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# taz.de -- Prozess gegen Islamisten-Witwe: Ein Jahr im IS-Gebiet
> Am Freitag fiel in Hamburg das Urteil im Staatsschutzverfahren gegen
> Omaima A. Sie muss für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Bild: Im Business-Look: Omaima A. zu Prozessauftakt vor dem Hamburger Oberlande…
Hamburg taz | Zum Prozessauftakt hatte sie noch einen mutigen Eindruck
gemacht. Mit Jackett und goldenen Ohrringen saß Omaima A. Anfang Mai dieses
Jahres [1][zum ersten Mal auf der Anklagebank des Hamburger
Oberlandesgerichts], während die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft gegen sie
verlesen wurden. Auch am Montag vor Beginn des letzten Verhandlungstages
zeigte sie sich gut gelaunt, winkte Bekannten im Publikum zu.
Einige Minuten später jedoch, als sie das letzte Wort sprach, stand sie da
in Trainingsjacke und wischte sich an den Ärmeln die Tränen aus dem
Gesicht. Ihren Vortrag, den sie vom Zettel ablas, musste sie immer wieder
unterbrechen. Es war ihre letzte Chance, das Gericht zu einem milden Urteil
zu bewegen. Am heutigen Freitag, 2. Oktober, entschied das Gericht: A. muss
für dreieinhalb Jahre in Haft. Die 36-Jährige sei der Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig, sagte der
Vorsitzende des Strafsenats, Norbert Sakuth.
Omaima A. soll Mitglied einer terroristischen Vereinigung, dem sogenannten
Islamischen Staat (IS), gewesen sein. Zudem soll sie ein nach dem
Kriegswaffenkontrollgesetz verbotenes Sturmgewehr besessen haben. Sie soll
eine vom IS als Sklavin gehaltene 13-jährige Jesidin in ihrem Haushalt
beschäftigt haben. Und sie soll die Fürsorge- und Erziehungspflicht für
ihre Kinder verletzt haben, weil sie sie 2015 mit in das vom IS beherrschte
Gebiet in Syrien nahm.
Diese Vorwürfe machte die Bundesanwaltschaft der heute 36-Jährigen, die
nach ihrer Rückkehr aus Syrien im Jahr 2016 zunächst drei Jahre unentdeckt
in Hamburg lebte. Das Gericht folgte dieser Ansicht weitgehend. Die
entscheidende Frage ist, ob sich A. glaubhaft von der IS-Ideologie
distanziert hat. Und ob sie ihr je richtig anhing.
## Nur den Haushalt geführt?
Denn ihr Verteidiger, Tarig Elobied meint, A. habe im IS-Gebiet lediglich
den Haushalt geführt, während ihre beiden getöteten Ehemänner für den IS
kämpften. Wir hätten es hier also nicht mit einer Terroristin zu tun, die
Bundesanwaltschaft führe auf ihrem Rücken einen politischen Prozess gegen
den IS.
Im Jahr 2015 reiste A. über Frankfurt am Main und Istanbul in die vom IS
beherrschten Gebiete in Syrien. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit dem aus
Frankfurt stammenden Islamisten Nadir Hadra verheiratet, der sich bereits
in Syrien befand.
Nachdem Hadra bei Kämpfen getötet wurde, heiratete A. Denis Cuspert, der
mit Hadra befreundet war. Der Berliner, der zuvor als Gangsterrapper Deso
Dogg Karriere gemacht hatte, war da schon in den Führungszirkel des IS
aufgestiegen. Cuspert ist laut Bundeskriminalamt vermutlich seit 2018 tot.
Nicht nur führe die Bundesanwaltschaft einen politischen Prozess gegen A.,
auch die Öffentlichkeit zeige am Prozess nicht wegen der Angeklagten
Interesse, sagt Elobied zu Beginn seines Plädoyers. Vielmehr gelte ihr das
Interesse, weil sie Denis Cuspert, den wohl berühmtesten deutschen
IS-Terroristen, als Ehemann hatte. Nun werde sie mit dessen Taten
assoziiert.
## Seit einem Jahr in U-Haft
Zu Prozessauftakt wollte sich die Angeklagte nicht zu den Vorwürfen äußern.
Im späteren Verlauf des Prozesses sagte sie aber doch noch aus. Am Montag
betonte Anwalt Elobied, dass sie nur wegen ihres Ehemanns zum IS gekommen
sei. „Die Angeklagte hat sich keine ideologischen Gedanken über den IS
gemacht“, sagte er. Die 13-jährige Jesidin, die vom IS versklavt wurde, sei
lediglich für eine kurze Zeit von ihr in Obhut genommen worden. Denn deren
eigentliche „Herrin“ sei wegen eines Arzttermins verreist gewesen.
[2][Seit über einem Jahr sitzt Omaima A. in Untersuchungshaft.] „Es ist die
schlimmste Zeit in meinem Leben“, sagte sie am Montag vor Gericht. Hätte
nicht eine libanesische Journalistin recherchiert, hätte A. in Hamburg wohl
vollkommen unbehelligt weitergelebt. Die TV-Journalistin Jenan Moussa kam
über einen Informanten in den Besitz des Handys von A., das sie in Syrien
zurückgelassen hatte.
Darauf fanden sich Tausende Fotos, die A. im Umfeld des IS zeigen. Moussa
machte A. in Hamburg ausfindig, die ein Foto von sich auf Linked-In
hochgeladen hatte, als Tätigkeiten waren dort „Eventmanagerin“ und
„Übersetzerin“ angegeben. Erst nach diesen Recherchen griffen die Behörden
zu.
Am letzten Verhandlungstag sagte A., dass sie diesen Abschnitt ihres Lebens
bereue. „Ich bin wütend auf mich“, sagte sie. Besonders würden ihr ihre
Kinder fehlen, die sie seit ihrem Haftantritt nicht mehr sehen konnte. Die
Kinder, drei Söhne und eine Tochter, leben seitdem bei Omaimas Eltern.
## Bundesanwaltschaft zweifelt an Reue
Ihre Erfahrungen in der Haft sind auch der Grund, warum A. keine Aussagen
über andere IS-Mitglieder machen will. Sie wolle nach diesem Prozess nie
wieder einen Gerichtssaal betreten, sagt sie. Doch gerade dieser Punkt
könnte ihre Reue unglaubwürdig wirken lassen. Zwar sagt A., dass sie mit
einigen Taten des IS nicht einverstanden sei, eine komplette Abkehr aber
sieht anders aus.
So sieht es zumindest die Bundesanwaltschaft. Sie forderte in der Summe
eine Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Sollte A. eine Haftstrafe
von höchstens zwei Jahren erhalten, hätten die zur Bewährung ausgesetzt
werden können. Liegt sie darüber, muss sie zumindest fürs Erste weiter in
Haft bleiben. Dies ist nach dem Urteil am Freitag der Fall. Deshalb
versuchte ihr Anwalt am Montag in seinem Plädoyer auf mehreren Ebenen die
Rolle und die Schwere der vorgeworfenen Taten seiner Mandantin
herunterzuspielen.
Und A. flehte – wegen ihrer Kinder – um Nachsicht vom Gericht. „Ich trage
so viel Schmerz und Leid in mir“, sagte sie unter Tränen. Ob das reicht,
ähnlich wie im Fall Elina F., die, ebenfalls vor dem Hamburger
Oberlandesgericht, vor gut vier Wochen für ähnliche Vorwürfe mit einer
Bewährungsstrafe davonkam, war fraglich.
Parallel zur Urteilsverkündung gab es auch eine Protestaktion vor dem
Gerichtsgebäude. [3][Aufgerufen haben dazu verschiedene jesidische,
kurdische und feministische Gruppen.] Die Linkspolitikerin Cansu Özdemir
und ihre Mitarbeiter*innen haben mit den anderen Gruppen den Prozess
beobachtet.
## Heikle Debatte um Rückkehrerinnen
„Im Zusammenhang mit den Prozessen gegen weibliche IS-Mitglieder findet
eine seltsame Diskussion statt: Die Rolle der Frau wird zu häufig
verharmlost“, sagt Özdemir. Selbst wenn IS-Frauen nicht unmittelbar an
Erschießungen oder Kampfhandlungen teilnähmen, würden sie dennoch den
Terror stützen. „Wir müssen auch Frauen als Täterinnen sehen“, sagt
Özdemir.
Diese Forderung knüpft an eine heikle Debatte an. Haben sich die
IS-Rückkehrerinnen strafbar gemacht, auch wenn sie nicht selbst zur Waffe
gegriffen haben? Viele von ihnen behaupten, nur ihrem Mann den Haushalt
geführt zu haben. Mit dem Rest hätten sie nichts zu tun gehabt. Das war
anfangs auch die Strategie der Verteidigung im Fall Omaima A.
Die Bundesanwaltschaft hat deshalb versucht, möglichst umfassend Vorwürfe
gegen A. zu sammeln. Das ist auch eine Reaktion auf den Bundesgerichtshof.
Der hatte 2018 die generelle Strafverfolgung von Frauen, die sich dem
sogenannten Islamischen Staat angeschlossen haben, abgelehnt. Es reiche
nicht, sich am Alltagsleben im Herrschaftsgebiet des IS zu beteiligen, um
als Mitglied der terroristischen Vereinigung zu gelten.
Mehr zum Verfahren gegen Omaima A. und den Umgang mit radikalisierten
Syrien-Rückkerer:innen lesen Sie am Freitag im Schwerpunkt der taz nord –
oder [4][hier].
2 Oct 2020
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-IS-Rueckkehrerin-in-Hamburg/!5682823
[2] /IS-Rueckkehrerin-kommt-vor-Gericht/!5671905
[3] /Prozess-gegen-IS-Anhaenger/!5682961
[4] /!114771/
## AUTOREN
André Zuschlag
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