# taz.de -- Intendantin über Kultur-Lockdown: „Wir müssen Solidarität zeig… | |
> Auch wenn sie Theater für infektionssicher hält: Amelie Deuflhard, | |
> Intendantin von Kampnagel in Hamburg, ist bereit, den Lockdown | |
> mitzutragen. | |
Bild: Zweite Schließungsrunde für die Theater – das Echo darauf ist geteilt | |
taz: Sie hatten für diesen Donnerstag vermutlich anderes vor als Interviews | |
zum Theater-Lockdown, Frau Deuflhard. | |
Amelie Deuflhard: Immerhin haben wir schon am Mittwoch den Hebel umgelegt | |
und sind bereits in den Planungen der Schließung. Wir müssen ganz viele | |
Künstlerinnen und Künstler anrufen, Vorstellungen absagen, mit dem | |
Betriebsrat reden, eine Mitarbeiter*innenversammlung machen. Und | |
gleichzeitig haben wir am Abend noch eine Premiere und am Wochenende den | |
[1][Burning Issues Kongress], wo es um Gendergerechtigkeit am Theater geht. | |
Haben Sie schon bei der Wiederöffnung der Theater im Juli gedacht: Wer | |
weiß, wie lange es währt? | |
Dass eine [2][zweite Welle] kommen wird, war ja relativ wahrscheinlich. Was | |
ich nicht erwartet habe, ist, dass es zu so pauschalen Eingriffen kommt. | |
Anders als beim ersten Lockdown, bei dem wirklich alles runtergefahren und | |
auch Läden und Schulen geschlossen wurden, wurde diesmal alles, was mit | |
Freizeit zu tun hat, außer Shopping, abgewickelt. Der Konsum soll weiterhin | |
stattfinden. | |
Leuchtet Ihnen die Schließung denn ein? | |
Ich denke, dass es darum geht, das Nachtleben zurückzufahren und die | |
weniger geregelten sozialen Begegnungen zu verhindern, bei denen viele | |
Menschen zusammenkommen, Alkohol konsumieren und irgendwann Abstandsregeln | |
vergessen. Wir alle wissen, dass die Theater keine besonders infektiösen | |
Orte sind und waren, weil Hygieneregeln sorgfältig eingehalten wurden. Aber | |
natürlich sind die Infektionszahlen dramatisch gestiegen: Es ist klar, dass | |
man etwas tun muss. Hoffen wir nur, dass diese Maßnahmen greifen – wenn ja, | |
bin ich gerne bereit, Kampnagel als solidarische Geste einen Monat lang zu | |
schließen. | |
Da sind Sie bereitwilliger als Kultursenator Carsten Brosda (SPD), der | |
findet, dass die Theater im Vergleich zu den Kirchen ungerecht behandelt | |
werden. | |
Ich habe den Gedanken aufgegeben, dass alle Maßnahmen gegen die Pandemie | |
logikgetrieben sind. Andererseits halte ich nichts davon, in dieser | |
Situation einzelne gesellschaftliche Bereiche oder Institutionen und ihre | |
jeweilige Bedeutung gegeneinander auszuspielen. Ich bin absolut der | |
Meinung, dass wir die Theater sehr sicher bespielt haben und das jetzt auch | |
weiter tun könnten. | |
Man lässt Sie aber nicht. | |
Ich verstehe die Politik – sie muss etwas tun, wenn die Gefahr zu groß | |
wird, dass das Gesundheitssystem kollabieren könnte. Eine volle U-Bahn oder | |
ein volles Einkaufszentrum kommen mir gefährlicher vor als ein Theater mit | |
Abstand, deshalb hätte ich mir einen differenzierten Lockdown gewünscht. | |
Aber anstatt vermeintliche Ungerechtigkeiten zu diskutieren, müssen wir | |
jetzt alle unsere persönliche Verantwortung und Solidarität zeigen, um die | |
Pandemie so schnell wie möglich einzudämmen. | |
Das heißt, Sie teilen nicht den Zorn einiger Kulturschaffender? | |
Was mich sehr stört, ist dass wir pauschal als Freizeitveranstalter | |
definiert werden, gemeinsam mit Freizeitparks, Schwimmbädern, Saunen, | |
Spielhallen und Bordellen. Das stört mich nicht, weil ich etwas gegen | |
Freizeitparks oder gegen Schwimmbäder habe, das sind ebenso wichtige | |
soziale Orte wie die Theater. Aber ich finde, es sollte so viel Zeit sein | |
zu sagen: Es sind Kunst- und Kultureinrichtungen. Das ist wichtig für uns | |
alle in der Kunstszene, weil wir eine gesellschaftliche Verantwortung in | |
unserer Arbeit haben und weil wir zentrale Orte für die Identität einer | |
Demokratie sind. | |
Schwingt da noch die Kränkung mit, die für einige Kulturschaffende darin | |
lag, für nicht systemrelevant erklärt zu werden? | |
Diese Frage der Systemrelevanz ist interessant: wer systemrelevant ist, | |
dient dem System. Man könnte auch sagen: Künstlerinnen und Künstler mit der | |
Freiheit der Kunst wollen nicht alle dem System dienen. Ihre ureigenste | |
Aufgabe ist es auch das System kritisch zu hinterfragen. Wichtig sind | |
Fragen wie: Was passiert mit den Menschen, die jetzt wieder ihre Arbeit | |
verlieren, was passiert mit den Soloselbstständigen, die an den Theatern | |
arbeiten? | |
Und? | |
Da übernehmen sowohl Hamburg als auch die Bundesregierung auf jeden Fall | |
Verantwortung und haben unsere Branche im Blick. | |
Wie nehmen Sie die Situation in der Branche bislang wahr? | |
Es gibt eine Vielzahl von Förderprogrammen. Manche fallen da allerdings | |
raus: die Künstlerinnen und Künstler, die als Geflüchtete in unser Land | |
gekommen sind und noch nicht in Systemen wie der Künstlersozialkasse sind. | |
Die Fördergelder zielen auf professionelle Künstlerinnen und Künstler, die | |
von ihren Einkünften leben können – aber es gibt viele, die das nicht | |
können und sich überwiegend mit anderen Jobs finanzieren. Aber | |
grundsätzlich wird an die Kunst- und Kulturschaffenden gedacht, da muss ich | |
die Landes- und die Bundesregierung loben. | |
Sie haben sich mitten in der ersten Corona-Welle mit dem Zusammenschluss | |
„Die Vielen“ für einen 8. Mai als antifaschistischen Feiertag engagiert. | |
Damals sagten Sie: „Wir haben nicht nur Corona“. Wie ist das jetzt? | |
Schon beim ersten Shutdown haben wir uns mit dem künstlerischen Team | |
Gedanken gemacht, was das für unsere Gesellschaft hier in Deutschland | |
bedeutet, wie Menschen, die ohnehin benachteiligt sind, noch mehr ins | |
Abseits geraten. Und wenn wir auf die Welt schauen, sind die Unterschiede | |
noch größer. Ein Großteil der Menschen haben nicht einmal eine | |
Krankenversicherung. Da geht es uns in Deutschland im Vergleich sehr gut. | |
30 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kampnagel.de/de/programm/performing-art-equality/?datum=&id_… | |
[2] /Ausbreitung-der-Coronapandemie/!5721031 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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