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# taz.de -- Alte weiße Männer ohne Manieren: Einfach mal den Schnabel halten
> Im US-Wahlkampf soll das Mikrofon eines Kandidaten stummgeschaltet
> werden, während der andere spricht. So weit ist es also gekommen?
Bild: Trump redet. Und redet. Und mute!
Die erste [1][Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden im
US-Präsidentschaftswahlkampf war ein Desaster.] Ständig unterbrachen die
beiden Bewerber einander, schrien dazwischen, beleidigten – es fehlte im
Grunde nur noch, dass sie sich strampelnd auf den Boden warfen. Daher wird
bei der nächsten Debatte am kommenden Donnerstag der Moderator die
Möglichkeit erhalten, den Kandidaten vorübergehend die Mikrofone
stummzuschalten.
Natürlich erscheint es im ersten Moment bitter, dass man von zwei
erwachsenen Männern quasi erst die Sandschäufelchen einkassieren muss,
damit sie nicht sich selbst und andere verletzen, und um ihnen
klarzumachen, dass es so einfach nicht geht. Doch vielleicht wird die neue
Methode ja richtungsweisend. Dann wäre das schändliche Treiben am Ende doch
zu etwas gut gewesen.
Indische und fernöstliche Meditationstechniken haben es uns vorgemacht.
Achtsamkeit, die Rückbesinnung auf sich selbst, den eigenen Körper, Geist
und Atem zeigt und reproduziert zugleich die eigene Stärke. Das
funktioniert am besten, wenn Ruhe herrscht und allenfalls mit sanfter
Stimme unsere Yogalehrerin spricht. Oder, wie es meine cholerische
Lateinlehrerin, Frau Holicke, einst so unnachahmlich auszudrücken pflegte:
„Einfach mal den Schnabel halten.“ Zeitnah gefolgt meist von der
nächsthöheren Sanktionsstufe: „Ulrich! Raus!!“
Wir können aus all dem so viel lernen: Wer auf sich achtet, achtet besser
auf andere; wer auf sich hört, hört besser auf andere; wer sich liebt, kann
andere mehr lieben. Es ist so schön, dass zwei scheinbar nutzlose, unwürdig
krakeelende Greise über Umwege zwar, doch immerhin, zu Wegbereitern
großartiger Erkenntnisse werden.
## Rohe Dezibelgewalt
Die technischen Mittel heutzutage machen das Ausblenden der
Undiszipliniertheiten ja auch viel eleganter möglich. Wo man renitente
Elemente früher noch mit roher Dezibelgewalt vor die Klassenzimmertür
befördern musste, wird ihnen heute einfach der Saft abgestellt.
Wenn die Schulklassen eines Tages wieder zu Hause vor ihren fünfundzwanzig
Zoom-Kächelchen unterrichtet werden müssen, dann wird eine moderne Frau
Holicke, eine echte Digital Native, die Störenfriede einfach kraft ihrer
Moderatorenposition stummschalten.
Auch unsere Lesebühne wurde im März pandemiebedingt per Jitsi-Konferenz
übertragen. Für die meisten von uns war das eine völlig neue Situation. Wer
gerade am lautesten schrie, tauchte jeweils in einer blauen Umrandung auf.
Das Programm wertet ihn als die sprechende Person. So eine blaue Aura finde
ich eigentlich ganz schön – die könnte ich mir auch gut fürs Real Life
vorstellen.
Da wir keinen offiziellen App-Moderator bestimmten, konnten wir uns nur
selbst stummschalten. Aber auch das ist wichtig: nicht nur andere, sondern
ruhig auch mal sich selbst herunterregeln. Denn es war ja nicht so, dass
wir einander übel ins Wort gefallen wären – dazu sind wir zu zivilisiert
und höflich. Das geschah allenfalls unabsichtlich beim Versuch, so etwas
wie launige Dialoge in die Zwischenmoderation zu flechten.
Doch das Rumpeln der Stühle, weil ständig einer aufs Klo, ans Fenster zum
Rauchen, zum Bierkühlschrank latschte, das Husten, Rülpsen, Ploppen der
Kronkorken und die Randale noch nicht zur Nachtruhe bereiter Kleinkinder im
Hintergrund nerven ja ebenfalls. Anfangs vergaß man oft, sich danach wieder
zuzuschalten, sodass alle in ein digitales Aquarium voller lautlos die
Mäulchen öffnender und schließender Menschenfische blickten. Aber das war
nicht schlimm. Besser einmal zu lang gemutet als einmal zu kurz. Weniger
ist mehr.
## Was schön wäre
Das mag auch eine Altersfrage sein, aber es wäre überhaupt schön, wenn in
jeder Lebenslage viel mehr Ruhe herrschte. Abgesehen von Kehlkopfmikrofonen
quasseln, singen, schreien die Leute im Normalfall leider weiter analog.
Das wird sich hoffentlich bald ändern. Dann gucken wir immerzu durch
Ferngläser, sprechen durch Mikros und pupen durch Auspuffanlagen.
Was Trump betrifft, geht mir persönlich der „mute button“ ja noch längst
nicht weit genug. Einen „shock button“ fände ich super. Jeder, der
dazwischenquatscht, kriegt vom Moderator erst mal einen Stromstoß. Wäre
doch gelacht, wenn das die Herrschaften nicht konditionieren wird.
20 Oct 2020
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## AUTOREN
Uli Hannemann
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