| # taz.de -- Die Wahrheit: Frohlockdown! | |
| > Die wahre Weihnachtsgeschichte anno domini 2020 nach Lukas 2, 1–20. | |
| > Aktueller denn je! Jetzt auch mit dem großen und hohen C.! | |
| 1 Und es begab sich, dass sich nichts begab. Es geschah aber, dass nichts | |
| geschah. Obwohl nicht überhaupt nichts, eher fast nichts. Also, nahezu | |
| nichts. Klar, Kaiser Augustus hatte den Befehl erlassen, den ganzen | |
| Erdkreis in Wartelisten für die Apotheke einzutragen, und die Bundesliga | |
| fand immer noch statt, aber sonst geschah eher: wenig. Fast gar nichts. | |
| Also quasi überhaupt nichts. | |
| 2 Trotzdem: Es war Weihnachten. Frohlockdown, Anno Domini 2020. Und die | |
| Darts-WM, natürlich. Und Weihnachten verlangte nach einer Geschichte, und | |
| sehet, hier soll sie kommen über euch und die Ihrigen. Und diese | |
| Aufzeichnung der Geschichte des heiligen Festes, die auch die erste war, | |
| jedenfalls an dieser Stelle, denn immer noch war Assad Statthalter in | |
| Syrien. Aber das tut nicht so viel zur Sache. Denn überall, wo es noch | |
| ging, ging jeder in ihre oder seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. | |
| Also, noch vor dem Frohlockdown. | |
| 3 Außer Josef, der war wegen Angst vor der Quarantäne mitsamt seiner | |
| Verlobten Maria gleich ganz zu Hause geblieben. Stay home, stay rebel. Nur, | |
| dass die beiden eben in bescheidenen Verhältnissen lebten. Und sehr | |
| romantisch, mit Tieren und Stroh und so. „Die schönste Zeit meines Lebens | |
| fand im Lockdown statt“, dachte Josef noch am Vorabend der Geburt, und in | |
| der Nacht träumte er von den entblößten Brüsten seiner Verlobten; | |
| allerdings träumte er auch von Gott, derdiedas ihm vermittelte, dass nicht | |
| er der Vater des kommenden Kindes war, sondern eben Ersiees, also Gott | |
| höchstüberpersönlich. | |
| 4 „Wie er mir vor einem Jahr sagte, ‚in einem Jahr werde ich dich | |
| geschwängert haben!‘, und ich so voll lachen musste“, sagte Maria am | |
| nächsten Morgen oder an einem anderen Tag, entweder zu ihm oder ihm, also | |
| zu Josef oder Gott, einer der beiden Liebhaber wird es schon gewesen sein. | |
| Beide hatten sich die Chance auf Vaterschaft einfach nicht nehmen lassen | |
| wollen. Übrigens die einzige Stelle, in der Maria Text hat, da vergleiche | |
| man mal die Originale, da hat Maria absolut keinen Text. | |
| 5 Aber ja. So fing sie also an, die Weihnachtsgeschichte. Und es geschah | |
| also, dass sie dort waren, da, wo sie waren, und da erfüllten sich die | |
| Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen | |
| – was irgendwie ja ein zweites Kind suggeriert, doch dazu schweigen die | |
| Quellen. Kann es denn einen Erstgeborenen ohne Zweitgeborenen geben? | |
| Jedenfalls, sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil | |
| die Herberge, nun ja, geschlossen war. | |
| 6 Und das Christkind verlebte das Gegenteil eines Lebensabends, also einen | |
| Lebensmorgen, und die Tiere im Stall trugen alle Maske. Es waren ein | |
| Ziesel, ein Esel, ein paar faule Hühner, ein Schaf, ein Alpaka und ich. | |
| Alle trugen die Munaske, die Mund-Nasen-Maske. Auch Maria und Josef. Nur | |
| das Baby nicht! Ein Kind, das keine Maske trug! Auch die Herrlichkeit des | |
| Herrn umstrahlte sie nicht, und Engel kamen auch keine vorbei, aus | |
| triftigen Gründen. | |
| 7 Mittlerweile kamen einem Texte ohne „Mund-Nasen-Schutz“ auch komisch vor. | |
| Bleiwüsten ohne „Infektionszahlen“ und „Impfstraßen“ waren völlig | |
| unglaubwürdig geworden. Wie die Bibel. Und von der haben wir es ja. | |
| 8 Also, in diesem Sinne. Sandsturm in der Bleiwüste, in der Die Heiligen | |
| Drei Könige (DHDK) stecken blieben. Ging sowieso nichts mehr, Autobahn | |
| vollgestopft, Grenzen zu, Quarantäne drohte. | |
| 9 Weiter passierte erst mal nichts. Später dann: Hubschrauber über | |
| Bethlehem, Luftaufnahmen aus der Vogelperspektive vom Stall, kreischende | |
| Sirenen, Live-Interviews mit langer Stange und Mikro in Plastikschutzhülle, | |
| man kennt das. | |
| 10 So ein Stall hat ja glücklicherweise gute Lüftungsmöglichkeiten. Sonst | |
| müssen sie halt alle mal vor die Tür. Aber wieso hing das eine faule Schaf | |
| kopfüber die Dachrinne hinab? Waren wir denn in Brüssel? Und wieso komme | |
| ich eigentlich in dieser Weihnachtsgeschichte vor? | |
| 11 „Darf ich mit Ihnen flirten?“, sprach der Esel hinter seinem Mundschutz | |
| die Mutter Gottes an. „Nein.“ | |
| 12 Moment, die Mutter Gottes war gleichzeitig die, die von Gott | |
| geschwängert worden sein soll, um den Sohn Gottes zu gebären? Ist der Sohn | |
| Gottes denn gleichzeitig Gott und hat sich am Ende selbst gezeugt? Seltsame | |
| Welt. Aber egal, das führt auch zu weit jetzt. Nämlich gleichzeitig begab | |
| es sich, dass dreihundert Jahre vorher eine andere Mutter lebte, die sogar | |
| zwölf Söhne hatte. Das steht so bei den Grimms. Zwölf Söhne! Ein | |
| Fußballteam samt Fan! Und die Ausgeburt des Schläfers, denn die zwölf | |
| sollten nach Vorstellung der Mutter mit dem verheißenen Heiland auf Erden | |
| zusammen sein. Aber wie sollte das vonstatten gehen? | |
| 13 Ganz einfach: Einer nach dem anderen ging in den Wald. Der Älteste war | |
| Petrus, der hatte irgendwann Hunger, legte sich ermattet in eine Höhle, in | |
| der wie von Zauberhand zwölf Wiegen bereitet waren, und schlief ein. Und so | |
| kamen die andern nach der Reihe, bis alle zwölfe da lagen in den goldenen | |
| Wiegen und schliefen. Sie schliefen aber dreihundert Jahre, bis zu der | |
| Nacht, worin der Weltheiland geboren ward. Da erwachten sie und waren mit | |
| ihm auf Erden und wurden die zwölf Apostel genannt. | |
| 14 Pause. | |
| 15 Und es geschah, als die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten | |
| die Hirten zueinander: Lasst uns nach Bethlehem gehen, um das Ereignis zu | |
| sehen! In Voll-HD! So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das | |
| Kind, das in der Krippe lag. Als sie es sahen, hielten sie Abstand und | |
| erzählten von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. | |
| 16 Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten | |
| erzählt wurde. Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden | |
| sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den Maria laut ausgerufen hatte, als | |
| das Kind im Mutterleib empfangen war. Jesus oder „O mein Gott!“, das war | |
| für den Moment nicht ganz klar. | |
| 17 Amen und … | |
| 18 … Hallelujah. | |
| 19 Ende. | |
| 20 Und jetzt die Geschenke! | |
| 24 Dec 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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