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# taz.de -- Saharafestival im tunesischen Douz: Tradition reloaded
> Das Festival am Rande der Sahara ist ein lebendiges Museum der
> Wüstenfolklore. Langbeinige Renndromedare konkurrieren mit chinesischen
> Mopeds.
Bild: Moderne Wettkämpfe der „Easy Riders“ auf dem Saharafestival in Douz
Bū Sa’dīyya tanzt um uns herum. Vier Musiker in hellblauen Pluderhosen,
weißem Hemd und goldbesticktem roten Wams schlagen dazu die Trommel.
Sa’dīyya mit schwarz-weiß kariertem Spitzhut, Wildkatzentatzen und einem
Fantasiegewand irgendwie zwischen Geist und Derwisch gibt mit den Schellen
den Rhythmus vor. Der Legende nach kam er mit den Sklavenkarawanen der
Araber nach Tunesien. Im Süden Tunesiens ist er Kinderschreck. Hier beim
Saharafestival in Douz tanzt er zwischen anderen Musikgruppen auf der
riesigen Sandarena. Es sind auffallend viele Schwarze unter den Musikern.
Landesweit strebten freigelassene Sklaven eine Laufbahn als Musiker an, da
dieser Beruf in einer rassistischen Gesellschaft allen offenstand.
Schwarze Sänger und Gruppen spielen noch heute bei Hochzeiten, Wallfahrten
oder hier beim Festival in Douz. Drei Tage wird gefeiert. Einige
europäische Wüstentouristen und viele Tunesier aus dem Norden des Landes
nehmen an dem Spektakel teil. Letztere suchen ihr kulturelles Erbe, die
Identität der Wüstenregion, [1][der Berber] und Halbnomaden. Das Interesse
der Tunesier hat in den letzten Jahren enorm zugenommen.
Jedes Jahr Ende Dezember findet das Saharafestival statt: Berber, Beduinen,
Reiterspiele, Hochzeitszüge, das Rennen der Wüstenwindhunde, der
sogenannten Slougis, Falknerei, Kamelrennen – es ist ein lebendiges Museum
der Wüstentraditionen. Im Rahmenprogramm gibt es Poesiewettbewerbe, die
hier eine lange Tradition haben. Die Teilnehmer kommen aus Algerien,
Mauretanien, Libyen, Marokko.
In Douz beginnt die Sahara, direkt hinter dem Zentrum des Wüstenortes an
der großen Düne. Der 30.000 Einwohner zählende Ort ist seit jeher
Drehscheibe des Handels der Region. Ein Marktflecken, wo donnerstags Obst,
Gemüse, Harissa und die Gewürze der schmackhaften tunesischen Küche feil
geboten werden. Etwas außerhalb des Ortes wechseln am gleichen Tag Kamele,
Pferde, Ziegen, Schafe und Hühner die Besitzer.
Unzählige Dattel-Kioske bieten das Kilo jetzt im Dezember zur Dattelernte
in den Oasen zu gerade mal 6 Euro an. Die Läden mit Kunsthandwerk aus
Dromedarleder, dem Berberschmuck und Antiquitäten rund um den Marktplatz
des Ortes haben zum Festival Hochkonjunktur. Das Festival belebt den
Handel, normalerweise sind die Hotels ausgebucht, die Handwerker zufrieden.
## Wildwestflair in der Wüste
Coole Wüstenguides im Jeep mit Turban, weißer Djellabah und
Ray-Ban-Sonnenbrillen breschen über Dünen und beeindrucken Touristinnen mit
ihren Fahrkünsten und ihrer Tuareg-Exotik. Douz ist eine staubige
Wüstenstadt mit Wildwestflair. Am Straßenrand parken Kamele. Zahnlose alte
Männer sitzen draußen und beobachten das Geschehen. Familienväter fahren
auf schwerbeladenen Mopeds die ganze Familie durch die Gegend. Jugendliche
horten sich mit ihren Mopeds, made in China, zusammen für ihr lärmendes
Balz- und Konkurrenzgehabe.
Sie bieten die zeitgemäße Variante der Festspiele: Der Sound ihrer Mopeds
untermalt die Nomaden-und Berberfolklore. Ihr lautstarkes Motocross auf dem
riesigen Festplatz bei der großen Düne mit aufheulenden Motoren,
sandaufwirbelnden, hochgejagten Vorderrädern buhlt um Aufmerksamkeit
zwischen weißen Kameln und Kunstreitern in bestickten Gewändern.
Statt Pferderennen mit weißen, langbeinigen Renndromedaren wetteifern sie
auf heruntergekommenen Mopeds, statt auf geschmückten Pferderücken
jonglieren sie auf den abgeschabten Plastiksitzen ihrer Maschinen. Deren
ohrenbetäubender Lärm übertönt noch jede Trommel der Spielmannszüge.
Tradition reloaded.
Was hält der Festivalorganisator Sami Belhaj, im Hauptberuf Ingenieur, von
den neuen Wettkämpfen der Jungmänner auf dem Festplatz? „Man muss die
Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Und das sind eben nicht mehr
Kamele oder Pferde, sondern das Moped und das Vierrad“, sagt er gelassen
zur Aktualisierung des Wüstenspektakels.
„Das Festival begann als Kamelfestival 1910, als Tunesien noch von
Frankreich regiert wurde“, sagt M’hammed Marzougui, den wir im
Kulturzentrum des Ortes treffen. Der Mann im langen weißen Gewand ist eine
Persönlichkeit: Vermittler der Tradition, langjähriger Museumsdirektor,
Wüstenkenner, Pflanzenspezialist und Poet. Im lokalen Radiosender erzählt
er wöchentlich von den Traditionen der Wüstenanwohner. Ein Traditionalist
mit Ehrgeiz: er hat das Saharamuseum vor Ort aufgebaut und arbeitete schon
immer an der Entwicklung des Kulturfestivals mit. Dieses wurde 1967 mit
Hilfe des damaligen Staatspräsidenten Habib Bourguiba zum bedeutenden
Kulturfestival des Südens.
Marzougui hat seine beeindruckende Sammlung medizinischer Pflanzen in
Leipzig und Dresden ausgestellt. Der „neuzeitliche Weise“ weiß Rat bei
allen Zipperlein. Beispielsweise Schlangenfleisch gegen Krebs.
„Traditionell waren wir Nomaden und sind mit unseren Familien und den
Zelten in der Sahara umhergezogen“, erzählt er. „Jetzt gehen die inzwischen
sesshaft gewordenen Familien immer noch im Frühjahr mit den verbliebenen
Tieren und der ganzen Familie in die Wüste.“
Nomaden-Auszeit. Wüstenurlaub. „Auch die anscheinend leere Wüste gehört
bestimmten Familien“, erzählt er. Und er warnt uns: Sollten wir bei einem
Besuch dort nur schwarzen Kaffee angeboten bekommen, heißt es, dass wir
nicht willkommen sind. Wird uns Kaffee mit Milch und Datteln angeboten,
heißt es: Herzlich willkommen.
„Über unsere Kultur gibt es keine Bücher, keine Anleitungen. Unsere Kultur
wird über das Zusammensein, die Erzählungen in der Familie vermittelt. Das
ist für unsere Kinder durchaus eine Schule.“ Marzougui ist vom Stamm der
Marazigh. „Sie leben noch die Tradition der Marabouts, der heiligen Männer
und des Sufismus“, sagt er.
„Unser Problem heute ist der agressive Salafismus: „Sie wollen herrschen,
die Wichtigsten sein. Das ist ihr Blick auf die Welt“, sagt er zur
Ideologie des politischen Islams. „Dieser Salafismus, der von außen
hereinschwappt, hat nichts mit unserer Tradition zu tun. Er ist ein großes
Problem und er macht sich an unsere Jugendlichen heran.“ Zum Glück seien
die Sufimusik, die Kultur der Berber auch den Jungen noch vertraut. „Sie
sehen doch hier im Kulturhaus, wie lebendig diese Kultur der Wüstenbewohner
noch ist.“
In der Tat: Das Kulturhaus ist voll, der Poesiewettbewerb am Laufen. Unser
Begleiter Ali Ben Zayed, der ein [2][Wüstencamp] bei Douz betreibt,
versucht sich als Übersetzer. Zu schwierig, aber die klanghaften arabischen
Rezitationen schmeicheln auch so im Ohr. „Wir lernen Tanz, Musik, Poesie
immer noch im Kreis der Familie, bei Festen, Hochzeiten“, bestätigt auch
der junge Ali Ben Zayed.
„Die Leute hier sind gläubig.. Es ist ein populärer Islam, ein Volksislam�…
erzählt er abends beim Lagerfeuer in der Wüste, wo wir in Zelten
übernachten, da alle Hotels in Douz längst ausgebucht sind. „Das Festival
ist für uns eine gute Gelegenheit, die Schönheit der Wüste zu zeigen und
uns unserer eigenen, schwindenden Tradition zu vergewissern.“
Ben Zayed setzt auf nachhaltigen Tourismus, Sonnenenergie, Bioprodukte aus
der Region. „Es gibt viel NGOs, die den Leuten hier die Idee des
nachhaltigen Tourismus näherbringen wollen“, sagt er. „Das entspricht der
einfachen Lebensweise in der Wüste. Und die Kunden wollen das. Ich selbst
habe die Idee von Agenturen übernommen.“
Es ist eisig kalt. Der sternenklare Wüstenhimmel hat jede Wärme des Tages
entweichen lassen. Das Feuer wärmt nur einseitig. Wir verkriechen uns unter
mehreren klammen Decken auf Pritschen in den einfachen Zelten. Spätesten
morgen früh, wenn die Sonne hinter den Dünen knallorange aufgeht, wird es
warm.
6 Dec 2020
## LINKS
[1] /Boualem-Sansals-Buch-ueber-Maghreb/!5073800
[2] http://www.zaied-travel.com
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
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Verschwörungstheorien.
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