| # taz.de -- Impfstoffherstellung in Deutschland: Mehr als Plätzchenbacken | |
| > Der Impfstoff ist knapp, die Hersteller kommen mit der Produktion nicht | |
| > hinterher. Warum also nicht Lizenzen für andere Hersteller erzwingen? | |
| Bild: Bisher knapp bemessen: Wer kann – und darf – den Impfstoff von BioNte… | |
| Berlin taz | Kaum sind [1][die Impfungen gegen das Coronavirus am Sonntag | |
| angelaufen], kommen von diversen Spitzenpolitikern Forderungen, die | |
| Produktion zu erhöhen, um schneller mehr Menschen zu immunisieren. So | |
| drängten sowohl Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als auch | |
| FDP-Chef Christian Lindner und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf | |
| entsprechende Schritte. „Endloses Warten reduziert auch die Bereitschaft | |
| der Bevölkerung, sich impfen zu lassen“, sagte etwa CSU-Chef Söder | |
| gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. | |
| Am konkretesten wird die Linkspartei. Deren gesundheitspolitischer Sprecher | |
| im Bundestag, Achim Kessler, fordert die Bundesregierung auf, | |
| Impfstoffhersteller zu zwingen, Lizenzen an andere Hersteller zu vergeben. | |
| „Die Bundesregierung hat selbst dafür die gesetzliche Grundlage geschaffen, | |
| warum sollte sie sie jetzt nicht nutzen“, sagte Kessler der taz. In der | |
| [2][Coronapandemie] müsse öffentliches Interesse über Profitinteressen | |
| stehen. | |
| Tatsächlich ist rein rechtlich eine solche Zwangsfreigabe möglich. Im | |
| Infektionsschutzgesetz hat die Bundesregierung die Möglichkeit der | |
| Benutzungsanordnung geschaffen, die einen schnellen Zugriff auf das | |
| Produktions-Know-how eines Herstellers ermöglicht, wenn es im Interesse der | |
| Öffentlichkeit ist. | |
| „In gewissem Sinne entspricht das einer Enteignung“, sagt der Münchner | |
| Patentrechtsanwalt Rainer Plaggenborg. Der Rechteinhaber sei natürlich | |
| angemessen zu entschädigen, aber das öffentliche Interesse stehe zunächst | |
| einmal im Vordergrund. | |
| ## Fordert die FDP etwa Enteignungen? | |
| Schon das Patentrecht sieht entsprechende Möglichkeiten in Form von | |
| Zwangslizenzen vor. In der Vergangenheit kam dies etwa bei einem | |
| Aids-Medikament zur Anwendung, allerdings erst nach langwierigen | |
| Gerichtsprozessen. Die Benutzungsanordnung ermöglicht nun ein schnelleres | |
| Eingreifen, wurde aber bislang noch nicht angewendet, so Plaggenborg. | |
| Manfred Schubert-Zsilavecz, Professor für chemische Pharmazie und | |
| Vizepräsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main, hält die politische | |
| Forderung nach einer Zwangsfreigabe der Impfstoffrechte indes für naiv. | |
| Rein technisch sei ein Transfer der Herstellungsprozesse zwar möglich, aber | |
| Schubert-Zsilavecz sieht keine Chance, mithilfe neuer Hersteller auf die | |
| Schnelle die Produktion zu erhöhen. | |
| Bei einem einfachen, proteinbasierten Impfstoff wäre dies vielleicht | |
| denkbar, nicht aber bei der komplexen neuen MRNA-basierten Technologie. | |
| „Das ist doch kein Plätzchenbacken“, betont Schubert-Zsilavecz, der auch | |
| wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker und | |
| ehemaliger Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft ist. | |
| Er mahnt zur Vorsicht bei jeder schnellen Ausweitung der | |
| Produktionskapazitäten: „Ein solches Scale-up kann die pharmazeutische | |
| Qualität und damit auch Wirksamkeit und Verträglichkeit negativ | |
| beeinflussen.“ Zwar solle man alle Kapazitäten nutzen, aber immer mit Blick | |
| auf die pharmazeutische Qualität. „Wenn ein zu schnell produzierter | |
| Impfstoff am Ende weniger wirkt oder unverträglicher ist, sinkt erst recht | |
| die Impfbereitschaft.“ | |
| Bei der FDP will man Christian Lindners Forderung nach einer Erhöhung der | |
| Produktion übrigens mitnichten als Aufruf zur Zwangsenteignung verstanden | |
| haben. „Dieser Vorschlag sollte ganz schnell in der Schublade verschwinden, | |
| ehe sich das im In- und Ausland rumspricht“, so die gesundheitspolitische | |
| Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus. Er sei nicht nur | |
| produktionstechnisch schwierig, sondern politisch geradezu gefährlich für | |
| den Produktionsstandort Deutschland. | |
| 28 Dec 2020 | |
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| Manuela Heim | |
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