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# taz.de -- Die Wahrheit: Fliegende Entenmuscheln
> Tiere kennen keine Grenzen! Schon gar nicht Gänse. Auch die frommen
> Nonnengänse nicht, die fliegen einfach so von Grönland aus ein.
Jetzt fallen sie wieder über Islay her. Zehntausende Nonnengänse und
Blessgänse fliegen jedes Jahr im Oktober von Grönland ein, um im
Naturschutzgebiet der schottischen Hebrideninsel zu überwintern.
Vogelfreunde bekommen stets ein feuchtes Höschen, wenn das Geschwader
anrückt. Für die Bauern ist das Federvieh freilich ein Alptraum, denn die
Gänse plündern die Äcker.
Weil die Regierung eine Million Pfund im Jahr Entschädigung an die Bauern
zahlen muss, will sie den Schaden eindämmen und hat drei Scharfschützen
angeheuert. Sie erschießen jeden Winter rund 3.000 Nonnengänse, die zwar zu
den geschützten Arten gehören, aber die Blessgänse sind noch
schützenswerter und müssen verschont werden. Das nutzen die Nonnengänse
aus. Sie mischen sich unter die Blessgänse und benutzen sie als
Schutzschild, wie al-Qaida das mit der Zivilbevölkerung getan hat.
Es sei das Ziel der „Islay-Strategie des nachhaltigen Gänsemanagements“,
wie das Gänseschlachten offiziell heißt, eine Balance zwischen den
Interessen der Gänse und der Bauern zu finden. Dass die Bauern überleben,
liege auch im Interesse der Gänse, denn ohne Bauern keine Äcker, die man
plündern kann. Es ist eine semantische Meisterleistung, das Abknallen einer
geschützten Tierart in einem Naturschutzgebiet als Segen für die Opfer
darzustellen.
Apropos Semantik: Die schwarz-weißen Nonnengänse haben dieselbe Färbung wie
Entenmuscheln. Die Katholiken behaupten deshalb, die Gänse seien fliegende
Entenmuscheln und dürfen während der Fastenzeit gegessen werden, weil sie
ja kein Fleisch seien.
## Risikogebiet Grönland
Jetzt droht den Gänsen eine weitere Gefahr. Der britische Premierminister
Boris Johnson hat Grönland zum Risikogebiet erklärt. Wer von dort einreist,
muss für zwei Wochen in Quarantäne. Das gelte auch für Gänse, meint
Johnson. Wenn die geselligen Tiere die Abstandsregel nicht einhalten, müsse
man sie eben ausweisen.
Offenbar will Johnson die Gänse aber als Druckmittel benutzen: Er strebt
einen Freihandelsvertrag mit Grönland an. Die Insel ist bereits 1985 aus
der EU, die damals noch EWG hieß, ausgetreten. Der Gröxit ist das Vorbild
für den Brexit. Grönland handelte damals einen Assoziierungsvertrag aus und
gilt als Überseeterritorium der EU. Johnson will Großbritannien mit
Grönland vereinigen und dadurch von dem Vertrag profitieren.
Seine Berater glauben hingegen, er sei verrückt geworden – offenbar die
Nachwirkungen seiner Corona-Infektion vom Frühjahr. Er hat seitdem mehr als
ein Dutzend Kehrtwendungen vollzogen. Mal mag er Erdbeeren mit Schlagsahne,
mal verabscheut er sie. Mal will er ein Abkommen mit der EU, mal einen
harten Brexit. So ist auch sein Angebot an Grönland, im Gegenzug für die
Fusion mit Großbritannien den Gänsen die Einreise zu gewähren, mit Vorsicht
zu genießen, auch wenn er behauptet, er sei „fit wie ein Fleischerhund“.
Ein Fleischerhund ist fett, gefräßig und gefühllos.
26 Oct 2020
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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Irland
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