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# taz.de -- Sondersitzung des Abgeordnetenhauses: Kreuzberg wird grün
> Bei der Parlamentssondersitzung verteidigt Michael Müller am Sonntag die
> Coronabeschlüsse. Überraschender: Kreuzberg nimmt doch Bundeswehr-Hilfe
> an.
Bild: Noch Hinterbänklerin, bald Spitzenkandidatin: die Grüne Bettina Jarasch…
Dass sie am Sonntagmorgen am Rednerpult stand, war eine Überraschung, und
was sie dabei sagte, ebenfalls: Die Grünen schickten in der
Corona-Sondersitzung des Abgeordnetenhauses nicht wie alle anderen ihre
Fraktionsspitze ans Mikro, sondern aus der vierten Reihe ihre
Noch-Hinterbänklerin und designierte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Und
die informierte das Parlament darüber, dass das zunächst abgeneigte
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zur Pandemiebekämpfung nun doch Hilfe
der Bundeswehr angefordert habe. Regierungschef Michael Müller (SPD) hatte
nur Minuten zuvor kritisiert, er könne nicht verstehen, wie man „aus
ideologischen Gründen in der Krise eine solche Hilfe nicht annimmt“.
Für die Sondersitzung des Parlaments hatte ein Antrag des rot-rot-grünen
Senats gesorgt. Zu laut war die Kritik geworden, der Bundestag und die
Länderparlamente würden zu den neuen Coronamaßnahmen, die ab diesem Montag
gelten, nicht gehört. Und so wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am
Freitag im Bundestag eine Regierungserklärung abgab, tat Müller das an
diesem Sonntag.
Seine zentrale Botschaft: sich solidarisch zeigen und eigenverantwortlich
Übertragungsgefahren minimieren. „Ich weiß, wir muten wieder vielen
Menschen viel zu“, sagte Müller. „Aber unsere Überzeugung ist: Es geht
nicht anders.“ Aus seiner Sicht lässt sich nichts gegen die Todesfälle
aufrechnen, zu denen es sonst kommen würde. „Ich will kein Brüssel in
Berlin, ich will kein Bergamo“, erinnert Müller an frühere und aktuelle
Schreckenbilder der Pandemie.
Wie schon so oft appellierte Müller an die Bevölkerung, die Coronaregeln
einzuhalten, und zwar aus eigenem Antrieb heraus, auch ohne Kontrollen
durch Polizei oder Ordnungsamt. Den November, auf den die jüngsten
Verschärfungen bislang beschränkt sind, rief er als „Monat der
Eigenverantwortung“ aus. Müller sprach die Personalprobleme der
Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung an und lobte dabei die
„großartige Hilfe“ durch die Bundeswehr. Das löste ganz verschiedene
Reaktionen in den drei Koalitionsfraktionen aus: Seine SPD applaudierte
weithin, die Linksfraktion hingegen nicht. Und auch bei den Grünen blieben
viele Hände ruhig, obwohl ihre Fraktionschefinnen Antje Kapek und Silke
Gebel samt Bettina Jarasch sichtbar klatschten.
## Linke: „Urkapitalistische Prinzipien“
Als Jarasch schließlich selbst zum Rednerpult ging, begleitete sie eine
Aufforderung des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner, zur Bundeswehr-Frage
Stellung zu beziehen. Das tat sie auch: „Die Bundeswehr hilft kurzfristig,
ganz ohne Zweifel“, sagte Jarasch, „und deshalb hat das Bezirksamt
Kreuzberg-Friedrichshain (sic) soeben beschlossen, Bundeswehr für
medizinische Hilfe anzufordern.“ Die dortige, gleichfalls grüne
Bürgermeisterin Monika Herrmann bestätigte das gegenüber der taz großteils:
„Nachdem die Bezirksverordnetenversammlung am Mittwoch die Möglichkeit
eröffnet hat, haben der Gesundheitsstadtrat und ich am Freitag den Amtsarzt
aufgefordert, Kontakt mit der Bundeswehr aufzunehmen.“
Für die Linkspartei sprach deren Fraktionschef Carsten Schatz zeitweise wie
ein Oppositionspolitiker und kritisierte die Schließungen bei Gastronomie
und Kultur: „Viele haben sich Gedanken gemacht, in Schutzkonzepte
investiert und fühlen sich nun schlicht verarscht.“ Schatz sah
urkapitalistische Prinzipien – man lässt aus seiner Sicht die Menschen nur
noch zum Arbeiten und Konsumieren vor die Tür.
„Es ist unverständlich, warum man sich in einer Shopping Mall herumtreiben
darf, aber nicht in einem Museum oder einer Galerie“, sagte Schatz. Er
sprach sich auch dafür aus, nicht nur Friseure weiterarbeiten zu lassen,
sondern das auch auf Fußpflege und ähnliche Dienstleistungen auszuweiten.
Hier reklamierte die AfD, die die Sitzung ansonsten als „reine
Alibiveranstaltung“ abtat, das Copyright für sich: „Unsere Rede, nicht
Ihre!“, rief deren Abgeordneter Frank-Christian Hansel.
Ungewöhnlich auch die Reaktion der FDP-Fraktion: Deren Chef, Sebastian
Czaja, lobte unter Beifall der Linken Schatz’ kritischen Ansatz. Auch
sprachlich kamen sich der Linkspolitiker und der Liberale nahe: Schatz
sagte, die Menschen seien „kein Mündel, das durch uns erzogen werden muss“
– Czaja formulierte, sie „wollen nicht erzogen und bevormundet werden“.
Eine längerfristige Strategie vermisste CDU-Fraktionschef Burkard Dregger,
der grundsätzlich die Maßnahmen mittragen mochte. Was geschehe nach einer
möglichen dritten Welle nach vielen Familienbesuchen zu Weihnachten?,
fragte er: „Wollen Sie dann wieder alles schließen, immense wirtschaftliche
Schäden in Kauf nehmen und schuldenfinanzierte Hilfsprogramme starten?“
Wobei die Frage ausblendete, dass die jüngsten Maßnahmen vorrangig seine
Parteifreundin und Kanzlerin Merkel auf den Weg brachte.
1 Nov 2020
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Grüne Berlin
Michael Müller
Abgeordnetenhaus
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Grüne Berlin
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