| # taz.de -- Die Wahrheit: Und noch ein Gedenkjahr | |
| > Die Iren ehren die Aufstände und Aufständischen ihrer | |
| > Unabhängigkeitskämpfe und -kriege sehr gern. 2021 ist es dann schon | |
| > wieder soweit. | |
| Die Vergangenheit hat eine große Zukunft in Irland. 2021 wird für die Grüne | |
| Insel wieder ein Jahr der Gedenkfeiern. Im Juli jährt sich das Ende des | |
| Unabhängigkeitskriegs gegen die britische Kolonialherrschaft zum | |
| hundertsten Mal. Einen Monat später, im August 1921, riefen Arbeiter im | |
| Südwesten Irlands den „Limerick Soviet“ aus, mit dem die Stadt unter | |
| Selbstverwaltung gestellt wurde, was allerdings nur acht Tage Bestand | |
| hatte. Und 1922 brach der Bürgerkrieg aus. | |
| Es gibt also genug zu gedenkfeiern, und das können die Iren, wie sie im | |
| Jahr 2016 bewiesen haben. Damals feierte man mehrmals den hundertsten | |
| Jahrestag des Osteraufstands, der das Ende der britischen Herrschaft in | |
| Irland einläutete. Die einen taten das am Ostermontag, die anderen am | |
| Datum, auf das der Ostermontag damals gefallen war. Die beiden Tage lagen | |
| 2016 einige Wochen auseinander. | |
| Jetzt hat der Osteraufstand wieder Schlagzeilen gemacht. Ende September ist | |
| nämlich das ehemalige Haus von Michael Joseph O’Rahilly, genannt „The | |
| O’Rahilly“, in Ballsbridge abgerissen worden. Er war der einzige Anführer | |
| des Osteraufstands, der bei den Kämpfen getötet wurde. Als er sterbend in | |
| einem Hauseingang in der Dubliner Innenstadt lag, schrieb er geschwind | |
| einen Brief an seine Frau Nancy. Es sei „ein guter Kampf“ gewesen, | |
| versicherte er ihr. Es sei allemal besser, als von einer Straßenbahn | |
| überfahren oder von der Grippe dahingerafft zu werden. | |
| Um sein Haus ist nun ein Rechtsstreit entbrannt. Die Baubehörde hatte der | |
| Immobilienfirma Derryroe, der das Haus inzwischen gehörte, zwar am 8. | |
| September die Abrissgenehmigung erteilt, aber der Stadtrat hatte es sechs | |
| Tage später unter Denkmalschutz gestellt. Am 29. September schlug die | |
| Abrissbirne trotzdem zu. Derryroe wird die Strafe mit Vergnügen bezahlen: | |
| Auf dem Areal soll ein zwölfstöckiger Wohnblock mit 105 Wohnungen und einem | |
| Hotel entstehen. Einige Abgeordnete fordern jedoch, O'Rahillys Haus | |
| originalgetreu wieder aufzubauen. | |
| Ballsbridge ist das vornehmste Viertel Dublins, viele Botschaften liegen | |
| hier. Ailesbury Road und Shrewsbury Road sind nicht nur auf dem | |
| Monopoly-Spielbrett die teuersten Straßen der irischen Hauptstadt. Der | |
| Stadtteil ist indirekt in die Literaturgeschichte eingegangen, denn James | |
| Joyce wählte den 16. Juni 1904, an dem sein Roman „Ulysses“ spielt, weil er | |
| an diesem Tag in der Shelbourne Road in Ballsbridge entjungfert worden war. | |
| O’Rahilly zog 1909 als erster Bewohner in das Haus ein, Nancy lebte dort | |
| bis zu ihrem Tod 1961. Der Abriss durch die Immobilienfirma entbehrt nicht | |
| einer gewissen Ironie. O’Rahilly war von Hause aus wohlhabend, weil er von | |
| seinen Eltern ein Vermögen geerbt hatte. Die waren ausgerechnet durch | |
| Immobiliengeschäfte zu Reichtum gekommen. O’Rahilly konnte sich deshalb ein | |
| französisches Auto der Marke De Dion-Bouton leisten. Der eigens für seinen | |
| irischen Besitzer grün lackierte Viersitzer überlebte O’Rahilly nur kurz. | |
| Er diente während des Aufstands als Barrikade und wurde bei den Kämpfen | |
| zerstört. | |
| 19 Oct 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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