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# taz.de -- Schauspielerin Helga Feddersen: Spaß und Sinn
> Vor 30 Jahren starb Helga Feddersen. Wer sich ihrem Werk heute nähert,
> kann eine grandiose realistische Künstlerin entdecken.
Bild: Helga Feddersen in Hamburg, 1979
Wie kann dieser Text hier begonnen werden? Wie kann an eine Frau erinnert,
wie sie gewürdigt werden, die über viele Jahre im deutschen Fernsehen sehr
präsent war? Über deren Prunkstück, das von ihr geschriebene Fernsehspiel
„Vier Stunden von Elbe 1“, Sven Regener von Element of Crime 1991 ein Lied
mitgeschrieben hat, wenige Monate nach ihrem Tod vor 30 Jahren, [1][ein
Stück Ultrawehmut.] Von dem Regener beteuert, es handele sich nicht um
Grabpflege für die Frau, der er denn doch einen Nachruf mitgegeben hat, der
fast für die Ewigkeit taugt: „Drüben am Horizont verschwindet eine
Landschaft / Ein Schnitt in die Brust ist der Abschied, / doch diesmal
fällt er aus / Ich will mehr für dich sein als eine
Schleusenbekanntschaft.“
Ja, und was ist das nun – mit Helga Feddersen? Ist es ein Artikel, der
nötig ist, weil Autor und Erinnerte den gleichen Familiennamen tragen? Das
war mir immer nur eine Kuriosität einer, geprüft in vielen
Kirchentaufregistern bis ins Dithmarschische, nicht vorhandenen
Verwandtschaft – egal. Der Jahrestag selbst kann auch kein Anlass sein:
Machen wir eigentlich fast nie, zu Todestagen im niedrigen zweistelligen
Bereich Nachrufe, das ist noch nicht lang genug her.
Kürzlich zeigte der manchmal jahrestagbewusste NDR eine Dokumentation über
sie unter dem Titel „Eine norddeutsche Ulknudel“, [2][die viel bessere
Langfassung findet man auf Youtube.] „Ulknudel“: Was nur eine
mediengerechte Markierung ist, das klingt auch ein wenig herablassend,
irgendwie auch wie „kulturell unzurechnungsfähig“, aber als solche kannte
sie eben ein Millionenpublikum, sie fühlte sich keineswegs in diesen eher
komödiantischen Parts falsch gesehen – so von wegen: Ich bin doch eine
ernsthafte Schauspielerin, reduziert mich doch nicht auf U, also auf das
künstlerisch Falsche.
Sie sei weder E noch U, mehr Ü, sagte sie in einer Talkshow in den
Achtzigern – was auch immer sie mit dieser gekreuzten Buchstabenidentität
sagen wollte. Vielleicht dies: Ich wollte Schauspielerin werden, auf der
Bühne stehen, mich nicht kleinkriegen lassen, ich wollte Spaß und Sinn,
also habe ich gekämpft um alle Gelegenheiten.
## Drastische Zeitkritik
Und es waren ja auch keine schlechten, nur eben keine, die den Hunger der
Kulturreligiösen nach Erhabenheit hätte stillen können: Gigs der
schlagereskesten Art mit Didi Hallervorden („Die Wanne ist voll“, derb bis
vollhorstig), Sketche mit Karl Dall und vor allem die „Plattenküche“ mit
Frank Zander, mit ihm auch das scharfe Witzformat „Abramakabra“, gegen das
heutiges Kabarett, und sei es von Jan Böhmermann oder Anke Engelke, eher
gefönt, sittsam und viel zu cool sich ausnimmt: Zeitgeistkritik des
drastischen, manchmal brutalen Strickmusters.
1930 geboren in Hamburg, Tochter in einem Seemannsausrüstungsgeschäft, kein
bildungsbürgerlicher Hintergrund, Schauspielschule 1950, erste kleine
Rollen, nie eine im Mittelpunkt, dafür Kleines, aber Beeindruckendes in
zwei „Stahlnetz“-Folgen („Haus an der Stör“), der ARD-Serie vor dem
„Tatort“, hier und da kleinere Auftritte, auch in der Verfilmung von Thomas
Manns „Buddenbrooks“ 1959, es war alles dabei – von, allerdings nie
körperlich nackt, Softpornostreifen bis zu Peter Weiss’ TV-Verfilmung 1967
von „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“.
Sie hätte immer gern, sagte sie, etwas von Maria Schell gehabt oder von
Ruth Leuwerik, den weiblichen Stars der fünfziger Jahre, diese gewisse Art,
die das Publikum im Wirtschaftswundertraumkino an Frauen so begehrte, das
Romantische, Leidende, Zurückgenommene, wie durch Tabletten trancierte
Gestalten, kaum zu eigenverantwortlichem Handeln fähig und es auch nicht
wollend.
Helga Feddersen hatte indes, ihrem Manko, zum Seelchen oder zur patenten
Geliebten nicht taugend, zum Trotz, auch eine tatsächliche, sehr
persönliche Tragödie zu verkraften. Mitte der Fünfziger stellte sich ein
Geschwür am Hals als ein Tumor heraus, der zwar herausoperiert werden
konnte, erfolgreich, aber ihre Gesichtsnerven schädigte. Freilich: ein
schiefes Gesicht, wie sie selbst sagte, ist an ihr nicht zu erkennen – aber
das Selbstbild, das schien ein anderes.
## Frauen, dämonisiert
Ich ging, erzählte sie einmal, immer mit etwas gesenktem Kopf, damit meine
lange Nase und mein Gesicht immer etwas im Schatten blieben. Dabei sah es
immer interessant aus, mimisch feinsinnig und gestisch eher, was nur für
sie sprach, sparsam posierend. Man möchte sie sich unbedingt in einer Rolle
vorstellen, in der sie eine Mörderin gibt, die nicht resozialisierbar ist,
weil sie die Tat, etwa die Tötung des eigenen Ehemannes, nicht bereuen
will. Auch das hätte sie gekonnt, aber das Böse war im deutschen Film,
gleich wo, bei Frauen immer schon nur dämonisiert denkbar, nicht als
Haltung des Eigenen und zur Bewältigung von Realität.
Mitte der sechziger Jahren heiratete sie („Ich war bis dahin Junggesellin,
wenn auch keine Jungfrau“) den NDR-TV-Dramaturgen Götz Kozuszek. Er
ermunterte sie, ein weiteres ihrer Talente zur Welt bringen, das der
Autorinnenschaft. Heraus kam 1968 der Auftakt der TV-Legende „4 Stunden von
Elbe 1'“. Eine verwickelte Geschichte um das Leben von Menschen rund um den
Lotsenstützpunkt an der Elbe bei Brunsbüttel, besser: um Seefahrerfrauen,
die auf ihre Männer warten. Diese drei Filme (es folgten noch „Gezeiten“
und „Im Fahrwasser“), zwei davon von der Doku-Gottheit Eberhard Fechner
verfilmt, mögen zunächst nostalgische Gefühle wecken: Ach, guck mal, so war
Fernsehen früher – und wie nett, die Nordsee … und all die Schiffe.
Um es apodiktischer zu formulieren: Alle drei Teile sind im Grunde
Frauenfilme, Stücke, in denen Frauen überhaupt ernstzunehmende, nicht nur
männerwartende Rollen spielen, in denen sie eigene Handlungsmöglichkeiten
haben und sie auch realisieren; es sind Filme, in denen Frauen überhaupt –
und das war die Zeit, als das Wort „Feminismus“ nicht einmal existierte –
mehr als nur Nelkenbouquetempfängerinnen waren.
„Vier Stunden von ‚Elbe 1‘“ (auf DVD inzwischen erhältlich) war ästhe…
näher an Rainer Werner Fassbinders bester Arbeit „Acht Stunden sind kein
Tag“ dran, verwandte mit den proletariatsorientierten Arbeiten des Briten
Ken Loach, allerdings ohne dessen Kitschappeal: Menschen, die, so fühlt es
sich an, echtes Blut in sich pulsieren haben, nicht nur das künstliche wie
aus der TV-Konfektion nach öffentlich-rechtlichen Gnaden oder den grellen
Apokalypsen, die der „Tatort“ Sonntag für Sonntag serviert:
Mittelschichtsdramalotte mit dramaturgisch hohem Erwartbarkeitslevel. Die
Helga-Feddersen-Stücke sind, so gesehen, Beispiele für ein erzählerisches
Fernsehen, das auch sprachlich das Proletarisch-Kleinbürgerliche weder
durch Gutmütigkeit noch durch Dämonisierung verrät.
## Ohne Dünkel
Die Autorin mochte die Leute, über die sie schrieb, prinzipiell, ohne
Dünkel. Kaum erstaunlich, dass ihre sprachlich akkurat entworfenen Arbeiten
nicht Gegenstand seriöser TV-Diskurse waren: Das war weder low noch high,
auch nicht vom Appeal der späteren „Lindenstraße“, opfer- und empörbereit
im Dauerlauf.
Fernsehsprache wurde mehr und mehr, heutzutage auch in puncto Ausstattung,
zu einer der besseren, aufgestiegenen Kreise: Gelacktheit durchweg. Helga
Feddersen blieb irgendwie die Frau der Nebenrollen, die sich mal aufs
Parkett der Drehbuchschreiberei wagte. Dabei hatte sie nicht einmal
mitspielen sollen, in der Rolle der sitzengelassenen Verkäuferin: Sie sei
nicht schön genug, hieß es seitens der Produktion. Und sie setzte sich
resolut durch: „Was heißt – nicht schön genug? Haben Sie sich mal draußen
umgeguckt, wie die Leute aussehen, die solche Arbeit machen?“ Mehr ist dazu
nicht zu sagen.
Fassbinder, der sie heftig schätzte, setzte sie 1981 in seinem Film „Lola“
ein, als Behördensekretärin Fräulein Hettich an der Seite Armin
Müller-Stahls. Eine Paradenebenrolle in flamboyantesten Fummeln, auch
dieses Wiedergucken lohnt: Da spielte eine, die sich mochte, die in ihrer
Haut sich wohlzufühlen schien – es hat für Frauen ihrer Generation, wie bei
ihr selbst, glücklicher Umstände bedurft, sich nicht als weibliche Wesen
abzulehnen.
Am 24. November 1990 starb Helga Feddersen an den Folgen einer
Krebserkrankung, im Alter von eben gerade 60 Jahren.
Mit Dank an den Historiker Jan Gympel für die vielen Hinweise.
24 Nov 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=IN21QWak4lA&list=PLvDg3VeM2yuF5wGxrzfu1…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=nSZrsdemtVo
## AUTOREN
Jan Feddersen
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