# taz.de -- Fünf Jahre nach Bataclan-Anschlag: Wunden, die nicht heilen wollen | |
> Tausende versuchen bis heute, einen Umgang mit dem Trauma zu finden. | |
> Präsident Emmanuel Macron will härter gegen Gefährder durchgreifen | |
Bild: Trauernde nach Bataclan-Anschlag am 13. November 2015 in Paris | |
PARIS taz | Fünf Jahre nach den Anschlägen im Konzertsaal Le Bataclan, in | |
mehreren Cafés und im Stade de France ist der Terror in Frankreich | |
weiterhin gegenwärtig. Die Attentatsserie mit 130 Toten und mehr als 400 | |
Verletzten am 13. November 2015 hat das ganze Land nachhaltig geschockt. Es | |
bleibt die schlimmste Terrorwelle seit dem Zweiten Weltkrieg. | |
Im Januar soll ein Prozess gegen 20 Angeklagte beginnen. Das ist besonders | |
wichtig für die Überlebenden, denn in Frankreich sind es Tausende, die als | |
Opfer der Terroranschläge der letzten Jahre mit ihren traumatischen | |
Erlebnissen umgehen müssen. Ein großer Teil von ihnen hat Angehörige oder | |
Freunde verloren, viele wurden verletzt und müssen mit Behinderungen oder | |
psychischen Folgen leben. | |
„Mein Leben wurde in kleine Stücke gerissen“, erinnert sich der Gastwirt | |
Grégory Reibenberg in einem Gespräch mit dem Magazin Elle. „Um dem | |
standzuhalten, musste ich aktiv sein und etwas tun. Für meine Tochter Tess, | |
die beim Attentat ihre Mutter verloren hat, für mein Team und für mich | |
selbst.“ | |
Reibenberg saß am 13. November 2015 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und | |
seinem Geschäftspartner auf der Terrasse seines Restaurants La Belle | |
Équipe, als ein Terrorist das Feuer eröffnete, bevor wenig später zwei | |
andere Fanatiker im Konzertsaal Le Bataclan, wo die Gruppe Eagles of Death | |
Metal auftrat, ein fürchterliches Blutbad anrichteten. Er und sein | |
Geschäftspartner haben den Anschlag überlebt, doch die Erlebnisse bleiben | |
präsent. „Ich fühle mich heute als Überlebender, weniger als Opfer“, sagt | |
sein Partner. Vergessen kann er nicht, verdrängen vielleicht. | |
## „In der Seele verletzt“ | |
Der Bankier Arthur Dénouveaux war damals im Bataclan, überlebte, fühlt sich | |
aber heute „in der Seele verletzt“. Zusammen mit anderen hat er die | |
Hilfsorganisation Life for Paris gegründet, deren Zweck es ist, den | |
Terroropfern psychologische Unterstützung und Hilfe bei Gesuchen um | |
Entschädigung durch den staatlichen Fonds für die Opfer des Terrorismus zu | |
gewähren. Wie Reibenberg spricht er davon, dass ihm diese geschäftige | |
Aktivität hilft. Mit dem Geld, das er selbst vom Fonds erhalten hat, hat er | |
in ein Musiklabel investiert, das er nach dem Notausgang im Bataclan | |
benannt hat, der sein Fluchtweg war: Left Front Door Records. | |
Der bekannte [1][französische Psychiater Boris Cyrulnik] hat dazu das | |
Konzept der Resilienz als Bewältigungsstrategie entwickelt, das in | |
Frankreich oft im Zusammenhang mit den Überlebenden der Attentate zitiert | |
wird. „Der Begriff Opfer ist zu juristisch und verfestigend. Diese Menschen | |
sind keine Kranken, es geht nicht um Heilung. Die Resilienz ermöglicht es | |
ihnen, nicht von der Vergangenheit beherrscht zu bleiben, sondern eine neue | |
Form der Existenz zu wählen“, beschreibt Cyrulnik seine Theorie. | |
[2][Dominique Szepielak, Psychologe der Hilfsorganisation Association | |
française des victimes du terrorisme], äußert seine Bewunderung für diese | |
Menschen, die gestärkt aus ihrer schlimmsten Erfahrung hervorgehen: „Die | |
überwiegende Mehrheit besinnt sich (…) auf die eigenen Werte und lehnt den | |
Teufelskreis von Gewalt und Leiden ab.“ Auch die französische Gesellschaft | |
hat bisher eher mit Solidarität auf Basis gemeinsamer Werte als mit | |
Ressentiments reagiert. | |
Natürlich haben die Terrorattacken in Frankreich zu einer verstärkten | |
Überwachung von radikalen Islamisten geführt. Dazu wurden | |
Ausnahmebestimmungen des 2015 dekretierten Notstands in die Gesetzgebung | |
übernommen. Nach den jüngsten Anschlägen in Paris, Conflans-Sainte-Honorine | |
und Nizza möchte der Innenminister rund 50 Vereinigungen verbieten und | |
Moscheen, wo Hassprediger auftreten, schließen. Rund 230 bei den Behörden | |
wegen ihrer Kontakte zu Islamisten registrierte Ausländer sollen in ihre | |
Herkunftsländer abgeschoben werden. Präsident Emmanuel Macron möchte auch | |
die EU-Partner zu einem gemeinsamen und härteren Vorgehen einspannen. Die | |
Republik will nicht den Eindruck erwecken, auf die Bedrohung mit Naivität | |
zu reagieren. | |
## Anschläge hinterließen Spuren im Verhalten der Pariser | |
Die Anschläge, die schlagartig in den Alltag eingebrochen sind, haben vor | |
allem im Verhalten der Pariser Spuren hinterlassen. Viele meiden | |
Ansammlungen, schauen sich beim Besteigen der Metro um oder halten nach | |
verdächtigen Objekten Ausschau. Der Angriff auf die Redaktion von Charlie | |
Hebdo und die Attentatsserie vor fünf Jahren haben aber auch den | |
Überraschungseffekt vermindert. Wenn täglich in den Straßen Polizisten und | |
Soldaten patrouillieren, wird vielen Parisern bewusst, dass jeden Tag mit | |
einem Attentat gerechnet werden muss. | |
13 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://france3-regions.francetvinfo.fr/provence-alpes-cote-d-azur/boris-cy… | |
[2] https://www.jdpsychologues.fr/auteurs/szepielak-dominique | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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