| # taz.de -- Kinopremiere in Belarus: Unter 18 verboten | |
| > Ein Spielfilm über einen Streik in der UdSSR ist für Minderjährige nicht | |
| > erlaubt. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 34. | |
| Bild: Einen Film über Streiks dürfen Kinder nicht sehen. Ein Erlass von oben? | |
| Meine Tochter kam aus der Schule und ich schlug vor: „Lass uns ins Kino | |
| gehen.“ In einer halben Stunde würde im Kino im Einkaufszentrum der Film | |
| „Dorogie Towarischtschi!“ („Liebe Genossen“, Film von Andrei | |
| Kontschalowski, Russland 2020, Anmerk. d. Redaktion ) beginnen. | |
| Wir sprangen ins Taxi, um auf keinen Fall zu spät zu kommen. Ich lief noch | |
| schnell in die Apotheke, und meine Tochter ging schon mal zur Kasse, um | |
| Zeit zu sparen. | |
| Noch bevor der Film überhaupt angefangen hatte, überraschte uns, zwei | |
| Mädchen mit medizinischen Gesichtsmasken, die Jacken hatten wir noch nicht | |
| mal ausgezogen, eine Mitarbeiterin des Kinos. „Wenn das Kind noch nicht 18 | |
| ist, darf sie das nicht sehen, nicht mal in Begleitung ihrer Mutter, man | |
| ist hier bei uns sehr streng. Sie können die Karten zurückgeben.“ | |
| Ich war schockiert. Und nicht in der Verfassung, mit dieser Situation | |
| klarzukommen. Wir hatten schon verstanden, dass das auch [1][wieder eine | |
| Repressionsmaßnahme] war. Wahrscheinlich gab es einen Erlass von oben: In | |
| einen Film über Streiks darf man Kinder nicht lassen. Denn du weißt ja nie, | |
| ob sie dann nicht morgen losgehen und das Drehbuch nachspielen! | |
| Der Film spielt im Jahr 1962. In der sowjetischen Stadt Nowotscherkassk | |
| kommt es zum Streik in der größten Fabrik der Stadt. Die Menschen fordern | |
| eine Senkung der Lebensmittelpreise und eine Lohnerhöhung. Später kommt die | |
| Armee in die Stadt. Und die Heldin Ludmilla, aktiv beim Aufbau des | |
| Kommunismus, ärgert sich über das Verhalten der Aufständischen. Bis ihre | |
| heranwachsende Tochter während der Demonstrationen plötzlich als vermisst | |
| gilt. | |
| Die Geschichte im Kino ähnelt dem, was aktuell in Belarus passiert. Solange | |
| deine Familie nicht von Unterdrückung betroffen ist, bist du für | |
| Lukaschenko. Aber [2][sobald dein Kind im Gefängnis ist], ändert sich deine | |
| Meinung mit einem Schlag. | |
| In Nowaja Borowa, einem schicken Neubaugebiet von Minsk, wo die Bewohner | |
| ihre politische Überzeugung gegen die illegitimen Machthaber geäußert und | |
| [3][weiß-rot-weiße Flaggen an die Fenster und Balkone ihrer Wohnungen | |
| gehängt haben,] gibt es jetzt schon den dritten Tag weder kaltes noch | |
| warmes Wasser und keine Heizung. Und draußen liegt Schnee. | |
| „Wir denken, das ist die Rache für unsere politische Haltung“, werden in | |
| den Schlagzeilen der großen Zeitungen die Bewohner des Viertels zitiert. | |
| Aber die Belarussen haben schnell reagiert und einen Telegram-Kanal | |
| eingerichtet, wo schon 16.000 Teilnehmer Übernachtungsmöglichkeiten, | |
| Wasser, Mittag- und Abendessen zur Verfügung stellen, anbieten Wäsche zu | |
| waschen, Heizlüfter vorbeizubringen und vieles andere. | |
| Die wichtigsten Veränderungen haben in Belarus bereits stattgefunden. Die | |
| Repressionen im Land machen uns nur stärker. Und das geflügelte Wort „In | |
| dunklen Zeiten sieht man helle Menschen“ ist aktueller als je zuvor. | |
| Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey] | |
| 19 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Olga Deksnis | |
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