| # taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Jazz-Raketen und Klassenkampf | |
| > Otis Sandsjö liefern auf ihrem neuen Album „Mauerpark Liquid Jazz“. Black | |
| > Heino recken die Fäuste für die Arbeiterklasse und das Digitalprekariat. | |
| Bild: Black Heino präsentieren ihr neues Album „Menschen und Maschinen“ | |
| „Y-Otis“, das klingt irgendwie nach Space und Science-Fiction, das könnte | |
| auch der Name eines Raumschiffs sein. Unter diesem Titel veröffentlicht der | |
| schwedische Saxofonist und Klarinettist [1][Otis Sandsjö] seine Alben, auf | |
| „Y-Otis“ (2018) folgt nun „Y-Otis 2“. Das passt insofern, als Sandsjö | |
| durchaus als kleine, unterschätzte Rakete im Jazz-All gelten darf. | |
| Der seit 2016 in Berlin ansässige Musiker tritt dabei nicht nur als | |
| Solomusiker in Erscheinung. So arbeitet er mit der gefeierten Schweizer | |
| Jazzerin [2][Lucia Cadotsch] zusammen; auch bei Cadotschs im November | |
| erscheinenden neuen Werk („Speak Low II“) hat er wieder mitgewirkt. Vor | |
| Corona war Sandsjö zudem bei den denkwürdigen, vom Hocker reißenden | |
| Live-Auftritten des tollen Quinetts [3][Koma Saxo] zu erleben. | |
| Das zweite Solowerk „Y-Otis 2“ kommt extrem gut aus der Startrampe, der | |
| Opener „waldo“ ist so etwas wie eine schräge Saxofon-getriebene | |
| Eingangsfanfare, dann kommt mit dem Drum'n'Bass- und | |
| Broken-Beat-beeinflussten „tremdoce“ schon ein Kernstück des Albums, das | |
| einem zeigt, wohin die Reise geht: Sandsjö steuert mit „Y-Otis 2“ bei | |
| weitem nicht nur Jazz-Planeten an, er nimmt auch viele Impulse aus der | |
| elektronischen Musik mit – etwa im 90er-Dance-beeinflussten „bobby“, im | |
| chillig-loungigen „koppom“ oder in „oisters“ mit seinem Synthie-Einstie… | |
| Sandsjös Saxofon- und Klarinettenklänge sind in ein Pop-Universum | |
| eingebunden, er selbst hat seine Musik „Mauerpark Liquid Jazz“ getauft. So | |
| nennt er sie zum einen wegen ihres zwischen den Genres changierenden, | |
| fluiden Charakters, so heißt sie aber auch, weil das Studio von Petter Eldh | |
| – in dem Lucia Cadotsch, Koma Saxo und eben auch Sandsjö aufnehmen – sich | |
| in Nähe des Parks befindet. Fortan darf das Studio guten Gewissens als Cape | |
| Canaveral des Berliner Jazz gelten. | |
| ## Rock'n'Roll als Klassenkampf | |
| Die Berliner Postpunk-Band [4][Black Heino] ist dagegen etwas irdischer | |
| unterwegs und sucht das Paradies im Hier und Jetzt – ganz im Marx'schen | |
| Sinne setzt die Combo dabei auf die Veränderung der | |
| Produktionsverhältnisse. „Menschen und Maschinen“, so der Titel des neuen | |
| Albums, ist inhaltlich tatsächlich Klassenkampf mit den Mitteln des | |
| Rock'n'Roll. | |
| Insbesondere geht es den Herren um Sänger und Gitarrist Diego Castro darum | |
| zu beschreiben wie das Nutztier Mensch im Zeitalter von (Ro)Bots und KI | |
| langsam überflüssig wird: „Menschen und Maschinen/ ein neues Wesen macht | |
| sich breit/ das Gespenst der Nutzlosigkeit/ Menschen und Maschinen/ sie | |
| sind Freunde in der Not/ kommen vom Band und nicht vom Boot“, singt Castro. | |
| Black Heino haben schon auf früheren Alben auf kluge Art und Weise Kritik | |
| an den Verhältnissen – um mal im Jargon zu bleiben – formuliert. Mit dem | |
| Album „Heldentum und Idiotie“ (2016) entwickelten sie ihren Stil zwischen | |
| Fehlfarben-Postpunk und Garage Punk/Rock, es folgten zwei viel | |
| versprechende EPs (von einer ist hier noch der Song „Pfaffenbrot“ | |
| enthalten). | |
| ## Stilistisch breiter aufgestellt | |
| „Menschen und Maschinen“ ist musikalisch ein ordentlicher Schritt nach | |
| vorn, dem Sound hat es gut getan, dass Beatsteaks-Drummer Thomas Götz das | |
| Album produziert hat. Denn stilistisch sind Black Heino jetzt breiter | |
| aufgestellt, die Rock-Kanten sind klarer zu hören. | |
| Die vielen Zitate sind toll, der Anfang des Titelsongs weckt Reminiszenzen | |
| an Bowies „Let's Dance“ und den Drum-Beat von „Be my Baby“ (The Ronette… | |
| „Alexa!“ erinnert ein bisschen an „Lost in The Supermarket“ von The Cla… | |
| (und an noch irgendwas anderes, das mir gerade nicht einfällt...). | |
| Ein äußerst gescheites Werk, das bestens in unsere Zeit passt und nicht nur | |
| die schöne neue Arbeitswelt besingt („Homo Oeconomicus“, „Bambusschrott�… | |
| sondern auch über Bürgerrechte und Mündigkeit im digitalen Zeitalter | |
| sinniert („Alexa!“, „Social Bots vs King Ludd“). In diesem Sinne: Hoch … | |
| internationale Solidarität! | |
| 23 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.otissandsjo.com/ | |
| [2] https://www.luciacadotsch.com/ | |
| [3] https://wejazzrecords.bandcamp.com/album/koma-saxo | |
| [4] https://www.blackheino.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| ## TAGS | |
| taz Plan | |
| Kolumne Berlinmusik | |
| taz Plan | |
| taz Plan | |
| taz Plan | |
| Deutsche Einheit | |
| taz Plan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neue Musik aus Berlin: Noise-Exzesse mit düsterer Atmo | |
| Noiserock/Postrock: Wie Live-Konzerte im vergangenen Jahr klangen, | |
| demonstriert Palm Squirrel. neánder liefert den Soundtrack für düstere | |
| Stunden. | |
| Neue Musik aus Berlin: Langsam wehende Schleifen | |
| Dass Loops ihre ganz eigene Wirkung haben, zeigt die in Rom geborene | |
| Berliner Komponistin Marta De Pascalis auf ihrem aktuellen Album „Sonus | |
| Ruinae“. | |
| Neue Musik aus Berlin: Die Klima-Geißlerin | |
| Chris Korda hat mit „Apologize to the Future“ ein Album zum Klimawandel | |
| vorgelegt. Die Musik ist komplexer Techno, die Botschaft ist eher einfach. | |
| Punk – Rebellion gegen den Stasistaat: Vorwärts, vorwärts, nie zurück | |
| Punk wurde in der DDR nicht verstanden, aber brutal verfolgt. Die | |
| Kompilation „too much future“ zeigt, wie sich die SED ihr eigenes Grab | |
| schaufelte. | |
| Musiktipps für Berlin: Der Improvisation zugeneigt | |
| Neben Jazz- und Impro-Konzerten ist der Tag der Clubkultur mit über die | |
| Stadt verteilten Showcases der Höhepunkt der Woche. |