# taz.de -- Prozessbeginn „Charlie Hebdo“-Anschlag: Komplizen vor dem Kadi | |
> 14 Personen stehen wegen Beihilfe zum Anschlag in Paris auf das | |
> Satire-Blatt „Charlie Hebdo“ vor Gericht. Das Magazin druckt die | |
> Karikaturen erneut. | |
Bild: Jährliches Gedenken an den Anschlag am 7. Januar 2015 | |
Paris taz | Mehr als fünf Jahre sind vergangen und doch ist die Erinnerung | |
an die terroristischen Attentate von Paris 2015 frisch wie eine unverheilte | |
Wunde. Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen 14 Personen, die Beihilfe | |
geleistet haben sollen zu den [1][Anschlägen gegen die Satirezeitung | |
Charlie Hebdo sowie gegen das Geschäft Hyper Cacher]. | |
Elf Personen – darunter die bekanntesten Karikaturisten des Landes sowie | |
der Redaktionsleiter und Zeichner Stéphane Charbonnier (Charb) – waren bei | |
dem Überfall gestorben, der als brutaler Angriff auf die Presse- und | |
Meinungsfreiheit in die Geschichte eingegangen ist. Der Anschlag auf Hyper | |
Cacher, ein Lebensmittelgeschäft mit jüdischen Spezialitäten, war ein klar | |
antisemitisch motiviertes Verbrechen. | |
Vor Gericht stehen nun nicht [2][die Brüder Said und Chérif Kouachi], die | |
am 7. Januar 2015 in der Redaktion von Charlie Hebdo das Blutbad | |
anrichteten, und auch nicht Amedy Coulibaly, der am 8. Januar zuerst eine | |
Polizistin erschoss und am Tag darauf bei der Geiselnahme im Hyper Cacher | |
vier Menschen tötete. Alle drei kamen bei Schusswechseln mit der Polizei | |
ums Leben. | |
Auf der Anklagebank sitzen elf mutmaßliche Helfer. Gegen weitere drei wird | |
in Abwesenheit verhandelt. Ob diese – Coulibalys ehemalige Lebensgefährtin | |
Hayat Boumeddiene und die beiden Brüder Mohammed und Mehdi Belhoucine, die | |
sich allesamt in Syrien dem Dschihad angeschlossen hatten – überhaupt noch | |
am Leben sind, ist nicht bekannt. Da keine offizielle Bestätigung ihres | |
Todes vorliegt, soll im hochmodernen Pariser Justizpalast an der Porte de | |
Clichy am Mittwoch auch gegen sie die Anklageschrift verlesen werden. | |
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, den drei Terroristen bei | |
der Beschaffung von Waffen und anderem Material sowie der Vorbereitung der | |
Attentate geholfen zu haben. Als Schlüsselfigur unter den mutmaßlichen | |
Komplizen gilt nach Ansicht der Ermittler der aus der Türkei stammende | |
35-jährige Ali Riza Polat. Er soll in engem Kontakt mit Coulibaly gestanden | |
haben und wohnte wie dieser im Pariser Vorort Grigny. Polats Name fällt | |
laut Anklage „zu jedem Zeitpunkt der Vorbereitung der terroristischen | |
Aktionen“. Von anderen Angeklagten wurden angeblich DNA-Spuren auf den | |
Waffen entdeckt. | |
Für die Verhandlungen, die voraussichtlich bis November dauern werden, | |
wurden außerordentliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Da sie von | |
historischer Bedeutung sind, wird der ganze Prozessverlauf aufgezeichnet. | |
Die Zeitung Charlie Hebdo wird den Prozess als Nebenklägerin besonders | |
intensiv verfolgen. Die Publikation gilt mehr denn je als Symbol der | |
Pressefreiheit und des Kampfes gegen religiöse Intoleranz und für das Recht | |
auf Blasphemie. Der bei Solidaritätskundgebungen von 2015 gehörte Kampfruf | |
„Ich bin Charlie!“ bleibt in Frankreich aktuell. Mehrere prominente | |
Mitarbeitende haben jedoch nach dem Attentat aufgrund von | |
Meinungsverschiedenheiten die Redaktion verlassen. | |
Dabei ging es auch um die Frage, was mit dem vielen Geld geschehen solle, | |
das die Publikation – abgesehen von zahlreichen Neuabos – nach dem Anschlag | |
zur Unterstützung der Pressefreiheit erhalten hatte. Die Rede war damals | |
von fast fünf Millionen Euro Spenden. Ein Teil der Redaktionsmitglieder | |
befürchtete einen Missbrauch und forderte von der neuen Zeitungsspitze in | |
einem offenen Brief in der Zeitung Le Monde unter dem Titel „Das Gift der | |
Millionen“ mehr Transparenz bei der Verwendung der Gelder. | |
Auch fünf Jahre nach dem Attentat auf Charlie Hebdo bleibt zudem die | |
Debatte aktuell, wo beim bissigen Humor oder der Verhunzung der religiösen | |
Fanatiker die Grenzen des Geschmacks verlaufen oder gar die Missachtung der | |
Glaubensfreiheit beginnt. Die Autorin und Charlie Hebdo-Mitarbeiterin Zineb | |
El Rhazoui, die erklärt hat, wegen ihrer Islamkritik regelmäßig | |
Morddrohungen erhalten zu haben, hat die Zeitung verlassen. | |
Sie habe – auch von links – zu wenig Solidarität im Zusammenhang mit den | |
Anfeindungen erhalten, erklärte sie. Ihr wurde Islamophobie vorgeworfen. In | |
einem Interview mit Le Figaro sprach sie von der Gefahr der „Islamisierung | |
der Gesellschaft“ und lehnte Multikulturalismus als Ergebnis einer | |
gescheiterten Integration ab. | |
Zum Repertoire von Charlie Hebdo gehören seit Langem auch | |
Mohammed-Karikaturen. Ob diese für die islamistischen Terroristen und ihre | |
Komplizen ausschlaggebend waren, wird möglicherweise im Prozess geklärt. | |
Charlie Hebdo setzte die umstrittenen Mohammed-Karikaturen zum | |
Prozessbeginn diese Woche nochmals auf die Titelseite, mit der Schlagzeile: | |
„Das alles deswegen?“ | |
Für kommendes Jahr ist bereits ein noch größerer Prozess angesetzt. Dabei | |
wird es um die mörderischen Dschihadisten-Anschläge im November 2015 im | |
Pariser Bataclan-Konzertsaal sowie gegen mehrere Cafés und vor dem Stade de | |
France in Saint-Denis gehen. | |
1 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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