| # taz.de -- Fragwürdige Juryentscheidung: Kunst und Care-Arbeit | |
| > Der Kunstfonds Bonn vergab das „Stipendium für bildende Künstler*innen | |
| > mit Kindern unter 7 Jahren“ an mehr Männer als Frauen. | |
| Bild: Stilleben mit Pinseln | |
| Unsere Gesellschaft tut sich bekanntlich nicht nur schwer, die für ihren | |
| Erhalt grundlegende Care-Arbeit gerecht zu entlohnen, wie sich in der | |
| Coronakrise in aller Deutlichkeit zeigt. Noch schwerer tut sie sich damit, | |
| die Frauen, die hier den Großteil der Arbeit leisten, davon zu entlasten | |
| und deshalb die Männer verstärkt zur Verantwortung zu ziehen. | |
| Einen Bereich freilich gibt es in unserer Gesellschaft, da scheint die | |
| Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, was die Reproduktionstätigkeit | |
| angeht, offenbar schon vollkommen gerecht verteilt – nämlich auf dem Feld | |
| der Kunst. | |
| Daher konnten nun 48 Männer das mit 12.000 Euro dotierte halbjährliche | |
| „Stipendium für bildende Künstler*innen mit Kindern unter 7 Jahren“ | |
| erhalten, das der Kunstfonds Bonn neu aufgelegt hat, dazu noch 3 Paare und | |
| 43 Frauen. | |
| Die Finanzmittel stammen aus dem [1][Pandemie-Sofortprogramm Neustart | |
| Kultur] der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika | |
| Grütters. Eine Milliarde Euro für die Kultur hatte sie im Frühjahr ins | |
| Aussicht gestellt, um die wirtschaftlich desaströsen Folgen der Lockdowns | |
| während der Coronapandemie abzufedern. | |
| ## Große Zustimmung | |
| Die Hilfen für den Bereich der bildenden Kunst, also für Künstler*innen, | |
| Galerien, Kunstvereine, Projekträume, Kunstverlage etc., werden neben dem | |
| Deutschen Künstlerbund e. V. und dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen | |
| und Künstler e. V. auch von der Stiftung Kunstfonds Bonn umgesetzt. | |
| Deren Idee, mit den neuen Mitteln eine der Lebenswirklichkeit von | |
| Künstler*innen mit betreuungsbedürftigen Kindern Rechnung tragende | |
| Förderung auszuloben, fand zunächst große Zustimmung. | |
| Vor allem die in den letzten Jahren entstandenen Initiativen [2][„kunst + | |
| kind“ in Berlin] und [3][K & K in München] sowie [4][„Mehr Mütter für die | |
| Kunst“] in Hamburg sahen sich in ihrem Anliegen bestärkt, dass die | |
| besonderen strukturellen Probleme von Künstlerinnen mit Sorgeverpflichtung | |
| in der Kunstförderung berücksichtigt werden müssen. | |
| Sie waren zufrieden, bis sie die dezidiert misogyne Jury-Entscheidung zur | |
| Kenntnis nehmen mussten – hatten die Bewerbungen von Frauen für das | |
| Stipendium doch 60 Prozent betragen, die dann disproportional mit nur 45 | |
| Prozent positiven Bescheiden beantwortet wurden. | |
| ## Große Enttäuschung | |
| Die Förderung ging also mehrheitlich an die Männer unter den | |
| Künstler*innen, an eine ohnehin geförderte Elite. In Einzelfällen war das | |
| Stipendium sogar bereits die zweite Förderung. Die daran von den | |
| Initiativen und weiteren Künstler*innen-Organisationen am 6. Oktober in | |
| einem offenen Brief geäußerte scharfe Kritik beantwortete [5][die | |
| Geschäftsführerin des Kunstfonds, Karin Lingl,] am 3. November mit der | |
| Formel: „Dürfen wir in diesem Zusammenhang an einige Grundsätze der | |
| Stiftung Kunstfonds erinnern.“ | |
| Der erste Grundsatz lautet, man mag es gar nicht glauben: „Gefördert werden | |
| einzelne Künstler*innen ebenso wie Modellvorhaben mit gesamtstaatlicher | |
| Bedeutung.“ Hallo?! Im Ernst? Wie es dann mit dem nächsten Grundsatz | |
| ausschaut, dass die vom Stiftungsrat gewählten Jurys „über eine Förderung | |
| ausschließlich anhand der künstlerischen Qualität“ entscheiden, bleibt | |
| unerfindlich. Oder ist künstlerische Qualität neuerdings wirklich durch das | |
| Kriterium „gesamtstaatliche Bedeutung“ definiert? | |
| Gar nicht zu sprechen davon, dass die geforderte Qualität offenbar wieder | |
| einmal nur von Männern geleistet wird. Die Frauen, die qualitativ nicht | |
| mithalten können, werden dann daran erinnert, dass es sich bei den | |
| Förderungen der Stiftung Kunstfonds „weder um Sozialleistungen noch | |
| Wirtschaftsbeihilfen“ handelt. Offenbar ist auch „mit Kind unter 7 Jahren“ | |
| ein künstlerisches Qualitätskriterium und nicht, wie zu erwarten, ein | |
| sozialer Tatbestand. | |
| Aus letzterer Bemerkung muss jedenfalls der Schluss gezogen werden, dass | |
| die Stiftung Kunstfonds definitiv nicht die richtige Adresse ist, die | |
| Kunstszene mit den Geldern aus dem Rettungsprogramm Neustart Kultur von | |
| Monika Grütters zu versorgen. Natürlich geht es hier um | |
| Wirtschaftsbeihilfen. Bestimmt nicht um noch mehr kuratierte | |
| Stipendienprogramme von gesamtstaatlicher Bedeutung. | |
| ## Große Sorge | |
| Statt ihre berufliche Existenz zu sichern, schickt man die Künstler*innen | |
| in Hartz IV. Was den schönen Effekt hat, dass von der Milliarde der | |
| Staatsministerin bislang gerade mal 47 Millionen Euro abgerufen wurden, wie | |
| aus einem Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestags hervorgeht. Die | |
| Künstler*innen sind aber nicht arbeitslos, sie sind erwerbstätig und | |
| bedürfen keiner Leistungen der Sozialfürsorge. | |
| Sie brauchen – ja, was denn sonst – Wirtschaftsbeihilfen. Wie etwa den | |
| Unternehmerlohn für Soloselbstständige, gegen den sich die SPD so sperrt. | |
| Hartz IV bedeutet das Durchleuchten der privaten Lebensumstände, anders als | |
| beim Kunstfonds darf man da plötzlich kein Stipendium mehr zu viel haben. | |
| Es bedeutet viel zu wenig Geld, um am sozialen Leben teilnehmen zu können | |
| und über kurz oder lang: Zwang zur Annahme auch unsinniger Weiterbildungs- | |
| oder abwegiger Arbeitsangebote. | |
| Eine weitere Konsequenz ist längerfristig der Verlust der Mitgliedschaft in | |
| der Künstlersozialkasse (KSK). Sie ist ein in Europa einzigartiges und | |
| wegweisendes Konstrukt, das verkannten Genies ebenso wie fleißigen Dienern | |
| des Geistes und der Kunst den gleichen Schutz vor Krankheit und Alter | |
| zukommen lässt, den gewöhnliche Angestellte und Arbeiter genießen. | |
| Den Arbeitgeberanteil leisten neben dem Staat die Unternehmen des Kunst- | |
| und Kulturbetriebs mit ihren Abgaben. Da der Kulturbetrieb stillsteht, | |
| fehlen diese nun, und die Künstlersozialkasse ist in ihrer Existenz | |
| gefährdet. Die Künstler*innen und ihre Kinder sind es damit auch. | |
| 9 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fue… | |
| [2] https://kunstundkind.berlin/ | |
| [3] http://www.gabiblum.de/K&K.html | |
| [4] http://www.xn--mehrmtterfrdiekunst-99bf.net/ | |
| [5] https://www.kunstfonds.de/news/details/aus-aktuellem-anlass/ | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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