# taz.de -- Konflikt Armenien gegen Aserbaidschan: Die Angst in den Bunkern | |
> Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan in Berg-Karabach dauern an. | |
> Die Zivilbevölkerung bringt sich in Schutz. | |
Bild: Auch in der Hauptstadt Stepanakert harren Menschen während der Angriffe … | |
BERLIN taz | Für Natalia G. ist es ein Déjà-vu. „Während des Krieges in d… | |
1990ern habe ich meine Kinder in den Bunkern versteckt“, erzählt sie. | |
„Heute verstecke ich meine Enkelkinder.“ | |
Zusammen mit Dutzenden Menschen aus ihrer Nachbarschaft hat die 60-Jährige | |
die Nacht auf Montag im Bunker ihrer Nachbarin im kleinen Dorf Noragjugh in | |
Berg-Karabach verbracht, rund dreißig Kilometer von der Frontlinie | |
entfernt. In dem Gebiet ist der [1][Konflikt zwischen Armenien und | |
Aserbaidschan am Sonntag] besonders heftig eskaliert. | |
Die Gefechte dauerten auch am Montag an. Insgesamt sind übereinstimmenden | |
Angaben zufolge mindestens 68 Menschen getötet worden, darunter sowohl | |
armenische als auch aserbaidschanische Zivilist*innen. Die tatsächliche | |
Zahl könnte jedoch höher liegen. Es soll Hunderte Verletzte geben. | |
Auch im Dorf Noragjugh wurde ein Wohnhaus getroffen, ein weiteres Geschoss | |
landete im Nachbargarten. Von den Angriffen überrascht, seien vor allem | |
Frauen und Kinder am Sonntag mit Decken und Matratzen aus ihren Häusern in | |
ihren Bunker geflüchtet, berichtet die Besitzerin des Bunkers bei einem | |
Videoanruf der taz. Dort harren sie nun weiter aus – wie lange noch, wissen | |
sie nicht. Auf den Bildern der Handykamera sitzen sie am Boden und liegen | |
sich in den Armen, und sie winken trotzdem in die Kamera. | |
## Kriegsgefahr liegt in der Luft | |
Die Bunker stammen noch aus den 1990er Jahren, als in Berg-Karabach schon | |
einmal Krieg um das Gebiet tobte. Damals starben bis zu 50.000 Menschen und | |
1,1 Millionen wurden vertrieben. Wer damals Geld hatte, ließ für die | |
gesamte Nachbarschaft einen Bunker unter dem eigenen Haus bauen. Manchmal | |
befinden sie sich auch unter Schulen. | |
Die Frauen in Noragjugh stellen sich darauf ein, dass die aktuelle | |
Eskalation zwischen armenischen Truppen und aserbaidschanischer Armee | |
länger andauern werden, Kriegsgefahr liegt in der Luft. Und so haben sie | |
sich mit reichlich Wasser, Konserven und Kerzen ausgestattet, falls der | |
Strom ausfällt. | |
Nachdem Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan am Sonntag das | |
Kriegsrecht für das Land ausgerufen und alle einsatzfähigen Bewohner über | |
18 Jahren dazu aufgerufen hatte, sich für den Einsatz an der Front | |
bereitzumachen, sind Tausende seinem Aufruf gefolgt – auch die Männer der | |
Frauen im Dorf. | |
Das armenische Fernsehen zeigt, wie Männer in verschiedenen Städten in | |
Busse steigen, um sich auf den Weg Richtung Front zu machen. Freunde und | |
Verwandte applaudieren, hupen und pfeifen ihnen begeistert zu. Die Zahl der | |
armenischen Freiwilligen ist nach offiziellen Angaben sogar so hoch, dass | |
viele nach der Registrierung wieder nach Hause geschickt werden müssen. | |
## Neue Qualität der Kämpfe | |
Auch die Regierung Aserbaidschans verhängte Kriegsrecht und eine | |
Ausgangssperre im Land. Dort dürfte die Euphorie in vielen Teilen der | |
Bevölkerung ähnlich groß sein: Nach dem jüngsten Aufflammen des Konflikts | |
im Juli dieses Jahres zogen in Baku bereits Tausende auf die Straßen und | |
forderten mit Rufen wie „Karabach ist unser!“ ein hartes Durchgreifen | |
Aserbaidschans in dem Konflikt. Neben dem umstrittenen Gebiet Berg-Karabach | |
hält Armenien weitere Territorien auf aserbaidschanischem Gebiet besetzt | |
und plant derzeit, eine Straße nach Berg-Karabach zu bauen. | |
Aserbaidschan warf den armenischen Kämpfern am Montag vor, zivile Ziele in | |
der Stadt Terter in der Nachbarregion zu Berg-Karabach beschossen zu haben. | |
Die aserbaidschanische Armee greife Stellungen mit Artillerie und | |
Luftschlägen an und habe „mehrere strategische Positionen um das Dorf | |
Talisch“ erobert, hieß es. | |
An der sogenannten Vertragslinie, die armenische und aserbaidschanische | |
Streitkräfte trennt, hat es in der Vergangenheit immer wieder Kämpfe | |
gegeben, trotz des 1994 ausgehandelten Waffenstillstandes. Doch die | |
aktuellen Kämpfe scheinen eine neue Qualität erreicht zu haben. Beide | |
Seiten sprechen offen von Krieg. Erstmals finden militärische Operationen | |
entlang der gesamten Konfliktlinie statt, nicht nur außerhalb davon. Auch | |
die Angriffe auf Hauptstadt Berg-Karabach am Sonntag markieren eine neue | |
Stufe. | |
Sowohl Armenien als auch Aserbaidschan haben in den letzten Jahrzehnten | |
massiv aufgerüstet, auch mit Hilfe Russlands, das an beide Länder Waffen | |
liefert. Laut dem Globalen Militarisierungsindex des Bonn International | |
Center for Conversion (Bicc) gehören Armenien und Aserbaidschan zu den zehn | |
am stärksten militarisierten Staaten weltweit. | |
## Holprige internationale Vermittlung | |
Während sich [2][die türkische Regierung in dem Konflikt vollkommen hinter | |
Aserbaidschan stellt], unterhält Russland mit beiden Staaten Beziehungen | |
und will in dem Konflikt vermitteln. Armenien zählt auf Russland als | |
Schutzmacht, das auch eine Militärbasis in dem Land unterhält. | |
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Montag der Nachrichtenagentur Tass | |
zufolge, dass die Situation auf diplomatischem Wege gelöst werden müsse. | |
Die [3][Vermittlungen der Minsker Gruppe] der Organisation für Sicherheit | |
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der neben den USA und Frankreich auch | |
Russland vorsitzt und die sich seit 1994 um eine diplomatische Lösung | |
bemüht, stocken aber schon seit Langem. | |
Die Frauen und Kinder im Dorf Noragjugh bleiben vorerst im Bunker. Nur | |
vereinzelt traut sich eine von ihnen nach oben, um die Lage zu überprüfen. | |
Dort blieb es am Montag relativ ruhig – nur von der Ferne hörten sie | |
Schüsse im Nachbardorf und Drohnen in der Luft. | |
28 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
Tigran Petrosyan | |
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