# taz.de -- Kleinfamilien in der Pandemie: Kindermund tut Wahrheit kund | |
> Die Pandemie zeigt brutal die Tücken der Kleinfamilie. Zwei Leute sollen | |
> Lohnarbeit, Kinderbetreuung und Liebe stemmen – und es soll perfekt | |
> aussehen. | |
Bild: Kinder sehen und verstehen manchmal mehr als den Eltern lieb ist | |
Manche meiner Freundinnen haben Schutzengel, die einen Terminkalender | |
führen und Landkarten lesen. Die haben ihnen geholfen, noch mal schnell zu | |
entwischen, bevor die Tore sich schließen und es entweder im Herkunfts- | |
oder Zielland Regeln gab, die eine Reise verunmöglichten. Einige Glückliche | |
konnten gerade noch Urlaub in Griechenland, Portugal oder – Gott, verzeih! | |
– Spanien machen. Eine Freundin hat es noch an die Adria geschafft. Eine | |
Woche mit Tochter. Schön war's. Ich gönne es ihr sehr. | |
Die Rückkehr verkomplizierte sich nun aber, da sie am Tegeler Flughafen | |
landete (Gratuliere! Bist du dir im Klaren darüber, dass das einer der | |
[1][letzen Flüge dort war!] Schlurz!), allerdings im | |
Mecklenburg-Vorpommerischen wohnt, aber nicht in die Quarantäne wollte, zu | |
denen aus Berlin Kommende dort verdonnert werden. | |
Das Gespräch lief ungefähr so: „Haha, ich musste mit meinem Kind am | |
Flughafen übernachten und dann den ersten Zug nach Wolgast nehmen. War aber | |
eigentlich ganz schön, wir sind so durch die Gänge marschiert und haben uns | |
dann unterm Roten Baron zusammengekuschelt“, sagt sie. „Haha, na so was, | |
aber du hättest doch bei mir übernachten können.“ – „Na ja, ich wollte | |
vermeiden, nach Berlin reinzufahren.“ Sie erinnert mich an den Sachverhalt | |
der Quarantänepflicht. | |
„Aber selbst wenn, die wissen doch nicht, dass du in der Stadt warst. Wird | |
das in der Regionalbahn nach MäckPomm irgendwie nachgeforscht?“ – „Nein, | |
nein.“ Meine Freundin wird unruhig. Ich merke, dass Nachfragen ihr | |
unangenehm sind. Sie hatte mir nur ein kurioses Abenteuer mit ihrer Tochter | |
mitteilen wollen. „Also, nein, ich... also... Damit mein Kind nicht lügen | |
muss.“ – „Achso.“ | |
Mir dünkte Big Brother, aber tatsächlich war es nur small child. Sehen wir | |
der Wahrheit ins Auge, es müsste heißen: „Weil das Kind das Lügen noch | |
nicht so gut beherrscht.“ Ich habe des Öfteren in Funk und Fernsehen über | |
gewollte Kinderlosigkeit gesprochen und warum Kinderlosen genussvoll so | |
viele Defizite zugesprochen werden. | |
## Pandemiemanagement von Kindern | |
Nun aber hat man den Eindruck, dass gefühlt die Hälfte aller | |
Pandemieprobleme [2][an einem vorbeigehen], wenn man keine Kinder hat. | |
Unter unser aller Augen offenbart sich, dass das Konzept der Kleinfamilie, | |
wo nur zwei Leute Lohnarbeit, Kinderbetreuung und – ach, was sag ich – | |
Liebe stemmen sollen, vielleicht für die Arbeitgeber, aber nicht für die | |
Betroffenen so eine befriedigende Idee war. Ich sage das ohne Häme. | |
Zu der Überforderung kommt jetzt ein weiteres Problem: das Vorgaukeln des | |
perfekten Pandemiemanagements. Vor den Kleinen. Kinder sind stolz, wenn sie | |
etwas verstanden haben. Das muss dann überall erzählt und kommentiert | |
werden. | |
Wie viele Eltern sitzen nun in Schockstarre zu Hause, ihr eigenes Kind | |
beäugend, das die Vergehen gegen Pandemieschutz der Eltern in Schule und | |
Kindergarten herausposaunen könnte? Wenn man versucht, nicht zu niesen oder | |
zu husten, weil man gerade wirklich absolut keine Zeit hat, sich in die | |
Schlange zum Gesundheitsamt für den Coronatest einzureihen. Wenn man die | |
Maske in der S-Bahn vergessen hat und sich ins letzte Abteil verkrümelt, | |
damit es keiner sieht. Die großen Kinderaugen sehen es bestimmt. | |
Besonders perfide wird es, wenn man mal kurz aus der Quarantäne ausbüchsen | |
muss, weil man mit Schrecken feststellen musste, dass das Frühstücksmüsli | |
des Kinds alle ist, was einen in eine Zwickmühle sondergleichen bringt: | |
zwei Stunden rumheulen oder Denunziation. Die Bedürfnisse der Kleinen nach | |
Essen, Klopapier und Wahrhaftigkeit ist wahrscheinlich nicht zu vereinen, | |
eine Mehrfachbelastung der Rechtschaffenheit. | |
15 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /TXL-schliesst-endgueltig/!5723462 | |
[2] /Auf-einem-illegalen-Rave-in-Berlin/!5701516 | |
## AUTOREN | |
Sarah Diehl | |
## TAGS | |
Kolumne Berlin viral | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Kind | |
Flughafen Tegel | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Berlin viral | |
Kolumne Berlin viral | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Yoga online hat seine Tücken: Die verzerrte Stimme der Lehrerin | |
Die Pandemie bringt vieles ins Wohnzimmer. Manchmal ahnt man gar nicht, wer | |
zuschaut. Erfahrungen aus einem Yoga Kurs online. | |
November beginnt hart: Die Blätter rauschen. Schlaf kommt | |
Draußen geht alles vor die Hunde. Eine warme Jacke wird gesucht und nicht | |
gefunden. Die Kinder schreiben Wunschzettel. | |
Auf einem illegalen Rave in Berlin: DJ Superspreader | |
Ein bisschen Tanz auf dem Vulkan muss sein. Also nichts wie hin zu Partys | |
auf den Brachen, die es in Berlin überraschenderweise doch noch gibt. |