# taz.de -- Gerichtsprozess zum Anschlag in Halle: Einzelgänger mit Online-Umf… | |
> Der mutmaßliche Halle-Attentäter verbrachte viel Zeit im Netz – und fand | |
> dort wohl Gleichgesinnte. Die Aussage einer Expertin stellt die Polizei | |
> bloß. | |
Bild: War der angeklagte Halle-Attentäter wirklich nur ein Einzeltäter? | |
MAGDEBURG taz | Der Attentäter von Halle saß allein in dem Mietwagen, den | |
er am 9. Oktober 2019 vor der Synagoge in Halle anhielt, um diese gewaltsam | |
zu stürmen. Er allein baute die Waffen, mit denen er Jana L. und Kevin S. | |
schließlich tötete und weitere Menschen verletzte. Nur er fuhr | |
stadtauswärts einen Schwarzen Menschen auf der gegenüberliegenden | |
Straßenseite an. | |
Der Täter war weder in klassischen rechtsextremistischen Kameradschaften | |
organisiert noch auf entsprechenden Aufmärschen zugange. Die meiste Zeit | |
verbrachte er allein vor seinem Computer. Er war – und ist – ein | |
Einzelgänger. Das bestätigt auch [1][das psychiatrische Gutachten], welches | |
am Dienstag vor Gericht vorgestellt wurde. Und doch war er nicht wirklich | |
allein bei seiner Tat. | |
Dass trotzdem immer wieder zu lesen ist, es habe sich bei dem Mann um einen | |
Einzeltäter gehandelt, liegt wohl auch daran, dass bisher nicht recht | |
bekannt wurde, was genau der Täter die ganze Zeit über an seinem Computer | |
tat. Das herauszufinden, dazu schien die Polizei schlicht nicht in der Lage | |
gewesen zu sein, wie es etwa die Aussage einer Ermittlerin an einem | |
früheren Prozesstag zeigte. Erst am Mittwoch, dem 19. Verhandlungstag wurde | |
diese große Lücke im Prozess zum Anschlag gefüllt. | |
Die Journalistin, Autorin und Trainerin Karolin Schwarz holte nach, was den | |
Ermittlungsbehörden bisher nicht gelang: Das Online-Umfeld des Täters | |
auszuleuchten. Als am Tag des Anschlags die ersten Bilder des Täters | |
auftauchten, begab Schwarz sich „ins Internet“, so erzählt sie es vor | |
Gericht. Zwischen 13 und 14 Uhr müsse es gewesen sein, der Täter war zu | |
dieser Zeit noch auf freiem Fuß. | |
## Die Polizei bleibt blind | |
Schwarz wusste, wo sie zu suchen hatte. Das Video, die Schriften des | |
Täters, die Reaktionen derer, die er ansprechen wollte – das alles fand sie | |
im Laufe des Tages auf den Imageboards Kohlchan, 4Chan und Meguca und dem | |
Messanger-Dienst Telegram. „Es gab eine ganze Reihe abwertender Äußerungen: | |
An erster Stelle Antisemitismus, Rassismus, antimuslimischer Rassismus, | |
Frauenfeindlichkeit, Homofeindlichkeit indem der Täter entsprechend | |
bezeichnet wurde, Behindertenfeindlichkeit“, sagt Schwarz. | |
„HEUTE FÄNGT ES AN! HEUTE IST TAG X“, heißt es in einem Thread auf dem | |
Imageboard Kohlchain. Tag X ist für viele Rechte der Moment, an dem das | |
System kippt. Es ist einer von vielen rechten Verweisen und geradezu | |
mitfiebernden Kommentaren. Sie stehen neben abfälligen Kommentaren, wie | |
wenige Menschen der Täter getötet habe und deutlicher Enttäuschung darüber, | |
dass die Opfer Deutsche seien. „Das zeigt, dass sich viele insgesamt | |
gewünscht haben, dass mehr passiert wäre“, sagt Schwarz. | |
Wer die anderen User auf Imageboards als reines Publikum begreift, irrt. | |
Genauere Betrachtungen zeigen, dass der Bezugsrahmen des Täters deutlich | |
größer ist. „In Teilen der Szene werden Rechtsextremisten als „Saints“,… | |
Heilige bezeichnet“, sagt Schwarz und zeigt entsprechende Einträge. Es ist | |
einer der Begriffe, die in diesem Umfeld genutzt werden. Der Täter kennt | |
diese Codes genau. Er selbst wollte einer dieser vermeintlich Heiligen | |
werden. „Es gibt Memes, auf denen mehrere Terroristen abgebildet sind und | |
ein freier Platz da ist, der ausgefüllt werden kann“, sagt Karolin Schwarz. | |
Der Täter wollte den Platz ausfüllen. In seinen Dokumenten zur Tat und im | |
Livestream verwendete er Begriffe, die innerhalb der Imageboards genutzt | |
werden. Deren User erkannten den Attentäter als einen der ihrigen. So hieß | |
es am Tattag in einem Thread auf Kohlchan: „Der hat garantiert auch hier | |
gelauert“. | |
Auch die Symbolik der Fotos, die der Attentäter in seinem Dokument einband, | |
der Name „Anon“, mit dem er sich im Livestream vorstellte (Kurzform von | |
Anonymus, der Standardname aller Nutzer auf englischsprachigen Imageboards) | |
und bestimmte „Witze“ in seinen Dokumenten wiesen laut Karolin Schwarz | |
eindeutig auf Verbindungen hin. | |
Nach ihr wird ein Beamter des BKA befragt, der eine sichergestellte | |
Festplatte und einen USB-Stick nach der Tat untersuchte. Der Beamte stellt | |
fest: Die Ordner enthielten gewaltverherrlichendes, antisemitisches und | |
rassistisches Material. Was er nicht feststellt, ist die Sprache und | |
Symbole, die nicht nur auf Verschwörungsideologien, sondern auch auf | |
Imageboards hinweisen. So heißt ein Ordner beispielsweise „Pol“, so wie die | |
„politisch unkorrekten“ Unterforen auf 4chan und anderen. Als er gefragt, | |
was dieser Ordner beinhalte, sagt der Beamte, es gäbe keine dezidierte | |
Auswertung. | |
4 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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