| # taz.de -- Studie zur Klimabilanz der U-Bahn: Mieses Klima im Untergrund | |
| > Es wird wieder über die Verlängerung von U-Bahnen geredet. Ganz falsch, | |
| > so die Autoren einer Studie: Das erzeuge einen fatalen Klima-Fußabdruck. | |
| Bild: Wegen der Beschaffenheit des Bodens besonders aufwändig: Bau der U5 unte… | |
| Alle lieben die U-Bahn: Schnell, elektrisch und kreuzungsfrei durch den | |
| Untergrund rauschen, das ist gegenüber dem Auto, aber etwa auch gegenüber | |
| Bussen und Trams ein echtes Plus für dieses urbane Verkehrsmittel. Würde | |
| zurzeit nicht die Coronapandemie das öffentliche Leben bestimmen, wäre der | |
| Lückenschluss der U5 am Freitag ein ausgiebig gefeiertes Ereignis, und | |
| Menschenmassen würden sich in die schicken neuen Bahnhöfe drängen, um von | |
| Anfang an mit dabei zu sein. | |
| Tatsächlich dreht sich der politische Wind gerade wieder zugunsten der | |
| U-Bahn: Nachdem Rot-Rot-Grün das Thema in seiner Koalitionsvereinbarung | |
| gänzlich ausgeklammert hatte, wird vor allem seitens der SPD, zunehmend | |
| aber auch bei den Grünen über weitere Verlängerungen bestehender | |
| U-Bahn-Linien gesprochen. Die Opposition ist in Sachen Untergrund sowieso | |
| Feuer und Flamme. Sieben Vorschläge hat die Senatsverkehrsverwaltung | |
| bereits prüfen lassen, unter anderem liegt ihr eine sehr ausführliche | |
| Machbarkeitsstudie zur Weiterführung der Linie U7 bis zum Flughafen BER | |
| vor. | |
| Bislang war das Hauptargument der KritikerInnen gerade bei den Grünen immer | |
| das der immensen Kosten des U-Bahn-Baus. Jetzt kommt ein anderes, nicht | |
| weniger gewichtiges hinzu: [1][Laut einer Studie] – vorgestellt am Mittwoch | |
| vom BUND, der Landes-AG Mobilität der Grünen, dem Fahrgastverband IGEB und | |
| der Initiative Stadt für Menschen – ist dessen CO2-Fußabdruck so immens, | |
| dass sich all diese Pläne von selbst verbieten, wenn der Senat sein | |
| erklärtes Ziel der schnellstmöglichen Klimaneutralität ernst nimmt. | |
| ## Hundert Jahre Klimastress | |
| Eigentlich stehen ja U-Bahnen als Teil des öffentlichen Nahverkehrs für | |
| Nachhaltigkeit. Allein: Ihr Bau verbraucht unter anderem so viel Zement und | |
| Stahl, dass er sich klimatechnisch erst nach vielen Jahrzehnten | |
| amortisiert, so die Autoren der Studie. „Es ist widersinnig, gewaltige | |
| Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen, um dann in hundert | |
| Jahren einen Klimaeffekt zu erzielen“, formuliert es Matthias Dittmer, der | |
| sowohl die Mobilitäts-AG des grünen Landesverbands als auch „Stadt für | |
| Menschen“ vertritt. | |
| Das mit den „hundert Jahren“ ist noch nicht einmal übertrieben, wenn die | |
| sehr ausführlichen Berechnungen der Autoren zutreffend sind. Sie gehen | |
| davon aus, dass sich eine Verlängerung der U9 von der Osloer Straße bis zum | |
| U- und S-Bahnhof Pankow erst in 109 Jahren klimatisch „rechnen“ würde, die | |
| Verlängerung der U6 zum ehemaligen Flughafen Tegel sogar erst in 230 | |
| Jahren. Alle anderen potenziellen Projekte – darunter auch die seit vielen | |
| Jahren diskutierten Verlängerungen der U8 ins Märkische Viertel und der U3 | |
| bis zum S-Bahnhof Mexikoplatz – ordnen sich dazwischen ein. | |
| Eine Menge Faktoren liegen dieser Berechnung zugrunde, wie Autor Axel | |
| Schwipps, selbst Ingenieur für Bau- und Verkehrswesen, erläutert: zum einen | |
| die CO2-Äquivalente, die pro Kubikmeter Beton und Tonne Bewehrungs-Stahl | |
| anfallen – kalkuliert auf der Basis der Baustoffdatenbank Ökobaudat des | |
| Bundesbauministeriums und unter Annahme eines U-Bahn-Baus im offenen | |
| Verfahren, das in Berlin eigentlich üblich ist, bei der neuen U5 aber aus | |
| geologischen Gründen nicht zur Anwendung kam. | |
| 99.000 Tonnen CO2-Ausstoß pro U-Bahn-Kilometer: Das ist laut der Autoren | |
| die „Malus“-Seite. Der damit zu verrechnende „Bonus“ – der Wegfall von | |
| CO2-Emissionen, weil Menschen vom Auto auf die U-Bahn umsteigen – hängt | |
| stark davon ab, wie viele Fahrgäste voraussichtlich die neuen | |
| Linienabschnitte nutzen werden. All das ist in der Studie detailliert | |
| aufgelistet – und sie kommt zu dem Ergebnis, dass all diese Maßnahmen dem | |
| Ziel der Klimaneutralität zuwiderlaufen. | |
| ## Nur keine Neubau-Forderungen! | |
| Die Forderungen der Initiativen und Vereine hinter dem Papier sind | |
| eindeutig: „Wir fordern ein Moratorium beim U-Bahn-Bau, bis | |
| Klimaneutralität hergestellt ist“, so formuliert es Matthias Dittmer. Er | |
| hat beobachtet, dass in der Coronakrise die Politik auf den Rat der | |
| WissenschaftlerInnen hört und auch demgemäß handelt. „Das wünschen wir uns | |
| in diesem Fall auch.“ Im kommenden Wahlkampf sollten die Parteien auf die | |
| Forderung nach neuen U-Bahn-Verbindungen verzichten. Und: „Wir schlagen | |
| vor, alle planerischen Kapazitäten auf die Entwicklung des | |
| Straßenbahnnetzes zu fokussieren.“ | |
| Denn, so die Autoren, die oberirdische Tram habe gegenüber der U-Bahn einen | |
| Vorteil, der ungefähr beim Faktor 10 liegt. „Die Straßenbahn zwischen | |
| Alexanderplatz und Potsdamer Platz hätte sich schon nach 9,4 Jahren | |
| klimatisch amortisiert“, sagt Schwipps. Die Klimabilanz der U5 habe man im | |
| Übrigen nicht mehr nachgerechnet: „Da ist die Messe schon gesungen.“ | |
| Die Senatsverkehrsverwaltung teilte am Mittwoch lediglich mit, die Studie | |
| sei ihr im Vorfeld nicht bekannt geworden. Eine Bewertung sei deshalb | |
| bislang noch nicht möglich gewesen, so ein Sprecher von Senatorin Regine | |
| Günther (Grüne). | |
| 3 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://klimabilanz-ubahn-tram.de/download/klimabilanz-ubahn-tram-2023-01.p… | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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