# taz.de -- „kohero Magazin“ aus Hamburg: Gegen das Stereotyp | |
> Geflüchtete schreiben in einem Hamburger Magazin über ihre Geschichten. | |
> Von einschlägigen Massenmedien fühlen sie sich nicht richtig dargestellt. | |
Bild: Kohero-Chefredakteur Hussam Al Zaher vor dem Hamburger Rathaus | |
Bis wann bleibt man ein Flüchtling? Diese Frage stellt sich nicht nur | |
Hussam Al Zaher, Chefredakteur des kohero Magazins. Vor fünf Jahren kam er | |
aus Syrien nach Hamburg, wo er sich ein neues Leben aufgebaut hat. | |
Er erinnert sich, dass die Berichterstattung über Geflüchtete ihn am Anfang | |
fast erschlagen habe: Kein anderes Thema dominierte die Nachrichten zu der | |
Zeit so sehr. [1][Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung] zeigt allerdings, | |
dass sich der mediale Diskurs vor allem an den politischen Akteuren | |
orientierte und nur in wenigen Fällen Betroffene selbst zu Wort kamen. | |
„Wir wurden nicht als individuelle Menschen wahrgenommen“, meint Hussam Al | |
Zaher. Der 31-Jährige war als Journalist in Damaskus tätig, in Deutschland | |
schien eine Karriere in der Medienbranche aufgrund von Sprachbarrieren | |
schwierig. Dies bestätigt auch Rebecca Roth, Leiterin des | |
Mentoringprogramms für Journalist:innen mit Einwanderungsgeschichte der | |
Neuen Deutschen Medienmacher*innen, eines Vereins, der sich für mehr | |
Diversität im Journalismus einsetzt. Der Zugang zu deutschsprachigen | |
Redaktionen sei vereinzelt durch öffentlich geförderte oder durch | |
Stiftungen finanzierte Projekte gegeben. „Viele Möglichkeiten, sich | |
beruflich zu reintegrieren, werden aber nicht über den Förderzeitraum | |
hinaus weitergeführt“, sagt Roth. | |
Hussam Al Zaher hielt das nicht davon ab, mit der Unterstützung von | |
Freiwilligen im Jahr 2017 sein eigenes Online-Magazin zu gründen – das | |
Flüchtling-Magazin. Seine Idee war es, Menschen mit Fluchterfahrung eine | |
Plattform zu geben, auf der sie sich selbst vorstellen können. Die Artikel | |
werden auf Deutsch veröffentlicht, da sie sich an die deutsche | |
Mehrheitsgesellschaft richten. Neben den persönlichen Porträts von | |
Geflüchteten findet sich auf der [2][Internetseite] auch ein Kommentar zur | |
europäischen Asylpolitik am Beispiel Morias, ein Beitrag über die Vor- und | |
Nachteile von Mehrsprachigkeit und es gibt Informationen über die | |
Aufenthaltserlaubnis. | |
Bereits vier Mal erschien das Magazin auch in Print, Leser:innen können es | |
sich zweimal im Jahr bestellen. Rund 35 Ehrenamtliche arbeiten in der | |
Redaktion, im Community Management oder im Schreibtandem, wo sie | |
Geflüchteten beim Schreiben von Artikeln unterstützen. Über hundert | |
Autor:innen haben in dem Magazin ihre Perspektiven, Erfahrungen und | |
Lebensrealitäten bereits geteilt. | |
## Ein neuer Name | |
Doch nach knapp fünf Jahren scheint der Name Flüchtling-Magazin heute nicht | |
mehr passend. Hussam Al Zaher findet, dass der Begriff „Flüchtling“ negativ | |
konnotiert sei. Außerdem hebe man sich eben nicht von der | |
Mehrheitsgesellschaft ab. Viele Geflüchtete sind erwerbstätig, gehen zur | |
Schule oder machen eine Ausbildung. Ihre Identität geht über die eines | |
Flüchtlings hinaus. | |
Aus diesem Gedanken heraus entstand der neue Name für das Magazin: kohero. | |
Kohero bedeutet Zusammenhalt in der Plansprache Esperanto, die entwickelt | |
wurde, um eine internationale Verständigung zu fördern. Gerade deswegen | |
findet Hussam Al Zaher den Namen so treffend: „Wir sprechen alle Menschen | |
an, die für eine bessere demokratische Gesellschaft zusammenkommen wollen.“ | |
Und dies unabhängig von Migrations- oder Fluchterfahrung. | |
Auch inhaltlich wolle sich das Team des kohero Magazins breiter öffnen, | |
erklärt Online-Redakteurin Anna Heudorfer. Man wolle stärker auf Themen | |
rund um Migration, Rassismus und das Zusammenleben von verschiedenen | |
Kulturen eingehen. „Wir wollen die persönlichen Beiträge aus der Community | |
durch Berichterstattung zu aktuellen Themen ergänzen“, sagt Heudorfer. | |
## Projekt in Bochum | |
Das kohero Magazin ist nicht das einzige journalistische Projekt, in dem | |
Geflüchtete ihre Perspektiven teilen. Ähnliche Arbeit leistet das | |
Online-Magazin Neu in Deutschland aus Bochum. Die Redaktionen arbeiteten in | |
der Vergangenheit zusammen, tauschten Artikel aus und vernetzten sich. Es | |
gebe Ideen dazu, ein europäisches Netzwerk zu kreieren, um Erfahrungen von | |
geflüchteten Menschen in Europa zu sammeln und Anregungen zu | |
rassismuskritischer Sprache und das Framing von Debatten um Migration und | |
Einwanderung an die etablierten Massenmedien weiterzugeben, sagt Heudorfer | |
aus der kohero-Redaktion. | |
„Wir möchten, dass alle Menschen unserer Gesellschaft in den Medien | |
repräsentiert werden“, betont Hussam Al Zaher. Und dazu würden eben auch | |
solche mit Migrations- und Fluchthintergrund gehören. | |
7 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten… | |
[2] https://www.kohero-magazin.de/ | |
## AUTOREN | |
Sarah Zaheer | |
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