# taz.de -- Scheine und Münzen als Auslaufmodell: Bares wird Rares | |
> Kontaktlos mit Karte zahlen liegt im Trend, erst recht seit Corona. Doch | |
> Hygiene ist nur Vorwand, um Bargeld durch elektronische Systeme zu | |
> ersetzen. | |
Bild: Hier hat das Kartenzahlen ein Ende: Stand auf einem Berliner Wochenmarkt | |
Brüssel taz | Erst kam die Glasscheibe zum Schutz der Verkäufer. Kurz | |
danach stand an der Kasse auch das Desinfektionsmittel für die Kunden. Und | |
eines Tages war dann das neue Kartenlesegerät da, mit dem mein Bäcker in | |
Brüssel bezahlt werden wollte. „Sie müssen die Karte nicht mehr | |
einschieben, es geht jetzt auch kontaktlos“, sagte die junge Frau hinter | |
der Theke. Das war im Juni. Seither habe ich mein Baguette nicht mehr in | |
bar bezahlt. „Sans cash“ geht es ja auch, und oft sogar schneller. | |
Das Bargeld ist nicht nur in Belgien auf dem Rückzug. Der Trend hat längst | |
auch Deutschland erreicht. „Wenn Bäckereien mit dem Gedanken spielen, | |
neuartige Bezahlvarianten einzuführen, ist jetzt ein guter Zeitpunkt“, sagt | |
der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, | |
Daniel Schneider. | |
Der Trend zum elektronischen Bezahlen sei zwar schon seit Jahren spürbar | |
gewesen, so Schneider. Doch erst die Coronapandemie habe ihn massiv | |
verstärkt. Mit ein paar Groschen aus der Hosentasche, so wie früher, wird | |
beim Bäcker immer seltener bezahlt. Einige Unternehmen helfen sogar noch | |
ein wenig nach – und drängen die Kunden zum elektronischen Zahlen. | |
Wer bei der Bäckerei-Kette Kamps auf Bares verzichtet, bekommt einen | |
„Innovations-Rabatt“ von 3 Prozent. Die Zahlung via Karte oder Smartphone | |
sei nicht nur schneller, sondern auch hygienischer, heißt es dazu bei | |
Kamps. Mit dem Rabatt wolle man allen Kunden Danke sagen, die dem | |
Unternehmen während der Coronakrise die Treue gehalten haben. | |
## Die EU fördert den bargeldlosen Zahlungsverkehr | |
Dabei hat die Pandemie zunächst die Nachfrage nach Bargeld verstärkt. Im | |
März 2020 stieg der Euro-Bargeldumlauf in Deutschland sprunghaft um 36 | |
Milliarden Euro auf 1.344 Milliarden Euro an. Das war der höchste | |
monatliche Zuwachs seit der Finanzkrise im Oktober 2008. Es war eine | |
Angstreaktion – ähnlich wie die anfänglichen Hamsterkäufe beim | |
[1][Klopapier]. Doch kaum, dass sich die Angst ein wenig gelegt hatte, | |
stellten viele Deutsche ihr Verhalten um – und zahlten „kontaktlos“. Nicht | |
nur Kamps half dabei nach. Auch in Supermärkten und Kaufhäusern wird der | |
elektronische Zahlungsverkehr als sichere und schnelle „Hygienemaßnahme“ | |
beworben. | |
Die EU-Kommission in Brüssel stimmt in den Chor ein. Die Coronapandemie | |
habe gezeigt, wie praktisch das bargeldlose Zahlen sei, heißt es in der | |
Brüsseler Behörde. Deshalb werde die EU es künftig noch mehr fördern. | |
Dabei gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis, dass von Münzen und | |
Geldscheinen ein nennenswertes Ansteckungsrisiko ausgeht. Bisher sei noch | |
keine Übertragung durch Banknoten nachgewiesen worden, betont die Bank für | |
Internationalen Zahlungsausgleich in Genf. | |
Es ist auch nicht erwiesen, dass der Verzicht auf Bargeld das Geschäft | |
ankurbelt. Für den selbstständigen Bäcker um die Ecke und andere kleine | |
Geschäfte ist die Umstellung sogar oft mit Einbußen verbunden. Denn die | |
einzelnen Umsätze sind bei ihnen meistens niedrig, der Durchschnitts-Kunde | |
beim Bäcker legt gerade einmal 2,60 Euro auf den Tresen. | |
Wenn so kleine Beträge mit der Karte gezahlt werden, ist die Provision, die | |
der Kartenterminal-Betreiber oder die Bank verlangt (bei EC-Karten sind das | |
meist 0,25 Prozent, bei Kreditkarten bis zu 3 Prozent), häufig höher als | |
die Gewinnmarge des Bäckers. Mit anderen Worten: Es ist ein | |
Verlustgeschäft, mit Karte lassen sich keine großen Brötchen backen. | |
Wenn es keine zwingenden Gründe für die Abschaffung von Münzen und Scheinen | |
gibt – warum wird Bares dann trotzdem immer mehr Rares? Sind da dunkle | |
Mächte am Werk, die uns von Kreditkarten-Konzernen wie Visa und Mastercard | |
abhängig machen wollen? Gibt es eine geheime Lobby des elektronischen oder | |
gar digitalen Geldes? | |
## Ein schleichender Prozess | |
Nein, sagt [2][Norbert Häring], der sich seit Jahren kritisch mit dem Thema | |
auseinandersetzt. Weder am Bankenplatz Frankfurt, wo Häring als | |
Wirtschaftsjournalist arbeitet, noch in Berlin würden Lobbyisten offen für | |
die Abschaffung des Bargelds werben. Das Ganze sei eher ein schleichender | |
Prozess – aber gerade das mache ihn so problematisch. | |
Denn mit der Abschaffung des Bargelds ist auch ein Verlust von Kontrolle | |
verbunden. Nicht die heimische Sparkasse um die Ecke, sondern ausländische | |
Großkonzerne wie Mastercard oder Visa profitieren vom Kartengeschäft. Zudem | |
wird der Käufer zum gläsernen Kunden. Jede Transaktion hinterlässt Spuren, | |
der Datenschutz wird zum Problem. | |
Die Anhänger neuer Zahlungsmittel treten denn auch nicht offen für die | |
Abschaffung des Bargelds ein, schon gar nicht in Deutschland, wo die | |
Menschen ganz besonders an „ihrem“ Geld hängen. Die Bundesbank und der | |
Bundestag wachen hierzulande mit Argusaugen darüber, dass die Versorgung | |
mit Bargeld gesichert ist. | |
Doch ausgerechnet diese beiden Institutionen arbeiten hinter den Kulissen | |
auch daran, den Zahlungsverkehr zu entmaterialisieren. Im Namen des | |
technologischen Fortschritts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit | |
werden die Weichen für eine „Welt ohne Bargeld“ gestellt. | |
## Normale Bürger nicht gefragt | |
Deutlich zeigte sich dies bei einer Anhörung des Bundestags im Juni. | |
Geladen waren vor allem Vertreter der IT-Branche, Ingenieure und | |
Finanzexperten. Einfache Bürger wurden nicht gefragt, Handel und | |
Verbraucher spielten nur eine Nebenrolle. Einer der wenigen Mahner war | |
Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland. Im Handel rücke der | |
„Kipppunkt“ immer näher, an dem das Bargeld an den Rand gedrängt wird, sa… | |
er. „Zu Beginn der Coronapandemie nahm man das Kippen des Systems in Kauf“, | |
klagt Binnebößel – und fordert mehr Einsatz der Politik für das Bargeld. | |
Die Zahlen geben Binnebößel recht. Schon 2018 wurde in Deutschland mehr | |
Geld per Karte ausgegeben als in Cash. Die Kartenzahlungen lagen damals mit | |
209 Milliarden Euro erstmals knapp vor den Bargeldbeträgen (208 | |
Milliarden). Seither hat sich der Trend immer mehr verstärkt, Corona könnte | |
das System vollends zum Kippen bringen. | |
Für viele Digital Natives kann dieser Kipppunkt, an dem das Bargeld | |
endgültig ins Hintertreffen gerät und die Portemonnaies und Brieftaschen | |
verschwinden, nicht schnell genug kommen. Deutschland hinke im Wettbewerb | |
mit den USA und China hinterher, so ihr Argument. | |
## Konkurrenz zum Euro aus den USA | |
Er sorge sich nicht um das Bargeld, sondern vor allem darum, dass | |
Deutschland den digitalen Anschluss verlieren könnte, sagt Kurosch D. | |
Habibi vom Bundesverband Deutscher Start-ups. US-Internetkonzerne wie | |
Amazon würden jetzt schon vormachen, wie man sich auch als Plattform für | |
finanzielle Transaktionen positionieren könnte. „Wenn wir das nicht machen, | |
dann machen es andere“, mahnte der auf „Fintech“ spezialisierte Experte b… | |
der Anhörung im Bundestag. Als warnendes Beispiel gilt Facebook, das mit | |
seiner [3][Kryptowährung] Diem auch in Deutschland und der EU abkassieren | |
will. | |
Das macht auch Politikern Sorge. Sie bekennen sich zwar zum Bargeld, rufen | |
jedoch gleichzeitig nach Alternativen. Auch der linke Bundestagsabgeordnete | |
[4][Fabio De Masi] fordert, einen „digitalen Euro“ zu schaffen – also eine | |
elektronische Form von Zentralbankgeld, für das die Bundesbank einstehen | |
würde | |
„Der digitale Euro ist die einzige Chance, die zunehmende Finanzmacht von | |
Facebook & Co. einzugrenzen“, so De Masi, der sich in der Wirecard-Affäre | |
einen Namen gemacht hat. Er sei zwar keine Garantie gegen Geldwäsche und | |
organisiertes Verbrechen, wie die Anhänger von digitalen Währungen gern | |
behaupten – könne der EU aber helfen, sich gegen die USA zu behaupten. | |
Während man in Berlin noch diskutiert, werden in Brüssel schon Fakten | |
geschaffen. Wohin die Reise geht, hat EU-Finanzkommissar [5][Valdis | |
Dombrovskis] im September skizziert. „Die Zukunft des Finanzwesens ist | |
digital“, erklärte er – und schlug vor, nicht nur neue, EU-weite | |
elektronische Zahlungssysteme einzuführen, sondern auch gleich den | |
„digitalen Euro“. | |
Ein Angriff auf die analoge Währung sei das nicht, betonte die Brüsseler | |
Behörde. Man setze sich dafür ein, dass „Bargeld sowohl zugänglich als auch | |
allgemein akzeptiert bleiben sollte“, sagte ein Sprecher der taz. | |
Schließlich sei der Euro das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in der | |
Eurozone. | |
Doch diesen Worten folgten keine Taten, die Bestandsgarantie steht nur auf | |
dem Papier. Gegen die Flut von digitalen Kartenlesegeräten und Bezahl-Apps, | |
die dem Baren den Garaus machen, unternimmt Brüssel ebenso wenig wie gegen | |
die schleichende Abschaffung von Geldautomaten oder die Schließung von | |
Bankfilialen. | |
Umso eifriger arbeiten EU-Kommission und Europäische Zentralbank (EZB) | |
daran, digitale Alternativen zum Baren voranzutreiben. Kommissionschefin | |
Ursula von der Leyen hat die Digitalisierung zu einer Top-Priorität erklärt | |
– gleich nach dem Klimaschutz. EZB-Präsidentin [6][Christine Lagarde] hat | |
dafür sogar eine Kehrtwende hingelegt. | |
Bei ihrem Amtsantritt vor einem Jahr war die Französin noch strikt gegen | |
einen digitalen „E-Euro“. Nun setzt sie sich an die Spitze der Bewegung. | |
Der Euro müsse „fit für das digitale Zeitalter“ werden, erklärte Lagarde… | |
Oktober. Ein E-Euro würde alltägliche Zahlungen schneller, einfacher und | |
sicherer machen, lockt die EZB. Spätestens Mitte 2021 soll es so weit sein. | |
Begründet wird die Eile damit, dass Facebook seine Digitalwährung Diem | |
schon im Januar an den Start bringen könnte. Der US-Konzern plant eine | |
digitale Münze, die an den Dollar angebunden wird. Dieser digitale Dollar | |
könnte das Monopol des Euro infrage stellen, fürchtet die EZB – und will | |
ihm so schnell wie möglich etwas entgegensetzen. | |
Dabei bleiben Transparenz und Demokratie auf der Strecke. Die EZB hat zwar | |
eine öffentliche Anhörung zum „digitalen Euro“ gestartet, ein Meinungsbild | |
wird aber erst Anfang 2021 erwartet. Doch hinter den Kulissen arbeiten | |
Expertengruppen schon fieberhaft an der Einführung. Vor allem eine Frage | |
treibt die Experten um: Soll das digitale Geld nur den Zentral- und | |
Geschäftsbanken zur Verfügung stehen – oder auch den Bürgern? | |
Wenn der E-Euro nur bankintern verwendet wird, dürfte das den meisten | |
Menschen ziemlich egal sein. Wenn er aber auch Otto Normalbürger zur | |
Verfügung steht, wird das Bargeld noch entbehrlicher. Sogar Sparguthaben | |
könnten digital angelegt werden. Der gute alte Sparstrumpf wäre dann ebenso | |
überflüssig wie das Portemonnaie. | |
1 Dec 2020 | |
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[1] /Supermarktleiter-ueber-Klopapier-Hype/!5703173 | |
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[6] /Kommentar-Lagarde-als-EZB-Chefin/!5605120 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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