| # taz.de -- Medienforscherin über Ost-Zeitungen: „Überlebt haben fast keine… | |
| > 1990 gründeten sich 120 neue Zeitungen in der DDR. Was wurde aus ihnen? | |
| > Warum etablierte sich keine Ostpresse im Westen? Das untersucht Mandy | |
| > Tröger. | |
| Bild: Berlin-Mitte, 1993, Werbung für die schon längst nicht mehr existierend… | |
| taz am wochenende: Frau Tröger, nach der Maueröffnung wollte die | |
| DDR-Regierung eine freie Medienlandschaft. Also gleiche Bedingungen für | |
| [1][alte und neue Titel aus dem Osten] und Blätter aus dem Westen. In Ihrem | |
| Buch heißt es aber, die Entwürfe für diese neue DDR-Medienordnung | |
| „gründeten auf den Interessen und der Logik westdeutscher Verlage“. Was ist | |
| da schief gegangen? War es wirklich ein abgekartetes Spiel? | |
| Mandy Tröger: Das zwar nicht, aber eine Art logische Konsequenz. Denn es | |
| gab ja den enormen Reformdruck von unten, von den Menschen, die 1989/90 auf | |
| die Straße gingen. Da war eine der zentralen Forderungen: freie Presse, | |
| Meinungsfreiheit. Dazu gehört natürlich auch, dass alle Westzeitungen haben | |
| wollten, an die man vorher kaum herankam. Parallel zu diesen | |
| Reforminitiativen im Osten haben früh die westdeutsche Politik und vor | |
| allem die westdeutsche Wirtschaft ihre Interessen ausgespielt. Und die | |
| DDR-Regierung musste darauf reagieren … | |
| Als der entschieden schwächere Partner … | |
| Es gab schon früh, im Dezember 1989, ein Abkommen zwischen dem neuen | |
| DDR-Regierungschef Hans Modrow und BRD-Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem | |
| ein deutsch-deutscher Presseaustausch beschlossen wurde. Dabei wurden die | |
| komplett unterschiedlichen Bedingungen in der DDR und der BRD aber außer | |
| Acht gelassen: Hochprofitable Verlage im Westen und eine komplett | |
| unterversorgte Presselandschaft im Osten. Mit der Öffnung der Mauer fand da | |
| natürlich ein einseitiger Import in den Osten statt, der den Westverlagen | |
| in die Hände spielte. | |
| Weil diese die bestehenden Monopolstrukturen und die kriselnde | |
| Planwirtschaft zu ihrem Vorteil nutzen konnten: Die neuen Zeitungen im | |
| Osten bekamen ja nicht mal genügend Papier zugeteilt. | |
| Das ganze war noch vielschichtiger. Da gab es mindestens drei Dimensionen: | |
| Einmal den simplen Import von westdeutschen Titeln in die DDR. Dann die | |
| ersten „Zeitungshochzeiten“ lange vor der offiziellen Privatisierung durch | |
| die Treuhand. Und die Vertriebsstrukturen: In der DDR hatte die Post das | |
| Monopol auf Zeitungszustellung, aber auch was den Verkauf am Kiosk anging. | |
| All das hat finanzstarken Verlagen aus der BRD geholfen. | |
| Zumal von einem „Presseaustausch“ keine Rede sein kann. Es haben ja keine | |
| DDR-Titel die westdeutschen Zeitungsregale geflutet … | |
| Das war schon Thema bei einer deutsch-deutschen Medientagung am 8. Februar | |
| 1990. Da wurde von ostdeutscher Seite klar gesagt, dass das so nicht | |
| funktionieren kann und dass man Unterstützung brauche bei Druck oder | |
| Werbung. Das Bundesinnenministerium hat auch Hilfe versprochen. Da ist aber | |
| nie etwas passiert. Insofern war das von Anfang an illusorisch. | |
| Welche Rolle spielten hier die Großverlage Bauer, Burda, Springer und | |
| Gruner + Jahr? | |
| Eine ganz entscheidende. Sie wollten zunächst ein Joint Venture mit der | |
| DDR-Post für den Zeitungsvertrieb aufbauen. Das ist ironischerweise am | |
| Widerstand mittelständischer Verleger aus dem Westen gescheitert, die für | |
| ihre Blätter Nachteile befürchteten. Daraufhin haben die vier Verlage ihr | |
| eigenes Ding gemacht und ihre Blätter ab Anfang März 1990 über Bäckereien | |
| und Geschäfte verkauft. Das war in der DDR eine rechtliche Grauzone, | |
| gemessen an der Gesetzeslage im Westen war es aber illegal. Denn es | |
| handelte sich vor allem um einen Exklusivvertrieb für westliche Titel, | |
| während die alten und neuen Titel aus der DDR bis zuletzt hauptsächlich am | |
| maroden Postzeitungsvertrieb hingen. | |
| Welche Folgen hatte das? | |
| Das Bundeskartellamt hat nach der Vereinigung geurteilt, dass das | |
| marktschädigend war und dieses Verlagskartell zerschlagen. Da war das Kind | |
| aber schon im Brunnen. Vor allem die neu gegründeten Blätter steckten in | |
| solchen finanziellen Schwierigkeiten, dass sie sich davon nicht mehr | |
| erholen konnten. Von den 1990 rund 120 neu gegründeten Titeln waren schon | |
| Ende 1992 keine 50 mehr übrig. Überlebt haben bis heute fast keine. | |
| Welche Rolle spielte hier das Bundesinnenministerium? Der Bund ist und war | |
| ja gar nicht für Medien- oder Pressepolitik zuständig. | |
| Das BMI hat sich nach außen immer rausgehalten und gesagt: „Was Westverlage | |
| in der DDR machen, da haben wir keinen Einfluss drauf.“ Aber natürlich gab | |
| es klare Interessen mit Blick auf die ersten freien Volkskammerwahlen im | |
| März 1990. Das BMI hat schon im Februar 1990 Gespräche mit den | |
| BRD-Verlegerverbänden geführt, um früh Westpresse in den Osten zu kriegen. | |
| Das hatte natürlich mit parteipolitischen Interessen aus der BRD zu tun. | |
| Mit den Ostverlagen haben die nie gesprochen. | |
| Das heißt: Alles, was der DDR-Medienminister Müller oder der „runde Tisch“ | |
| an Veränderungen wollte, war von vornherein illusorisch? | |
| Medienminister Müller hat das damals schon sehr gut verstanden und in | |
| seinem Ministertagebuch festgehalten. Er hat zum Beispiel klar gesehen, was | |
| passiert, wenn die starken SED-Bezirkszeitungen mit großen Westverlagen | |
| zusammengehen. Schnell wurde auch klar, dass der Westen das geplante | |
| umfassende Mediengesetz nicht wollte. Da sollte es um Dinge wie „innere | |
| Pressefreiheit“ gehen, was für die Verleger ja bis heute ein rotes Tuch | |
| ist. Alles, was aus der Diktaturerfahrung der DDR absolut Sinn machte, wie | |
| man Medien und Journalismus neu denken muss, fiel durchs Raster. Ziel der | |
| BRD war es, die Westverhältnisse und -strukturen nicht durch neue Konzepte | |
| zu gefährden. Das Westsystem sollte vielmehr eins zu eins im Osten | |
| übernommen werden – so kam es dann ja auch, bis hin zum | |
| öffentlich-rechtlichen Rundfunk. | |
| Was waren denn die absurdesten Auswüchse? | |
| Ursprünglich hatte Gruner + Jahr einen Deal angeboten, bei dem sie nur | |
| Remissionsware, also im Westen nicht abgesetzte Exemplare, in den Osten | |
| gebracht hätten – zum halben Preis. Das wurde ziemlich gönnerhaft verkauft, | |
| dabei wäre das sonst im Altpapier gelandet. Daraus wurde aber nichts. | |
| Welche Geisteshaltung steckte wiederum auf Westseite dahinter? | |
| Ich glaube, das war so ein bisschen die Überzeugung: „Freie Presse müsse in | |
| den Osten kommen.“ Was in der Wendezeit im Osten entstand an Reformideen, | |
| neuen Blättern aus der Bürgerbewegung – all das wurde nicht für voll | |
| genommen. | |
| Wie ist denn die Rolle der SED-Blätter in dieser Zeit zu bewerten? | |
| Die hatten in ihrer Region – es gab in jedem der 15 Bezirke der DDR einen | |
| Titel – quasi ein Monopol und sind somit fast ungeschoren durch die | |
| Wendezeit gekommen. Sie haben auch die ganze Zeit von ihren Privilegien | |
| profitiert – die bevorzugte Papierzuteilung, ihre modernen Druckereien, | |
| dass sie mehr Personal hatten und mehr Telefonleitungen als andere Blätter. | |
| An den Folgen der Transformation leidet Ostdeutschland noch heute: Die | |
| Presselandschaft ist weiter von den ehemaligen SED-Bezirkszeitungen | |
| geprägt, die inzwischen alle in den Händen großer Westverlage sind. [2][Von | |
| Vielfalt kann eigentlich keine Rede sein]. Dafür stehen wiederum aktuell | |
| viele Menschen den Medien insgesamt sehr kritisch gegenüber. Gibt es da für | |
| Sie einen Zusammenhang? | |
| Wenn man heute die Vorwürfe wie „Mainstream“ oder „Lügenpresse“ sieht… | |
| man verstehen, was damals passiert ist. Denn da liegen die Wurzeln. Die | |
| Desillusion, die in diesen Übergangsjahren erfahren wurde, wirkt nach. Es | |
| war die Erfahrung des Marktes, nicht die der Demokratie. Also keine Stimme | |
| zu haben – Zeitung stand ja auch für Partizipation. Aber all das wurde | |
| überrollt vom Markt. Die ganzen Zeitungsneugründungen standen für eine neue | |
| demokratische Partizipation, gingen dann aber sofort wieder bankrott. | |
| Sie haben Ihre Arbeit nicht in Deutschland, sondern in den USA geschrieben. | |
| Warum muss man für so ein wichtiges Kapitel der jüngeren deutschen | |
| Mediengeschichte nach Illinois? | |
| Weil es in Deutschland politisch, sozial und wirtschaftlich noch zu nah | |
| dran ist. Es geht um die Interessen von Konzernen, die weiterhin den Ton | |
| angeben. Ich wollte dem Geld folgen und fragen: Wie bestimmen Wirtschafts- | |
| und Politikinteressen das Mediensystem, das wir haben. Dieser Ansatz ist in | |
| der deutschen Kommunikationswissenschaft ausgestorben, und in Bezug auf die | |
| Wende sind eben noch zu viele Interessen involviert. In den USA hat das | |
| niemanden interessiert – da war das eine nette Fallstudie. Dabei ist die | |
| Frage nach der wirtschaftlichen Dimension genau so wichtig, wenn wir heute | |
| über Medientransformation und Digitalisierung sprechen. Das wird aber in | |
| der wissenschaftlichen und politischen Debatte häufig außen vor gelassen. | |
| 4 Oct 2020 | |
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