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# taz.de -- 4 Monate LADG Berlin: Die Polizei ist Spitze
> Vier Monate Landesantidiskriminierungsgesetz: Die befürchtete Klagewelle
> blieb aus. Und es zeigt sich: Auch Corona hat einen
> Diskriminierungseffekt.
Bild: Die meisten Beschwerden nach dem neuen LADG beziehen sich auf die Polizei
Was herrschte für eine Aufregung bei der Verabschiedung des
Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) Anfang Juni dieses Jahres. Eine
„Klagewelle“ werde es geben, jammerten Polizeigewerkschafter, die
Polizeichefin und Oppositionspolitiker: Polizisten könnten ihre Arbeit
nicht mehr machen, weil ihnen nun jeder Clanchef Rassismus vorwerfen könne.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte das bundesweit einmalige
Gesetz, das BürgerInnen vor Diskriminierung durch Behörden schützen soll,
schlicht für überflüssig, andere Bundesländer drohten, keine PolizistInnen
mehr in die Hauptstadt zu entsenden.
Gut vier Monate später ist festzuhalten: Die befürchtete „Klagewelle“ ist
ausgeblieben. Bei der zuständigen Justizverwaltung, genauer: der
Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS)
beziehungsweise der neu eingerichteten Ombudsstelle für das LADS, sind seit
Inkrafttreten 104 Beschwerden eingegangen. Sie betreffen alle Bereiche
staatlichen Handelns: von Standes-, Jugend- und Sozialämtern über
Jobcenter, Gerichte, Schulen und Volkshochschulen bis zum Studierendenwerk.
Keine Behörde habe bislang mehr als 3 Beschwerden verursacht, erklärt
Sebastian Brux, Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), auf
taz-Anfrage. „Ausnahmen sind die Polizei mit 17 und die Berliner
Verkehrsbetriebe mit 7 Beschwerden.“
## Auch Schadensersatz möglich
Mit dem LADG haben BürgerInnen erstmals die Möglichkeit, rechtlich gegen
eine Diskriminierung durch Behörden vorzugehen. Sogar Schadensersatz ist
theoretisch drin.
Das Gesetz schließt nach Ansicht von Befürwortern eine wichtige
Schutzlücke, denn das 2006 verabschiedete bundesweite Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt nur für den privatrechtlichen Bereich,
etwa bei Arbeitsverhältnissen oder gegenüber Vermietern. Die neue
Ombudsstelle hat ein Recht auf Auskunft und Akteneinsicht bei betroffenen
Behörden. Auch die Möglichkeit des Verbandsklagerechts besteht, sodass
Betroffene eine Klage mit Unterstützung eines Antidiskriminierungsvereins
gemeinsam durchstehen können.
Laut Brux gab es die meisten Beschwerden aufgrund einer Diskriminierung
wegen der ethnischen Herkunft (20) oder Behinderung (20), chronischer
Erkrankung (12) oder des Geschlechts (12). Fünf betrafen eine „rassistische
Zuschreibung“ (das LADG verwendet diese Formulierung anstelle des Begriffs
„Rasse“), drei eine antisemitische Zuschreibung. Etwa die Hälfte der
Beschwerden, so Brux, werde als möglicherweise berechtigt angesehen „und
gibt Anlass zu einer weiteren Überprüfung“, etwa durch Einholen von
Stellungnahmen und weitere „Sachaufklärung“. Abschließend geklärt sei no…
kein Fall.
Als Beispiel für Beschwerden über die Polizei nannte Brux unter anderem
Einsätze bei Ruhestörung: Nachbarn riefen die Polizei, die dann
„unfreundlich und aggressiv“ reagiert habe. „Hier wurden Diskriminierungen
aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nichtdeutscher Herkunft oder der
sexuellen Orientierung geltend gemacht.“
Bei der Antidiskriminierungsberatung des Türkischen Bundes (ADNB-TBB),
einer der wichtigsten Beratungsstellen der Stadt für MigrantInnen, sind bis
dato 29 Beschwerden eingegangen, heißt es auf taz-Anfrage: Davon beträfen
neun ein Amt oder eine Behörde, acht eine Uni oder Schule, acht die
Polizei, drei die BVG. Laut Jeff Klein, dem Leiter des
Antidiskriminierungsprojekts „Each one“ des Vereins Eoto, der sich um das
Empowerment Schwarzer Menschen kümmert, sind dort bislang vier potenziell
LADG-relevante Beschwerden eingegangen, in zwei Fällen seien PolizistInnen
involviert.
Doch auch wenn die Polizei also tatsächlich am häufigsten im Fokus steht:
„Was man bislang sieht, ist nicht unbedingt repräsentativ“, betonte die
neue Leiterin der Ombudsstelle, Doris Liebscher, gegenüber der taz. Dazu
sei das Ganze noch zu neu, die Beschwerden noch nicht gründlich evaluiert.
Eines aber zeichne sich schon ab: „Diskriminierung findet überall statt,
ist etwas ‚Normales‘, mit dem wir einen Umgang finden müssen.“
Eine weitere Erkenntnis nach vier Monaten LADG: Auch Corona hat einen
Diskriminierungseffekt. Sowohl ADNB als auch Eoto wurden Fälle von
rassistischem Verhalten von PolizistInnen in Bezug auf das eingeschränkte
Versammlungsrecht gemeldet. Laut Klein berichteten ZeugInnen oder
Betroffene, dass im ersten Lockdown Polizei im Görlitzer Park aggressiv
gegen nicht-weiße Gruppen vorging: „BIPoC-Familien wurde nicht geglaubt,
dass sie Familien sind und in einem Haushalt leben, weil sie viele waren.“
Auch bei LADS und Ombudsstelle gingen Beschwerden wegen Corona ein, so
Liebscher. Etwa darüber, dass viele Behörden nur noch online erreichbar
sind. „Ältere oder sehbehinderte Menschen sind oft auf telefonische
Auskunft oder persönliche Beratung angewiesen.“ Auch die Maskenpflicht
führe zu Beschwerden: teils berechtigt, so Liebscher, etwa wenn Menschen
aus Krankheits- oder Behinderungsgründen keine Maske tragen dürfen und
Busfahrer sie deshalb nicht mitnehmen wollen.
Es gebe aber auch eine nicht geringe Zahl von „Querdenkern bis
Verschwörungstheoretikern, die sich durch die Maskenpflicht diskriminiert
fühlen beziehungsweise durch die Polizei“, die auf deren Einhaltung achte.
Solche unberechtigten Beschwerden hätten die Ombudsstelle in den
vergangenen Wochen teilweise „arg beschäftigt“, so Liebscher. „Beschwerd…
sind ein Seismograf für gesellschaftliche Konfliktlagen.“
3 Nov 2020
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
LADG
Diskriminierung
Polizei Berlin
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Diskriminierung
Racial Profiling
Landesantidiskriminierungsgesetz
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