher Flüc…
taz: Herr Pahlke, Sie waren als Studierender im Vorstand des Vereins Jugend
Rettet und sind bis heute im Bereich der Seenotrettung im Mittelmeer aktiv.
Jetzt wollen Sie für die Grünen in den Bundestag. Warum?
Julian Pahlke: Ich war selber mehrfach auf dem Mittelmeer und habe dort
gesehen, [1][was Politik anrichten] kann. Mit der zivilen Seenotrettung
versuchen wir die Lücke zu schließen, die Regierungen dort hinterlassen.
Wir bergen Leichen, retten – und stehen am Ende doch vor den geschlossen
Häfen. In Europa landen gleichzeitig Tausende in Lagern wie Moria. Dabei
haben sich allein in Deutschland über 200 deutsche Städte zu einem
‚Sicheren Hafen‘ erklärt. Doch der Innenminister [2][Horst Seehofer
verbietet ihnen, Geflüchtete direkt aufzunehmen]. Wir haben als
AktivistInnen viel erreicht, aber die Gesetze werden im Bundestag gemacht.
Von dort aus will ich die Situation von Menschen auf der Flucht verbessern.
Und wie?
Wir brauchen im Bundestag mehr Verteidiger*innen der Menschenrechte, die im
Parlament die Perspektive von Bewegungen einbringen. Wir haben als
Seenotretter*innen mit hunderttausenden Menschen demonstriert und mit der
„Seebrücke“ dafür gesorgt, dass 200 Städte sich als „Sichere Häfen“
positionieren. Das ist ein immenser Erfolg für unsere Arbeit. Weitere
tausende Freiwillige haben immer wieder dafür gesorgt, dass unsere Schiffe
auf dem Mittelmeer unterwegs sind, weil sie sich mit der Situation dort
nicht abfinden wollen. Mit meiner Kandidatur will ich eine Brücke von der
Straße ins Parlament bauen.
Die Grünen haben im Bundestag und im EU-Parlament doch schon eine Reihe von
Leuten, die Themen wie Flucht und Seenotrettung sehr engagiert bearbeiten.
Es stimmt, dass es in der grünen Fraktion viele wahnsinnig engagierte
Menschen gibt. Aber meine Perspektive als Seenotretter ist im Bundestag
neu. Ich habe bei meiner Arbeit für Sea Eye und Jugend Rettet immer wieder
die Erfahrung gemacht, dass es entscheidend für die politische Arbeit ist,
die Situation der Menschen an den Außengrenzen zu kennen. Ich will diese
Perspektive jetzt ins Parlament einbringen. Durch die Klimakrise sind
Flucht und Migration zentrale Themen meiner Generation.
Bei den Grünen klafft oft eine teils enorme Lücke zwischen ihren Positionen
in der Opposition und dem Handeln als Regierung. Wenn nächstes Jahr eine
Schwarz-Grüne Regierung an der Kollaboration mit der libyschen Küstenwache
festhalten würde – was würden Sie tun?
Seit 15 Jahren haben die Grünen nicht mehr im Bund regiert. Da ist die
Lücke zwischen Regierungshandeln und Opposition vor allem eine zeitliche.
Jetzt zum zweiten Teil der Frage: Ich trete für die kommunale Aufnahme
flüchtender Menschen in Deutschland an. Aber natürlich wird es auch in der
Regierungsarbeit Situationen geben, mit denen ich nicht einverstanden
bin...
Zum Beispiel?
Abschiebungen, oder das Zurückbringen von Geretteten nach Libyen. Das ist
natürlich immer auch eine Sache von Zuständigkeit in der EU. Man kann da
nicht über jeden Politikbereich bestimmen.
In Österreich kann man sehen wohin das führt: In der schwarz-grünen
Regierungskoalition bestimmt die hart konservative ÖVP die Innenpolitik
praktisch allein.
Die Koalition in Österreich ist nicht mit der Situation hier zu
vergleichen. Da ging es auch darum, mit der FPÖ bekennende Faschisten aus
der Regierung zu werfen und zu ersetzen. Das Modell ist allerdings
gescheitert. Für mich steht fest: Man darf das eine nicht für das andere
verkaufen.
Was heißt das für Deutschland?
Wir dürfen zum Beispiel die Innenpolitik und das Klima nicht gegeneinander
ausspielen. Ich würde mir etwas anderes wünschen als Schwarz-Grün. Aber
sollte es dazu kommen und würden dann bestimmte Bereiche in einer
schwarz-grünen Koalition ausgeklammert werden, das wäre fatal.
In Baden-Württemberg sind die Grünen die stärkste Partei und da wird
abgeschoben, dass es kracht.
Die Parteien sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Die CDU
etwa vertritt in Schleswig-Holstein eine ganz andere Linie als in Sachsen.
Das ist bei den Grünen nicht anders. Und ich kandidiere schließlich nicht
für den baden-württembergischen Landtag, sondern für den Bundestag.
Gäbe es für Sie rote Linien?
Ich bin gegen weitere Asylrechtsverschärfungen, wir brauchen gerade das
Gegenteil. Ein starres und unmenschliches Grenzregime ist nicht der
richtige Weg. Wir müssen Menschen sichere Fluchtwege bieten und sie nicht
auf lebensgefährliche Fluchtrouten zwingen.
Sie sind nicht der einzige aus einer Generation junger Aktivist_innen, die
in den Bundestag wollen. Auch aus der Klimabewegung wird es Kandidaturen
geben – teils bei den Grünen, teils wohl mit eigenen Parteien. Warum sind
sie da nicht dabei?
Ich fühle mich bei den Grünen gut aufgehoben. Mitzugestalten ist da
gewollt. Wenn neu gegründete Parteien an einer 5-Prozent-Hürde scheitern,
sind das Stimmen, die wir eigentlich für linke Mehrheiten im Bundestag gut
gebrauchen könnten. Viele „Sichere Häfen“ sind auf Initiative Grüner
Fraktionen in den Kommunen entstanden.
Die Seenotretter_innen sind Ziel von Hass und Hetze der Rechten. 2018
schrieb die AfD-Bundestagsfraktion „Schlepper sind Verbrecher – die AfD
stellt sie alle vor Gericht“ und zeigte unter anderem Sie persönlich an.
Wie können sich solche Angriffe auf die Arbeit als Abgeordneter auswirken?
Ja, ich habe in der Vergangenheit einiges abgekriegt. 2018 hat die
komplette AfD-Bundestagsfraktion mich angezeigt. Das Verfahren ist
eingestellt worden. Und die AfD hat damit den direkten Beweis erbracht,
dass Seenotrettung eben legal und kein Fall für Gerichte ist. Der Hass ist
aber immens und wird vom politischen Arm des Rechtsterrorismus nahezu
täglich gefördert. Das zeigt, wie wichtig ein demokratisches Gegengewicht
im Parlament ist. Damals haben mich Grüne wie Hans-Christian Ströbele
unterstützt und durch diese Zeit begleitet.
Sie engagieren sich heute für die Seenotrettungs-NGO Sea Eye. Kann man da
parallel Wahlkampf machen?
Ich habe mich in den letzten Monaten immer weiter zurück genommen und trete
nicht mehr so oft für Sea Eye auf wie in der Vergangenheit. Sea Eye ist
keine Partei, der Verein soll weiter agieren und durch meine Entscheidung
nicht beeinflusst werden.
Hat man es als Quereinsteiger aus der Bewegung in der Partei leichter?
Die Partei ist basisdemokratisch. Ich habe da keine Vorteile gegenüber
anderen, die antreten. Ich wurde in der Partei sehr offen aufgenommen.
Meine Erwartung von verkrusteten Strukturen und Hierarchien hat sich
überhaupt nicht bewahrheitet. Mir hat das von Anfang an großen Spaß
gemacht. Es gibt eine große Offenheit in der Partei, Menschen aus den
Bewegungen aufzunehmen. Ich weiß das sehr zu schätzen.
5 Dec 2020
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## AUTOREN
Christian Jakob
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