# taz.de -- Wissenschaftlerinnen über Rassismus: „Erschreckende Stille“ | |
> In einem offenen Brief an die Staatsanwaltschaft fordern | |
> Wissenschaftler*innen Aufklärung über den Tod des Psychiatriepatienten | |
> Tonou-Mbobda. | |
Bild: Weiter so viele Fragen wie damals offen: Kundgebung vor dem UKE nach dem … | |
taz: Frau Gardi, Frau Runge, als Verfasserinnen eines offenes Briefes an | |
die Staatsanwaltschaft Hamburg wehren Sie sich gegen die [1][Einstellung | |
des Verfahrens] im Zusammenhang mit dem Tod von William Tonou-Mbobda. | |
Warum? | |
Awista Gardi: Um das zu beantworten, müssen wir in die Geschichte von | |
Krankenhäusern und Psychiatrien schauen. Deren Entstehung war eng | |
verknüpft mit der Kontrolle von und Gewalt gegen Menschen, die als nicht in | |
gesellschaftliche Normen passend markiert werden. Dazu gehören queere | |
Menschen, aber auch Schwarze Menschen und Personen of Colour. | |
Diskriminierung hat diese Gewalt immer wieder legitimiert und durchführbar | |
gemacht. | |
Und der Tod von William Tonou-Mbobda ist ein weiteres Beispiel? | |
Gardi: William Tonou-Mbobda war ein Schwarzer Mann, der übertrieben | |
gewaltvoll behandelt wurde. Sein Fall reiht sich in eine Systematik ein. | |
Ein Verfahren wäre wichtig, um der Verantwortung, die Deutschland in Bezug | |
auf diese Systematik hat, nachgehen zu können. Gleichzeitig wäre die | |
juristische Aufklärung seiner Todesumstände unglaublich wichtig für die | |
Hinterbliebenen. Aber auch die Öffentlichkeit braucht eine nachvollziehbare | |
Aufklärung, insbesondere, wenn wir mit Öffentlichkeit auch Schwarze | |
Menschen in Hamburg meinen. | |
Pauline Runge: Der Fall zeigt, dass Schwarze Menschen und Personen of | |
Colour in Deutschland nicht sicher leben können und kein gerechtes | |
juristisches Verfahren bekommen. Daraus ergibt sich eine gesellschaftliche | |
Verantwortung, sich damit auseinander zu setzen. Und das nicht im Stillen, | |
sondern so laut, dass es gehört wird. | |
Und Sie und die vielen Unterzeichner*innen [2][des Briefs] aus | |
Universitäten und Hochschulen wollen eine laute Stimme sein? | |
Runge: Zuerst einmal finden wir es erschreckend, dass der Fall nicht für | |
einen zivilgesellschaftlichen Aufschrei gesorgt hat und diese Stille | |
herrscht. Der Brief ist eine Reaktion auf die Forderung der Black Community | |
Hamburg, dass sich auch Menschen aus der Zivilgesellschaft und aus | |
Institutionen positionieren sollen. Und wir wollten uns nicht nur als | |
Einzelpersonen aktiv zeigen, sondern auch in unserer Funktion als | |
Mitarbeiterinnen im Hochschulkontext. | |
Warum? | |
Runge: Wir sehen es als Teil unserer Profession, also als Menschen in der | |
Sozialen Arbeit, dass wir soziale Probleme verstehen und zu mehr sozialer | |
Gerechtigkeit beitragen wollen. Und wenn es einen Vorfall gab, der so | |
gewaltvoll war und auf ein soziales Problem wie den institutionellen | |
Rassismus verweist, dann verstehen wir es als selbstverständlich, dass wir | |
uns mit unserem Professions- und Ethikverständnis positionieren müssen. | |
Gleichzeitig ist unsere Profession in der Geschichte daran beteiligt | |
gewesen, Gewalt in der Wissenschaft zu legitimieren, auch deshalb | |
positionieren wir uns. | |
Sie betonen in Ihrem offenen Brief die politische Bedeutung einer Anklage. | |
Justiz sollte doch aber unpolitisch sein. | |
Gardi: Wir sind uns der Relevanz der Gewaltenteilung in Deutschland | |
bewusst. So meinen wir das jedoch nicht. Es geht uns nicht um die | |
Strukturierung der Judikative, sondern um die Praxis der Anklageerhebung | |
und der Rechtsprechung. Diese Praxen sind auch immer eine Deutung | |
derjenigen, die das Recht sprechen. Recht ist also eine hermeneutische | |
Praxis, eine Art interpretativen Vorgehens. Und wenn das | |
Gerechtigkeitsgefühl der von Rassismus Betroffenen mit dieser Deutung immer | |
wieder nicht im Einklang steht, dann kann man sich die Frage stellen, ob | |
Rechtsprechung überhaupt unpolitisch ist. | |
Für Sie ist sie das also nicht? | |
Gardi: Wir müssen im Blick haben, dass wir Recht und Gerechtigkeit | |
voneinander trennen müssen. Es gibt rechtliche Praxen, die nicht gerecht | |
sind. Und wenn das der Fall ist, dann haben wir die Verantwortung, die | |
rechtlichen Praxen zu hinterfragen und zu versuchen, sie mehr zu sozialer | |
Gerechtigkeit hin zu verändern. Diese Frage wird auch immer wieder von | |
Anwält*innen von Betroffenen von sexualisierter Gewalt aufgeworfen. Was wir | |
aber sicher sagen können ist, dass das Verhalten der Justiz immer in einem | |
politischen Kontext erfolgt. Und mit politisch meinen wir, dass Politik | |
beschreibt, wie gesellschaftliches Leben strukturiert wird, nach welchen | |
Normen wir leben wollen oder können. | |
Das heißt? | |
Gardi: Wenn wir sehen, dass juristisch immer wieder auf eine Art und Weise | |
vorgegangen wird, nach der rassistische Morde entweder nicht einmal zur | |
Anklage gebracht werden oder mit Freispruch oder niedrigen Urteilen enden, | |
dann sagt das sehr viel darüber aus, wie gesellschaftlich mit Rassismus | |
umgegangen wird. | |
Laut Staatsanwaltschaft gibt es in dem Fall keinen Hinweis auf einen | |
rassistischen Hintergrund. | |
Gardi: Wenn wir davon ausgehen – und das tun wir als Wissenschaftlerinnen, | |
die sich mit Rassismus auseinander setzen – dass Rassismus ein | |
grundlegendes, strukturierendes Element dieser Gesellschaft ist und in | |
jeder Interaktion und Handlung eine Rolle spielt, manchmal impliziter, | |
manchmal expliziter, und wenn wir uns dann auch noch die Geschichte der | |
Psychiatrien und die koloniale Geschichte Deutschlands anschauen, dann | |
müssen wir davon ausgehen, dass Rassismus eine Rolle gespielt hat. Die | |
Frage müsste also nicht sein, ob Rassismus eine Rolle gespielt hat, sondern | |
inwiefern. | |
Die Ermittlungen wurden laut Staatsanwaltschaft unter anderem eingestellt, | |
weil die Beschuldigten aus Notwehr gehandelt hätten. Ist das für Sie | |
nachvollziehbar? | |
Gardi: Insbesondere das Argument der Notwehr bei einem Schwarzen Mann, der | |
eigentlich nach Hilfe gesucht hat in einer Institution, weist darauf hin, | |
wie lebhaft rassistische Vorstellungen von gewaltvollen Schwarzen Männern | |
sind. Wir erkennen sie immer noch daran, dass Schwarze Männer, sogar wenn | |
sie sitzen, als gewalttätig markiert werden und eine Gewaltanwendung, die | |
zum Tod führt, als Notwehr markiert wird. Allein dieses | |
Argumentationsmuster weist auf sehr viel impliziten Rassismus hin. | |
Sie fordern, dass ein unabhängiger, von der Zivilgesellschaft getragener | |
Ausschuss den Tod von William Tonou-Mbobda untersucht. Wie genau soll das | |
aussehen? | |
Runge: Damit schließen wir uns der Forderung der Black Community Hamburg | |
an. Die Frage, wie dieser Ausschuss aussehen kann, ist unbedingt mit der | |
Black Community Hamburg und den Hinterbliebenen William Tonou-Mbobdas | |
auszuhandeln. Wir wollen da keinen Ton angeben. | |
3 Jan 2021 | |
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[1] /Patient-stirbt-nach-Zwangsmassnahmen/!5702144 | |
[2] https://drive.google.com/file/d/1qK7znsr_fY2LILYCNhWGfYGmoBHFrhlS/view | |
## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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