| # taz.de -- News-Algorithmus bei Facebook: Neue Nachrichtendiät | |
| > Facebook entwickelt ein Tool, das journalistische Beiträge zusammenfassen | |
| > soll. Das bereits nutzlose Überangebot wird weiter vorgekaut. | |
| Bild: Content, Content, Content ist das Geschäftsmodell bei Facebook | |
| Eine Flut an Nachrichten ist das Grundrauschen digitaler Kommunikation, die | |
| Texte und Bilder am Fließband produziert und konsumiert. Wer will schon | |
| zurückbleiben, nicht Bescheid wissen, die neueste Nuance der | |
| zeitlupenhaften Apokalypse verpassen? Der [1][„Doomscrolling“ getaufte] | |
| exzessive Nachrichtenkonsum in Zeiten der Krise kann dabei durchaus | |
| effizienter werden. Die Entscheidung, welchem journalistischen Produkt ein | |
| Anteil an der kostbaren Aufmerksamkeit der Leser*in zuteil wird, ist | |
| schließlich keine leichte. Überschriften, Teaser, den ersten Absatz | |
| vielleicht lesen, und dann? Lesedauer: 4 Minuten. Oder weniger, wenn es | |
| nach Facebook geht. | |
| Auf dem Jahresendmeeting des Netzwerks wurde bekanntgegeben, dass ein | |
| Algorithmus ausgerollt werden soll, [2][der journalistische Beiträge | |
| zusammenfassen kann]. Die wichtigsten Stichpunkte auf ein paar Zeilen, | |
| mundgerecht im Facebook-Feed. Der Arbeitstitel des Werkzeugs ist [3][das | |
| gängige Netzakronym TLDR], „too long, didn’t read“ (etwa „zu lang, nic… | |
| gelesen“). | |
| Software ist schon längst entwickelt genug, Textsorten hinreichend gut zu | |
| erkennen. Signalworte, Inhalt und Intentionen daraus zu destillieren, ist | |
| kein großes Kunststück. Angesichts der relativ harten Konventionen, nach | |
| denen vor allem Nachrichtenstücke konstruiert sind, darf davon ausgegangen | |
| werden, dass sich das Ergebnis technisch wird sehen lassen können. Und ob | |
| der Wegfall schmückenden Beiwerks, der Phrasen, Füllwörter und Eitelkeiten | |
| der Autor*innen so ein großer Verlust sein würde, kann getrost bezweifelt | |
| werden. Ganz auf Seiten des vermuteten Bedarfs der Leser*in wird also | |
| optimiert. | |
| Der Überfluss an Informationen bei begrenzten Ressourcen zu ihrer | |
| Verarbeitung ist kein neues Problem. Die zunehmende Unfähigkeit der | |
| qualitativen Bewertung und Gewichtung ist auch kein dem Netz exklusives | |
| Defizit, durch [4][die Funktionsweise der großen Plattformmonopolisten] | |
| aber wird es massiv verstärkt. Die müssen als überlebensnotwendiges Prinzip | |
| die Aufmerksamkeit des Publikums mit Content, Content, Content fesseln. | |
| ## Bombardement der Banalitäten | |
| Das permanente Bombardement der Banalitäten, dieser quietschbunte | |
| Selbstbedienungsladen voller – als gleichwertig dargestellter – Snippets | |
| völlig unterschiedlicher Qualitäten ist nie dazu dagewesen, Menschen zu | |
| informieren. Ihre Reaktionen, Likes und Klicks sind es, aus denen ein | |
| riesiges Soziogramm erstellt wird, das mit ein bisschen Marketingvodoo als | |
| Stein der Weisen der Werbewirtschaft teuer verkäuflich ist. Ein völlig | |
| aufgeblähtes, sich immer wieder selbst bestätigendes Milliardengeschäft ist | |
| so entstanden. | |
| Dass Information und ihre Einordnung dabei in immer knapperen Bulletpoints | |
| präsentiert werden, hat natürlich eine zunehmend aggressive Marktschreierei | |
| zur Folge. Diskurs als Austausch von Zitatkacheln im Corporate Design. Und | |
| selbst deren Nutzen soll nun mittels TLDR reduziert werden. Links auf eure | |
| Artikel? Pustekuchen. | |
| Facebook wird nicht einmal mehr zitieren müssen, und mit seinen Exzerpten | |
| nebenbei dem endlosen Urheberrechtsstreit mit den Verlagen eine nette neue | |
| Wendung geben. Viel faszinierender jedoch ist, dass keine noch so minimale | |
| menschliche kuratorische Leistung mehr hinter der Nachrichtendiät stehen | |
| würde, nur der neutrale, alles durchdringende Algorithmus. Vor dem sind | |
| alle gleich – und genau deshalb sehr unterschiedlich. | |
| ## Das durchdachte Argument hatte es nie leicht | |
| Das durchdachte, vielleicht sogar noch zweifelnd vorgetragene Argument | |
| hatte es gegen populistische Verkürzungen noch nie besonders leicht, auch | |
| nicht in traditionellen Medien, denn die haben ihre Einnahmen nicht mit dem | |
| Verkauf kluger Essays, sondern mit teuren Werbeplätzen verdient. Die Chance | |
| für im positiven Sinne abseitige Inhalte, überhaupt durchzudringen, stieg | |
| einen historischen Wimpernschlag lang mit dem Beginn des Internets, selbst | |
| moderierten Diskussionsgruppen, Blogs und dergleichen. Mit dem | |
| kometenhaften Aufstieg der großen Plattformen wurden sie aber unter einem | |
| riesigen Berg algorithmisch vorgekosteten Mists, frei Haus geliefert nicht | |
| zuletzt von Zeitungen, begraben. | |
| Diesem völlig nutzlosen Überangebot nun wiederum mit technologischen | |
| Mitteln Herr werden zu wollen, lässt sich nicht einmal mehr als naiv | |
| beschreiben. Es ist die willentliche Ablenkung davon, [5][wie sehr Facebook | |
| Teil des Problems ist]. Der nächste Layer im Grundrauschen, das uns vor den | |
| Bildschirmen hält, soll also die automatische Zusammenfassung von | |
| Nachrichtenartikeln sein? Der übernächste wird dann wohl sinnvollerweise | |
| [6][die vollautomatisierte Erstellung derselben]. | |
| TLDR: Kapitalismus macht absichtlich dumm. Facebook verdient unter | |
| Ausnutzung und Verstärkung dieses Umstands eine Menge Geld. | |
| 29 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.sueddeutsche.de/digital/doom-scrolling-1.4935582 | |
| [2] https://www.buzzfeednews.com/article/ryanmac/facebook-news-article-summary-… | |
| [3] https://www.heise.de/news/Facebook-will-KI-Nachrichten-zusammenfassen-lasse… | |
| [4] /Zerschlagung-von-Google--Facebook/!5735665 | |
| [5] /Populisten-Hochburg-Facebook/!5719912 | |
| [6] https://technikjournal.de/2018/08/14/schreib-maschinen-voll-im-trend/ | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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