# taz.de -- Gefechte um Berg-Karabach: „In Richtung Front“ | |
> Tausende Armenier*innen wollen sich an Kämpfen um die Kaukasusregion | |
> beteiligen. Die Stadt Jerewan zwischen Blutspenden und verzweifelten | |
> Feiern. | |
Bild: Abschiedsszenen in Jerewan: Wehrpflichtige vor der Abfahrt nach Nagorno-K… | |
Berlin taz | „Wir ziehen in den Krieg, passt bitte auf euch auf!“ Mit | |
solchen Worten geben viele in Armenien in diesen Tagen auf Facebook | |
bekannt, dass sie an die Front fahren. Auch Araxe Manucharyan bekommt diese | |
Nachricht von ihrem Cousin und von Freunden. „Mit ihnen lässt sich nicht | |
mehr diskutieren“, sagt sie. „Sie sind weg, und wer weiß, ob ich sie | |
wiedersehe.“ | |
Es ist fast Mitternacht in der Stadt Sewan, etwa 60 Kilometer von der | |
armenischen Hauptstadt Jerewan entfernt. Manucharyan schläft nicht. Die | |
28-Jährige schläft seit Tagen sowieso kaum, erzählt sie bei einem | |
Videoanruf der taz. Sie kann die Tränen nicht zurückhalten, als sie sagt: | |
„Wenn die Zeit kommt, werde ich mich auch auf den Weg in Richtung Front | |
machen.“ Sie sagt aber auch: „Für den Frieden.“ | |
Seit vier Tagen toben [1][heftige Kämpfe um die Region Berg-Karabach], die | |
auf aserbaidschanischem Staatsgebiet liegt, aber mehrheitlich von | |
Armenier*innen bewohnt und kontrolliert wird. Auf beiden Seiten gibt es | |
zahlreiche Tote und Verletzte und beide Länder mobilisieren weiterhin | |
einsatzfähige Bewohner, während der UN-Sicherheitsrat am Dienstagabend noch | |
die Rückkehr zu Verhandlungen gefordert hatte. In Armenien wird weiterhin | |
ein Foto hundertfach in den sozialen Medien geteilt: Darauf zu sehen sind | |
Großvater, Vater und Sohn, die gemeinsam in den Kampf ziehen. | |
Ein Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region hatte Anfang | |
der 1990er Jahre 25.000 bis 50.000 Tote gefordert, über 1,1 Millionen | |
Menschen wurden vertrieben. Seitdem schwelt der Konflikt. Manucharyan wurde | |
1992 während des Krieges geboren. Sie war ein Baby, als ihre Mutter mit | |
ihren Kindern in den Bunker flüchtete und sie dort in Sicherheit brachte. | |
Manucharyans älterer Bruder starb vor einigen Jahren bei Gefechten in | |
Berg-Karabach. „Wir sind müde vom Krieg“, sagt sie. | |
## Schlangen vor den Krankenhäusern | |
Ihr Leben in Armenien hat sie sich eigentlich anders vorgestellt. Vor | |
einigen Monaten schloss sie in den USA ihr Studium an der | |
Harvard-Universität ab und kehrte in die Heimat zurück. An einer Hochschule | |
in Jerewan lehrt sie Wirtschaftswissenschaft. | |
Ihre Studierenden kommen in den letzten Tagen oft zu spät zum Unterricht. | |
Sie spenden Blut, sagen sie. Stundenlang stehen sie dafür Schlange, wie | |
auch Videos in den sozialen Medien zeigen. Auch vor den Krankenhäusern in | |
Jerewan versammeln sich Menschen: Sie wollen wissen, wie es den verletzten | |
Soldaten und Zivilisten geht. Unaufhörlich tönen die Sirenen der | |
Krankenwagen und Rotoren der Hubschrauber, erzählen sie. An zentralen | |
Plätzen der Hauptstadt sammeln Aktivist*innen unterdessen Kleidung, Geld | |
und Zigaretten, um sie an die Front zu schicken. | |
Auch im Süden des Nachbarlands Georgien, wo viele Armenier*innen wohnen, | |
melden sich Freiwillige. Tausende sollen sich in der Nacht zu Dienstag an | |
der Grenze versammelt haben – die Georgien aber geschlossen hatte. Auch | |
Güter wie Lebensmittel, Medikamente und alte Autoreifen für die | |
Schützengräben ließen die georgischen Behörden nicht passieren. | |
Mittlerweile haben sie grünes Licht gegeben. | |
In Berg-Karabach selbst stehen bereits einige Ortschaften verlassen da, | |
[2][Frauen und Kinder verstecken sich in Bunkern] oder sind nach Armenien | |
geflohen. Dort haben einige Hotels Zimmer zur Verfügung gestellt, und über | |
Facebook melden sich Nutzer*innen, die ein Zimmer frei haben. Auch | |
Manucharyans Familie beherbergt eine Frau mit ihren zwei Kindern, von denen | |
eines an Asthma leidet. Der Aufenthalt in einem stickigen Bunker hätte die | |
Krankheit verschlimmert. | |
Hat Manucharyan Angst? „Nein.“ Vielmehr sei sie wütend. „Ich bedaure, da… | |
ein Physiklehrer wegen der Kämpfe seine Dorfschule zurücklässt“, sagt sie, | |
„und dass einer der besten Saxofonisten in unserem Land sein Instrument | |
nicht mehr spielt.“ | |
„Es gibt eine Tradition bei uns“, erzählt Manucharyan weiter. „Bevor der | |
Sohn zur Armee geht, feiert die Familie ein großes Fest.“ Am Tag zuvor war | |
sie bei einem Nachbarn. „Wir haben viel getanzt und geweint“, berichtet | |
sie. „Vielleicht, weil sie nicht mehr zurückkommen?“ | |
30 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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