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# taz.de -- Anthologie von Comiczeichner Hewlett: Baden in Testosteron
> Eine Monografie des Illustrators und Gorillaz-Schöpfers Jamie Hewlett,
> „Works from the last 25 Years“, gibt Einblicke in seine Strips und
> Comichelden.
Bild: Jamie Hewlett: Ausschnitt aus „Billy Fury“ (2017)
Fluch und Segen Flachbildschirm: Mit Majorlabelkohle hatte Damon Albarn
1998 einen der ersten Plasma-Altare abgegriffen, baute das Monstrum im
Wohnzimmer seiner WG im Westlondoner Stadtteil Notting Hill auf und rief
Mitbewohner Jamie Hewlett zum Rapport: MTV-Bingewatching. In grauer
Vorzeit, als es noch keine Mediatheken und Streamingdienste gab, war das
eher Survivaltraining. Weil sie nicht aushielten, was ihnen an Bildern,
Tönen und Popretorte vorgesetzt wurde, betäubten sie sich und schufen im
Größenwahn die Mangaband [1][Gorillaz].
Anders als Albarn war Hewlett damals noch kein Star, obschon als
Comiczeichner in den britischen Medien durchaus präsent. Zusammen mit dem
Autor Alan Martin kreierte Hewlett 1988 [2][„Tank Girl“,] eine im
Comic-Magazin Deadline publizierte Fortsetzungsgeschichte über eine
miesepetrige Teenagerin, deren Schrammen im Gesicht notdürftig gepflastert
sind. Die Renitenz von „Tank Girl“ ließ Hewletts Kreation zur
feministischen Ikone werden.
Für das britische Lifestyle-Magazin The Face schuf Hewlett etwas später den
Strip „Get the Freebies“: Schwänke von der abgründigen Afterhour der
Londoner Clubszene mit viel Gossip aus dem Sanitärbereich, gelegentliches
Blutbad inklusive. Auch hier tauchen starke Frauen auf. „Tank Girl“
lieferte Mitte der 1990er sogar die Vorlage für eine Hollywoodverfilmung
(Regie: Rachel Talalay), deren Seichtheit die Schöpfer des Comics für
geraume Zeit desillusionierte.
## Explizite Sprechblasen
Sind die [3][Gorillaz] für Netzhaut-Massage und Gehörgang-Wellness perfekt
geeignet, weil sie Anime-Ästhetik und Manga-Bilderwelten mit
Superhelden-Anleihen und Popmythen zum 24/7-Daddelautomaten fusionieren,
funktionieren Hewletts Bildergeschichten auch ohne Außenreize. Das zeigt
die beim Taschenverlag nun erneut erschienene Monografie „Works from the
last 25 Years“.
Der opulent aufgemachte Band hat zwar das perfekte Kampfgewicht, um
Kaffeetische auszutarieren, aber die Comicstrips des britischen
Illustrators sind denn doch ein bisschen zu explizit, als dass ihre aus den
Fugen geratenen Sprechblasen und Bildergeschichten nur der heilen Welt des
erlesenen Geschmacks als Einrichtungsgegenstand dienen.
Dafür spricht aus ihnen, was der belgische Comic-Forscher Thierry
Groensteen als „ikonische Solidarität“ bezeichnet: der serielle Charakter
von Fortsetzungsgeschichten, das Erzählen in Sequenzen und mit chaotischen
Personenkonstellationen, heruntergebrochen auf Gesten, Blicke und
Kraftausdrücke. Hewletts renitente Charaktere torpedieren jede Ordnung oder
zumindest parodieren sie deren Flow.
Seit Corona ist wieder verstärkt die Rede von der ungezogenen Jugend, die
sich nicht an Sperrstunden hält. Die Zumutungen von Law & Order bricht
Jamie Hewlett mit galligem Humor auf, friert kinetische Energie wie in
Zeitlupe ein, so dass kleinste Details wie mächtige Landschaftsmalereien
wirken: Verzogene Mundwinkel, provozierende Körperhaltungen, die
gelangweilte, Unheil ankündigende Miene, das stumpf klingende Geräusch,
wenn etwas in die Luft fliegt: Seine Bilder und Handlungen baden in
Testosteron. Zugleich finden Action, Sex und Drogenexzesse nie nur aus
Selbstzweck statt. Jede Sprachlosigkeit folgt einem Drehbuch der Geräusche:
„Snorrrrt“.
22 Oct 2020
## LINKS
[1] /Die-Gorillaz-im-Koelner-Palladium/!5424194/
[2] /!1392181/
[3] /The-Good-The-Bad--The-Queen/!5550984&s=gorillaz/
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Comic-Held
Comic
London
Damon Albarn
Musik
Wir retten die Welt
Comic
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