| # taz.de -- Expertin über Verschwörungsmythen: „Jeder Dritte hat Verluste“ | |
| > Wer in der Pandemie an Einkommen verliert, glaubt eher an | |
| > Verschwörungsmythen. Soziologin Bettina Kohlrausch über die Gefahr, die | |
| > daraus erwächst. | |
| Bild: Vor allem Menschen mit ohnehin schon niedrigen Einkommen sind von Einbuß… | |
| taz: Frau Kohlrausch, Sie haben die Einkommensverluste durch die | |
| [1][Coronapandemie] in zwei Erhebungen unter mehr als 6.000 Befragten | |
| erforscht. Wer ist demnach besonders von finanziellen Verlusten betroffen? | |
| Bettina Kohlrausch: Rund 32 Prozent der Befragten gaben an, im April | |
| und/oder im Juni Einkommenseinbußen erlitten zu haben. Von Verlusten in der | |
| Coronapandemie sind überdurchschnittlich oft Menschen betroffen, die | |
| ohnehin schon niedrige Einkommen haben. Auch bestimmte Gruppen – wie | |
| beispielsweise Eltern, Personen mit Migrationshintergrund, Selbstständige, | |
| Leiharbeiter und Minijobberinnen – verloren überdurchschnittlich oft | |
| Einkommen. | |
| Liegt das daran, dass Menschen mit niedrigem Einkommen vor allem in jenen | |
| Branchen arbeiten, die während der Coronapandemie besonders leiden, also | |
| etwa im Einzelhandel und in der Gastronomie? | |
| Auch wenn man den Einfluss der Branche herausrechnet, müssen Personen mit | |
| niedrigem Einkommen häufiger auf Gehalt verzichten. Es ist wohl eher so, | |
| dass Leute mit niedrigem Einkommen im Betrieb die Schwächsten sind; die | |
| werden am ehesten in Kurzarbeit geschickt oder, wenn sie prekär als | |
| Leiharbeiter oder Minijobberin beschäftigt sind, entlassen. Diese Personen | |
| können meist auch kein Homeoffice machen wie mittlere oder höhere | |
| Angestellte. | |
| Sind Leute mit Migrationshintergrund besonders oft in niedrig | |
| qualifizierten Jobs tätig und verlieren deshalb an Einkommen? | |
| Befragte mit einer familiären Zuwanderungsgeschichte haben um knapp 6 | |
| Prozent häufiger Einkommen eingebüßt als Befragte ohne diesen Hintergrund. | |
| Und dies unabhängig davon, welchen Schulabschluss und welches | |
| Qualifikationsniveau sie hatten und in welcher Branche sie tätig waren. | |
| Wie ist das zu erklären? | |
| Möglicherweise ist dies ein Indiz für Diskriminierungsprozesse. Man weiß | |
| ja, dass Menschen eher diejenigen schützen, die ihnen ähnlich sind, und | |
| sich eher von denjenigen absetzen, die das nicht sind. Das heißt, es ist | |
| denkbar, dass in Betrieben, in denen das Arbeitszeitvolumen reduziert wird, | |
| Beschäftigte mit Migrationshintergrund eher in Kurzarbeit oder Teilzeit | |
| oder in die Arbeitslosigkeit geschickt werden als MitarbeiterInnen ohne | |
| diesen Hintergrund, was ja ein Fall von Diskriminierung wäre. | |
| Wie wirken sich Einkommensverluste auf die persönlichen politischen | |
| Einstellungen aus? | |
| Befragte, die Einkommen eingebüßt hatten, machten sich nicht nur weitaus | |
| häufiger Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Situation, sondern sehen | |
| auch größere Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die | |
| Demokratie in Deutschland – und sie beurteilen die Coronamaßnahmen | |
| kritisch. 40 Prozent dieser Personen äußerten Bedenken, dass die | |
| „Einschränkungen der Grundrechte“ nach der Krise nicht vollständig | |
| zurückgenommen werden. | |
| Heißt das, dass Leute mit Einkommensverlusten sich häufiger als Opfer | |
| fühlen und sich dann auf die Suche nach Schuldigen begeben? | |
| Unter den Befragten mit Einkommensverlusten stimmten 45 Prozent der Aussage | |
| zu, dass die Pandemie möglicherweise von den Eliten benutzt werde, um die | |
| Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen. Unter denen, die keine | |
| Einbußen erlitten hatten, stimmten nur 36 Prozent diesem Satz zu. Das | |
| bedeutet für mich, dass die Empfänglichkeit für [2][Verschwörungsmythen] | |
| erhöht ist. Solche Einstellungen können gesellschaftlich destabilisierend | |
| wirken. Bei Maßnahmen der Krisenbewältigung muss man daher die Wahrnehmung | |
| der sozialen Gerechtigkeit immer auch im Blick haben. | |
| 10 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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