# taz.de -- Corona und die Berliner Restaurants: Schon wieder brotlos | |
> Im Mai traf die taz GastronomInnen in ihren leeren Restaurants, im Juni | |
> wieder bei gutem Betrieb. Wie läuft es bei ihnen jetzt? | |
Bild: Inhaberin Lale Yanik in ihrem Restaurant Osmans Töchter in Berlin Prenzl… | |
Mengling Tang, die Chefin eines der besten chinesischen Restaurants in | |
Berlin, wirkt wie unter Strom. Nicht dass sie nicht schon wüsste, wie es | |
sich anfühlt, jeden Tag in einem leeren Riesenrestaurant wie ihrem zu | |
sitzen und bang auf die Bestellungen zu warten. „Trotzdem ist es anders als | |
[1][beim letzten Mal]“, sagt die Inhaberin der Peking-Ente in der | |
Voßstraße. „Wir haben einen langen Winter vor uns.“ | |
Etwa eine Viertelstunde hat sie Zeit für dieses Gespräch. Mehr noch als im | |
Frühjahr versucht die 45-Jährige seit Anfang November jeden Abend ihre | |
Stammkunden bei Laune zu halten – und berichtet von abenteuerlichen | |
Lieferfahrten nach Schönefeld und Tempelhof, zurück zu ihrem Restaurant in | |
Mitte, dann weiter nach Prenzlauer Berg, Friedrichshain, am Ende bis nach | |
Lichtenrade. | |
Tang ist kein Fan von Essen in Plastikschüsseln. Gute chinesische Küche | |
muss noch kochen und zischen, wenn sie auf den Tisch kommt. Aber: „Alles | |
ist besser, als zu Hause zu sitzen und zu grübeln“, sagt sie. | |
Anders als viele GastronomInnen hat sie die Schwere des Winters | |
vorausgesehen. In der Hoffnung auf staatliche Hilfe, die auch beim letzten | |
Mal kam, fiel es ihr dennoch leichter, fast alle Mitarbeiter in Kurzarbeit | |
zu schicken. Das Trinkgeld, das sie bei ihren Lieferungen erhält, gibt sie | |
komplett an die MitarbeiterInnen ab. | |
## Es herrscht Panik | |
Den 19.000 Gaststätten, Kneipen, Cafés, Bars, Eisdielen und Caterer in | |
Berlin droht eine riesige Pleitewelle, und das nicht erst seit dem | |
neuerlichen Shutdown im November. „Es herrscht Angst, Existenzangst, zum | |
Teil auch schon Panik“, sagt Thomas Lengfelder vom Berliner Hotel- und | |
Gaststättenverband. Viele RestaurantbesitzerInnen hängen auch am Tourismus | |
– und dieser hatte sich in Berlin auch im Sommer nicht richtig erholt. Im | |
Augenblick sind 5 Prozent der Betten belegt – da Geschäftsreisen noch | |
erlaubt sind. | |
Hinzu kommt, dass laut Statistischem Bundesamt etwa zwei von drei | |
Beschäftigten in der Gastronomie für Löhne unterhalb des Niedriglohns | |
arbeiten und darum dringend auf Trinkgeld angewiesen sind. | |
In Berlin arbeiten 34.000 MinijobberInnen in der Gastronomie. Das sind mehr | |
als in allen anderen Branchen der Stadt. Die trifft es nun besonders hart, | |
denn sie haben weder Anspruch auf Kurzarbeiter- noch auf Arbeitslosengeld. | |
Das Restaurant, das Tang führt, hat sie von den Eltern übernommen. Tangs | |
Eltern, er Ingenieur und sie Lehrerin, kamen 1989 nach Berlin nach der | |
blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking. „Sie haben in | |
China alles liegen lassen, ihr Leben für die Freiheit aufgegeben“, sagt | |
sie. Das Restaurant, das die Eltern 1999 eröffnen konnten und das sie nun | |
weiterführt, sei ihr Lebenswerk – dafür reißt sie sich auch mal ein Bein | |
aus. | |
## Warten auf die Überbrückungshilfe | |
Wenn sie das erzählt, wirkt Mengling Tang ein wenig verloren in den großen | |
Räumlichkeiten ihres Restaurants, in dem es sonst so lebendig ist. Derzeit | |
erzielt sie 25 Prozent ihres durchschnittlichen Umsatzes im November – und | |
wartet sehnsüchtig auf die Überbrückungshilfen, die ihr Steuerberater noch | |
diesen Monat hofft beantragen zu können. | |
In Aussicht stehen 75 Prozent des durchschnittlichen Novembereinkommens. | |
„Es wird jetzt eng“, sagt die Gastronomin, „aber wenn das Geld so kommt w… | |
angekündigt, werden wir überleben.“ | |
Sie hat Verständnis dafür, dass nicht alles, was die Politik entscheidet, | |
immer Sinn ergibt. „Es ist zu wenig Zeit für die Analyse“, sagt sie. | |
Trotzdem mache sie sich Sorgen, wie lange das noch funktionieren kann. | |
„Als ob man in einen Tunnel sieht, aber ohne Licht am Ende“, sagt auch Lale | |
Yanik, 52, eine der beiden Chefinnen der Restaurants Omans Töchter in der | |
Pappelallee in Prenzlauer Berg und in der Wielandstraße in Charlottenburg. | |
## Es hat sich nicht gerechnet | |
Anders als im Frühling hat sie gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Arzu | |
Bulut entschieden, bei diesem Shutdown kein Essen zum Abholen und Liefern | |
anzubieten. „Es hat sich für uns nicht gerechnet, und wir wollten nicht | |
schon wieder ein so hohes Risiko eingehen“, sagt sie mit einem traurigen | |
Blick in ihr schönes, aber wie ausgestorben wirkendes Restaurant für | |
moderne, frische türkische Küche. | |
Die Geschäfte liefen gut bis zur Krise: „Hier in der Pappelallee war seit | |
Eröffnung acht Jahre lang Action, an 363 Abenden im Jahr.“ Umso schwerer | |
fiele es jetzt zu kalkulieren, da nur noch Essen auf Bestellung ginge. Wie | |
viele Menschen soll man einstellen, wie viel soll man einkaufen, wenn man | |
nicht weiß, wie der Abend wird? | |
Yanik kann zwar nachvollziehen, dass es nun wieder die Gastronomie | |
getroffen hat, findet es aber trotzdem ungerecht. „Wir haben uns sehr | |
gewissenhaft an alle Auflagen gehalten, sogar Luftfilter bestellt, aber was | |
soll man machen“, seufzt sie. | |
Dass Berlins Regierender Michael Müller vor einer Woche den Gaststätten | |
oder Theatern etwas Hoffnung auf etwaige vorsichtige Lockerungen machte? | |
Das beeindruckt sie wenig. „Die Menschen haben im Augenblick zu viel Angst | |
vor geschlossenen Räumen“, sagt sie. | |
## Von Monat zu Monat hangeln | |
Trotzdem akzeptiert sie die aktuellen Schließungen und fühlt sich noch | |
immer gut aufgefangen. Im Augenblick arbeitet sie mit ihrer | |
Geschäftspartnerin auf Hochtouren daran, einen lange anvisierten Webshop | |
für Meze im Glas an den Start zu bekommen, türkische Vorspeisen also. | |
Vielleicht gar keine so schlechte Idee in einer Zeit, wo ganze Branchen | |
plötzlich brotlos werden, die seit Jahrzehnten ziemlich krisensicher | |
erschienen, und wo sich nun alle von Monat zu Monat hangeln. | |
Der Mann, der von den drei besuchten GastronomInnen trotz allem noch am | |
hoffnungsvollsten wirkt, ist ausgerechnet der Besitzer des Restaurants | |
Firenze in der Pankower Florastraße. Mario Dzeladini ist 59 Jahre alt. Er | |
ist in Mazedonien aufgewachsen und seit 1980 in Berlin. „Ich habe von ganz | |
unten angefangen“, sagt der stattliche Mann mit sonnigem Lächeln. | |
Genau vor 20 Jahren hat er sich dann selbstständig gemacht, hier mit dem | |
Firenze. „Meine Mitarbeiter: Sie sind meine Familie“, sagt er. Im Mai hatte | |
er sie in die Arbeitslosigkeit entlassen, weil er nichts von Kurzarbeit | |
wusste. Im [2][Sommer] hat er alle wieder eingestellt – und in Kurzarbeit | |
geschickt. | |
## Diesmal läuft es weniger gut | |
Damals hatte Dzeladini berichtet, dass manche Stammkunden Gutscheine | |
gekauft oder gar Privatkredite angeboten hatten. Diesmal läuft es weniger | |
gut. Vielleicht weil eine Art Gewohnheitseffekt eingetreten ist – oder auch | |
weil die Angst langsam umgeht, dass die Zeiten allmählich wirklich mager | |
werden könnten. Derzeit macht er zwischen 12 und 15 Prozent des normalen | |
Umsatzes. | |
Dzeladini hätte nach der Wiedereröffnung seines Restaurants nie gedacht, | |
dass es einen zweiten Shutdown geben könnte. Er ist zuversichtlich, dass er | |
bald wiedereröffnen darf, nicht erst im Frühjahr. Beim letzten Shutdown hat | |
er den vorderen Raum renoviert, bei diesem ist der hintere dran. Selbst | |
wenn es derzeit möglich wäre, einfach das Weite zu suchen: Er hätte gar | |
keine Lust dazu. „Urlaub ist nicht meine Stärke“, sagt er. | |
Und beschwert sich prompt bei der verbliebenen Kellnerin, dass es plötzlich | |
im Gastraum verbrannt riecht. Der Koch kämpft gerade mit den Pizzablechen | |
und hat vergessen, den Abzug anzuschalten. | |
24 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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