# taz.de -- Künstliche Intelligenz: KI außer Kontrolle | |
> Enquetekommission streitet über die Regulierung selbstlernender | |
> Maschinen: Braucht man eine Behörde oder nur mehr Transparenz? | |
Bild: Immer mehr E-Busse sollen mit künstlicher Intelligenz gesteuert werden | |
Künstliche Intelligenz ist ein Versprechen – und eine Bedrohung. Soziale | |
Netzwerke ermöglichen es, schnell mit vielen Leuten in Kontakt zu treten. | |
Aber wer bestimmt, welche Nachrichten die Adressat:innen zuerst sehen? | |
Diese Auswahl treffen meist Algorithmen – Rechenformeln – in | |
Computerprogrammen. | |
Einerseits gewinnen die Nutzer:innen Autonomie, andererseits sind sie aber | |
auch ferngesteuert. Die zunehmend mächtigen Maschinen lenken die | |
Wahrnehmung der Individuen, der Öffentlichkeit, der Gesellschaft. Ist es | |
also nötig, die Betreiber der Netzwerke und ihre Programme demokratisch zu | |
kontrollieren? | |
Mit diesen und verwandten Fragen beschäftigte sich während der vergangenen | |
zwei Jahre die [1][Enquetekommission „Künstliche Intelligenz“] des | |
Bundestages. Am Montag tagt sie zum letzten Mal, am Mittwoch übergibt sie | |
ihren Bericht an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Das bislang nicht | |
veröffentlichte Gesamtdokument, das der taz vorliegt, und die ergänzenden | |
Stellungnahmen aller Fraktionen offenbaren teilweise große | |
Einschätzungsunterschiede. | |
Grundsätzlich muss man sich darauf einstellen, dass die Denkleistung von | |
Rechnern und Maschinen zunimmt, sie mehr und mehr menschliche Tätigkeiten | |
bewältigen und dabei auch selbst neue Problemlösungen entwickeln. | |
Produktionsanlagen in Fabriken können sich wohl bald eigenständig | |
reparieren, indem sie rechtzeitig Verschleißteile ordern und selbst | |
einbauen. | |
## Die Mehrheit der Kommission ist gegen starke Regulierung | |
Fahrerlose Vehikel wählen die Routen aus, auf denen sie die Passagiere zum | |
Ziel bringen, und intelligente Medizinsysteme nehmen den Ärzt:innen einen | |
Teil der Behandlungen ab. Schon heute beeinflussen Plattformen im Internet | |
das Informations- und Einkaufsverhalten der Nutzer:innen erheblich, indem | |
sie ihnen individualisierte Konsumvorschläge machen. | |
Verantwortlich dafür sind sogenannte ADM-Systeme, die eigenständig | |
Entscheidungen treffen („algorithmic decision making“). Darüber, wie mit | |
diesen umgegangen werden soll, konnten die Mitglieder der Kommission keine | |
Einigkeit erzielen. | |
„Diese Systeme werden von Einzelpersonen in privaten Unternehmen mit Blick | |
auf Gewinnmaximierung entwickelt und unterstehen kaum einer | |
institutionalisierten, unabhängigen Kontrolle im öffentlichen Interesse“, | |
schreiben die Grünen in ihrem Sondervotum. „Eine solche Kontrolle ist | |
[2][aber dringend zu empfehlen]“, sagt Tabea Rößner als grünes | |
Kommissionsmitglied. Sie spricht sich für „verpflichtende Register und | |
Audits von ADM-Systemen“ aus. | |
Im Bericht der KI-Kommission spielt das Thema der Regulierung allerdings | |
keine große Rolle. Grund: Die Kommissionsmehrheit, unter anderem die Union, | |
trat auf die Bremse. „Einem pauschalen Algorithmen-TÜV stehen wir skeptisch | |
gegenüber“, betont Ronja Kemmer (CDU). Social-Media-Plattformen sollen zwar | |
unter bestimmten Bedingungen „Schnittstellen öffnen“ und Einblick gewähre… | |
„eine neue Behörde braucht es dafür aber nicht“, so Kemmer. | |
Dagegen unterstützt der Bundesverband der Verbraucherzentralen die Position | |
der Grünen: „Ein ausgewogener Regulierungsrahmen ist nötig, um die | |
Akzeptanz von künstlicher Intelligenz zu stärken.“ | |
## Ein deutsches Silicon Valley? | |
Noch in diesem Jahr will EU-Kommissarin Margrethe Vestager eine Richtlinie | |
vorlegen, die das Problem aufgreift. So könnte mit der Zeit eine | |
öffentliche Instanz zur Kontrolle der Algorithmen entstehen – ähnlich einer | |
Atomaufsicht oder einem Kartellamt. Ob das eine europäische | |
Digitalagentur oder ein Netzwerk nationaler Behörden sein wird, ist | |
offen. | |
Ebenso wenig einigen konnten sich die Parteien bei der Einstufung von | |
Systemen der künstlichen Intelligenz. „Die Definition von Risikoklassen | |
dient dazu, unterschiedliche Techniken im Hinblick auf potenzielle Gefahren | |
zu klassifizieren, die eventuell von ihnen ausgehen“, erklärt Soziologe | |
Florian Butollo, Sachverständiger der Linken in der Kommission. | |
Das wäre eine Basis, „Entwicklungen mit riskanten Auswirkungen auf die | |
Gesellschaft zu verhindern oder zu regulieren“. Als Beispiel nennt Butollo | |
Algorithmen, die Emotionen in Gesichtern erkennen. „Eine Einteilung in | |
Risikoklassen halten wir generell für sinnvoll“, sagt auch | |
Grünen-Kommissionsmitglied Anna Christmann. Während die Opposition die | |
Risikobewertung teilweise verpflichtend machen will, reicht der | |
Kommissionsmehrheit eine Sollregelung. | |
„Die Mehrheit wünscht sich quasi ein zweites Silicon Valley, damit | |
Deutschland global konkurrenzfähige KI-Systeme entwickelt und auf den Markt | |
bringt“, so Linke-Experte Butollo. „Uns geht es dagegen darum, künstliche | |
Intelligenz so einzusetzen, dass sie dem Gemeinwohl und der | |
sozialökologischen Transformation dient.“ | |
25 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/ausschuesse/weitere_gremien/enquete_ki | |
[2] /Unfaelle-mit-kuenstlicher-Intelligenz/!5711704 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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