# taz.de -- Westsahara-Konflikt: Vergessen in der Wüste | |
> Die Westsahara ist das letzte nicht entkolonialisierte Gebiet in Afrika. | |
> Spanien und die UNO dulden seine Besetzung und Ausbeutung durch Marokko. | |
Bild: Seit dem 13. November herrscht in der der Westsahara wieder Krieg (Aufnah… | |
Afrikas letzte Kolonie ist wieder im Krieg. Seit dem 13. November greift | |
die Befreiungsbewegung der Westsahara, die Frente Polisario, immer wieder | |
Stellungen der marokkanischen Besatzer entlang eines 2.700 Kilometer langen | |
Sandwalls an, der die besetzten Gebiete von denen unter der Kontrolle der | |
sahrauischen Exilregierung trennt. Der Lärm der Waffen verschafft einem | |
vergessenen Konflikt wieder Aufmerksamkeit. | |
Die Westsahara ist das letzte Gebiet in Afrika, das nie richtig | |
entkolonialisiert wurde. Die einstige spanische Kolonie – ein Landstrich | |
etwas größer als die alte Bundesrepublik an Afrikas Westküste gegenüber der | |
Kanarischen Inseln – wurde 1975 von Spaniens Diktator Franco an Marokko und | |
Mauretanien abgetreten. Die Befreiungsbewegung Polisario, die zuerst gegen | |
die Spanier gekämpft hatte, nahm den Befreiungskrieg gegen die neuen | |
Besatzer auf. Die Polisario besiegte Mauretanien 1979. Marokko rückte in | |
die südlichen Gebiete nach. Im Jahr 1991 vermittelten die Vereinten | |
Nationen einen Waffenstillstand, der jetzt beendet wurde. | |
Die neuen Kriegshandlungen sind eine Reaktion der Polisario auf | |
Provokationen seitens Marokkos. Die Besatzer räumten am 13. November eine | |
friedliche Demonstration am Grenzübergang zu Mauretanien. Obwohl dieses | |
Gebiet laut Abkommen nicht zur marokkanischen Zone gehört und als | |
entmilitarisiert gilt, hat Marokko hier einen Grenzübergang eingerichtet. | |
Das verstößt gegen den Waffenstillstand, der nur die Grenzübergänge | |
zulässt, die es 1991 bereits gab. Die UNO schaute dennoch zu, wie Marokko | |
eine Straße asphaltierte und Grenztruppen in das Gebiet schickte. | |
Das im Waffenstillstandsabkommen festgeschriebene Referendum über die | |
Unabhängigkeit der Westsahara fand nie statt. Marokko drängte darauf, | |
Stämme von außerhalb in die Wählerliste aufzunehmen. Die Polisario weigerte | |
sich. Der Prozess kam Anfang der 2000er Jahre endgültig zum Erliegen. | |
Die UNO hat längst resigniert. Seit Jahren ist bei den Vereinten Nationen | |
nicht mehr von einem Referendum die Rede. Stattdessen sollen beide | |
Konfliktparteien in direkten Verhandlungen eine Lösung finden. Marokko will | |
einen Autonomiestatut für die [1][Westsahara], die Polisario lehnt dies ab. | |
Die Besatzung durch Marokko wird so Jahr für Jahr fortgeschrieben. Die | |
UN-Blauhelmmission Minurso überwacht nur noch diesen ungerechten Status | |
quo. 170.000 Sahrauis leben vergessen von der Weltöffentlichkeit in | |
Flüchtlingslagern in der algerischen Wüste unweit der Garnisonsstadt | |
Tindouf sowie in den befreiten Gebieten jenseits des Sandwalls, und weniger | |
als 100.000 in den besetzten Gebieten. Marokko profitiert von dem Scheitern | |
der UNO. Hunderttausende Marokkaner wurden in die besetzten Gebiete der | |
Westsahara umgesiedelt, um so Tatsachen zu schaffen. Viele genießen | |
Sozialleistungen, wie es sie sonst in Marokko nicht gibt. Sie erhalten | |
Arbeit und Genehmigungen, Geschäfte zu eröffnen, während die einheimische | |
Bevölkerung unter einer Art Apartheid leidet. Die Sahrauis, die Hassani | |
sprechen, ein Arabisch, das dem in Mauretanien mehr ähnelt als dem in | |
Marokko, werden ausgegrenzt und leben unter ständiger Überwachung durch | |
Polizei, Armee und marokkanischer Bevölkerung. Mit brutaler Repression wird | |
jeder Protest im Keim erstickt. Internationale Beobachter werden kaum | |
vorgelassen. | |
Marokko plündert die Westsahara gezielt aus. Staatliche Unternehmen bauen | |
Phosphat ab. Europäische Unternehmen, darunter auch Siemens, errichten | |
Windparks im Norden, die den Strom dafür liefern. Sand aus der Westsahara | |
wird in Zementfabriken in Spanien verarbeitet. Die Regierung in Rabat | |
handelte mit der EU mehrere Fischereiabkommen aus. Nutznießer der | |
Fangrechte sind zum Großteil Schiffe aus Spanien – aus dem Land, das nach | |
internationalem Recht weiterhin „Verwaltungshoheit“ über das Gebiets hat. | |
Während die Polisario und ihre sahrauische Exilregierung vor allem auf | |
Algeriens Unterstützung setzen kann, hat Marokko mächtige Freunde, allen | |
voran Frankreich. Paris wacht über seinen Einfluss in Nordafrika und macht | |
immer wieder im UN-Sicherheitsrat zugunsten von Marokko von seinem | |
Vetorecht Gebrauch. Für die USA ist Marokko am Eingang zum Mittelmeer von | |
entscheidender strategischer Bedeutung. Noch nach den verlorenen Wahlen | |
unterzeichnete [2][Präsident Trump] eine Erklärung, die die Souveränität | |
Marokkos über die Westsahara anerkennt. Als Gegenleistung nimmt Rabat volle | |
diplomatische Beziehungen mit Israel auf. | |
Spanien hat sich auch nach dem Ende der Diktatur seiner Verantwortung für | |
die Westsahara nie gestellt, anders als etwa das benachbarte Portugal, das | |
mit Osttimor und Indonesien ein ähnliches Problem hatte. Während die | |
Solidarität mit den Sahrauis in der spanischen Bevölkerung hoch ist, lassen | |
die Regierungen, egal welcher Couleur, Polisario und die Sahrauis im Stich. | |
Man will Rabat nicht verärgern. | |
Marokko ist einer der größten Abnehmer spanischer Waffen und ein wichtiger | |
Partner für die Überwachung der EU-Südgrenze. Rabat weiß das und öffnet bei | |
jeder politischen Meinungsverschiedenheit die Grenzen: | |
[3][Flüchtlingsboote] dürfen von der Küste Marokkos und der Westsahara Kurs | |
auf Spanien und die Kanarischen Inseln nehmen. Auch dieser Tage kommen | |
wieder mehr Boote an. | |
Während der kleine Koalitionspartner in der spanischen Regierung, die | |
linksalternative Unidas Podemos, ein Referendum anmahnt, will das von | |
Sozialisten geführte Außenministerium die UNO „bei ihren Anstrengungen“ | |
unterstützen, wissend, dass die nichts unternimmt. Der Griff zu den Waffen | |
ist der verzweifelte Versuch der Polisario, ihr Anliegen mit Gewalt wieder | |
auf die Tagesordnung der Weltpolitik zu bringen. | |
14 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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