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# taz.de -- Podcast „We Care!“: Für eine fürsorgliche Gesellschaft
> Fürsorge ist in der Coronakrise ein zentrales Thema. Aber was braucht
> eine solche Gesellschaft? Und warum scheint sie so schwer erreichbar zu
> sein?
Bild: Kunstinstallation zur Coronakrise „It is like it is“ in Köln
Leipzig taz | Fürsorge, Sorgearbeit, Pflege oder Care: Diese Begriffe sind
längst nicht mehr nur feministisches Vokabular. Spätestens seit in der
[1][Coronakrise] deutlich geworden ist, dass ohne Fürsorge-Arbeit nichts
geht, wird auch gesamtgesellschaftlich darüber diskutiert.
Was dabei jedoch fehlt, ist die Wertschätzung derjenigen, die diese Arbeit
leisten. Woran liegt das eigentlich? Warum ist es so schwer,
Fürsorge-Arbeit [2][mit gleicher Wertigkeit] zu betrachten, wie andere
Formen der Arbeit? Und was braucht es, um Fürsorge als Grundfeste der
Gesellschaft auch anzuerkennen? Wie sieht eine fürsorgliche Gesellschaft
aus?
Für Yildiz Akgün braucht eine solche Gesellschaft vor allem den Blick für
andere Menschen, die vielleicht weniger Ressourcen oder Zugang zu
Möglichkeiten haben. Akgün ist Sozialarbeiterin und Gründungsmitglied des
Inklusions-Vereins „Mina e.V.“, der sich für die Hilfe für Menschen mit
Behinderung und Migrationshintergrund einsetzt.
Akgün selbst hat ein Kind mit Behinderung und sagt, es brauche in unserer
Gesellschaft noch viel mehr Fürsorge. „Ich wünsche mir eine Gesellschaft,
in der ein alter Mensch von allen gemeinsam gepflegt und Kinder von allen
gemeinsam erzogen werden“, sagt sie, „in der die Gesellschaft gemeinsam
füreinander Verantwortung übernimmt.“
## Zu sehr aufs Individuum zurückgeworfen
Es geht also vor allem darum, kollektive Strukturen zu schaffen – eine
Gemeinschaft, in der Verantwortung aufgeteilt und Fürsorge für alle
relevant wird.
Magdalena Kallenberger ist Künstlerin im Kollektiv „maternal fantasies“ und
setzt sich als alleinerziehende Mutter selbst viel mit den Fragen der
Kollektivität auseinander. Sie sagt, wir seien zu sehr auf das Individuum
zurückgeworfen. Das zeige sich insbesondere in der Coronakrise auch darin,
wer für wen spricht und wer gehört wird: Wenn Gesetze und Regeln von den
immergleichen Personen gemacht werden, dann passen diese vielleicht zu
ihren individuellen Bedürfnissen, nicht jedoch zu den ganz heterogenen,
diversen Bedürfnissen.
Kallenberger plädiert daher dafür, dass gesellschaftliche Verhältnisse
weitergedacht werden. Das heißt auch: mitdenken, wen beispielsweise
[3][Kita-Schließungen im Lockdown] am meisten betreffen. „Es müssen
unterschiedliche Stimmen gehört werden, um unterschiedlichen Bedürfnissen
gerecht zu werden“, sagt Kallenberger.
Auch Arbeit, die nicht produzierend ist, also reproduktive Arbeiten wie
Fürsorge, sollte mehr Anerkennung erfahren und gehört werden. „Diejenigen,
die Sorgearbeit leisten, wissen worum es geht – haben aber meist überhaupt
keine Zeit für Lobbyarbeit.“
## „Choose your battle“
Johanna Fröhlich Zapata hat Strategien entwickelt, um mit der
Ungleichwertigkeit von Sorgearbeit ganz praktisch umzugehen: Einen
Care-Rechner, der aufwiegt, wieviel unbezahlte emotionale und Sorgearbeit
eine Person gemacht hat und diese in Geld umrechnet. Sie sagt, dass dieses
Paradigma der Verwertbarkeit zwar nicht die ultimative Utopie ist, aber ein
gutes Tool, um Ungleichheiten sichtbar zu machen.
Zapata ist Gestalttherapeutin und hat das feministische Coaching-Konzept
„Alltagsfeminismus“ entwickelt, mit dem sie Frauen dabei unterstützt, mit
der [4][Mehrfachbelastung] durch Sorgearbeit klar zu kommen. Dazu zählt
auch, Dinge manchmal „aktiv zu unterlassen“, damit andere zum Handeln
gezwungen werden.
Nicht alles könne man angehen, sondern, im Sinne von „choose your battle“,
gehe es vielmehr darum, sich zu entscheiden, welchen Kampf man kämpfen
will. „Aber auch um die Aufgabe von Privilegien“, sagt Zapata. Eine
Auseinandersetzung mit Fürsorge sei also immer auch mit einer
Verantwortungsübernahme Anderer mit mehr Privilegien verknüpft.
Somit ist bei der Frage, was eine fürsorgliche Gesellschaft braucht, auch
wichtig zu reflektieren, über wen, für wen und mit wem man spricht. „Wir
müssen Fürsorge insbesondere auf für diejenigen unterstreichen, die als
‚anders‘ gelabelt werden, die weniger Rechte haben, sagt Valentina Karga.
Die Künstlerin, Architektin und Professorin meint damit BiPoC, Frauen,
Indigene, Menschen mit Behinderung, Ältere, LGBT-Personen – „alle, die sich
außerhalb einer weißen, patriarchalen Norm befinden.“ Karga plädiert somit
auch für eine [5][intersektionale Beschäftigung] mit Fürsorge, die die
Mehrfachbelastung marginalisierter Personen in den Blick nimmt.
Für diejenigen, die immer wieder Kraft in Fürsorge stecken, all die
Pfleger:innen, Mütter, Freund:innen, Beziehungspartner:innen, Angehörige
oder andere Care-Geber:innen, sagt Karga, sie sollten Zeit haben, „einfach
mal nichts zu tun“. Zu wenig würden wir auf unsere Körper achten, auf die
Bedürfnisse unseres Selbst, ins Fühlen kommen. Sie plädiert für eine
weniger utopische Vision einer fürsorglichen Gesellschaft, sondern einer
ganz praktischen.
„Wenn ich mich darin hineinfühle, wie eine fürsorgliche Gesellschaft sich
anfühlen würde“, sagt Karga, „dann fühle ich mich direkt entspannt.“
Über weitere Fragen, konkrete Handlungsmöglichkeiten und Problem auf dem
Weg zu einer fürsorglichen Gesellschaft diskutieren Yildiz Akgün, Valentina
Karga, Magdalena Kallenberger und Johanna Fröhlich Zapata mit taz Autorin
Sarah Ulrich in der fünften Folge des [6][feministischen Podcast „We
Care!“].
„We Care!“ – der feministische taz Podcast zu emotionaler Arbeit und Care.
Immer monatlich auf [7][Spotify], [8][iTunes] und [9][Deezer].
17 Nov 2020
## LINKS
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[6] /Podcast-We-care/!t5712367
[7] https://open.spotify.com/show/2So6uVsQUN7TSQ3FJrPGq4
[8] https://podcasts.apple.com/us/podcast/we-care-der-feministische-taz-podcast…
[9] https://www.deezer.com/de/show/1339662
## AUTOREN
Sarah Ulrich
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