Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Die stille Behörde
> Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeitet seit Jahren ohne
> Leitung – kaum wahrnehmbar und trotzdem an der Belastungsgrenze.
Bild: Kampf gegen Diskriminierung auf der Straße: Demo gegen Rassismus in Gede…
Berlin taz | Als Bernhard Franke Anfang Juni vor die Presse tritt, sind die
großen Black-Lives-Matter-Proteste in vielen deutschen Städten gerade drei
Tage her. Für eine kurze Zeit wird in Deutschland ein breite
Rassismusdebatte geführt. Frankes Behörde, die Antidiskriminierungsstelle
des Bundes (ADS), ist oberste Beratungsstelle für Betroffene von Rassismus
und Diskriminierung. Er stellt den [1][Jahresbericht für 2019] vor.
„Deutschland hat ein anhaltendes Problem mit rassistischer Diskriminierung
und unterstützt Betroffene nicht konsequent genug“, fasst Franke zusammen.
Fest steht: Es wenden sich jedes Jahr mehr Betroffene an die
Antidiskriminierungsstelle.
Trotzdem ist es wohl nur ein kleiner Anteil der tatsächlichen Menge an
Menschen, die tagtäglich Diskriminierung erleben. Etwa 4.250 Anfragen
erhielt die ADS im vergangenen Jahr – knapp 16 pro Tag. Die
Antidiskriminierungsstelle hat Probleme, in der Bevölkerung wahrgenommen zu
werden.
Ein Grund: Seit 2018 ist die Leitung der Stelle unbesetzt. Franke ist nur
kommissarischer Leiter. Das liegt maßgeblich an Fehlern der SPD und des
Bundesfamilienministeriums, an das die Stelle angegliedert ist. Die ADS ist
zwar fachlich unabhängig, die Auswahl ihrer Leitung liegt aber im
Zuständigkeitsgebiet von [2][Franziska Giffey], der sozialdemokratischen
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Im April 2018 schlug sie dem Kabinett ihre Parteifreundin Nancy Böhning für
das Amt vor. Böhning war davor als Geschäftsführerin der Partei abgesetzt
worden. Ihr geplanter Wechsel an die Spitze der Antidiskriminierungsstelle
macht den Eindruck einer innerparteilichen Entschädigung.
## Ein „Armutszeugnis“
Kurz nachdem die Auswahl bekannt wird, klagen zwei Mitbewerberinnen. Das
Berliner Verwaltungsgericht untersagt daraufhin im Februar 2019 in erster
Instanz die Ernennung Böhnings. In seiner Begründung rügt das Gericht das
Besetzungsverfahren deutlich. Es sei mit dem im Grundgesetz
festgeschriebenen „Prinzip der Bestenauslese“ nicht vereinbar. Die Auswahl
sei außerdem nicht „ergebnisoffen geführt“ worden. Einen Monat später
trifft das Oberlandesgericht in Münster die gleiche Entscheidung.
Mehr als ein Jahr lässt sich das Familienministerium daraufhin Zeit, bis es
im Juni 2020 bekanntgibt, nicht mehr an Böhning festzuhalten. Die ist
unterdessen schon längst als Referentin bei der IG Metall tätig. Für eine
neue Auswahl fehle jedoch momentan die „Rechtssicherheit“, erklärt eine
Sprecherin. Das Ministerium stehe vor zwei verschiedenen
Gerichtsentscheidungen. Deswegen will man nun ein neues Besetzungsverfahren
entwickeln. Dazu wurde ein „regierungsinterner Austausch“ angestoßen. Ob in
dieser Legislaturperiode aber noch eine Leitung gefunden wird, ist unklar.
Bei der Opposition herrscht darüber Unverständnis: „Man nimmt der ADS die
Möglichkeit, die Stimme zu erheben“, sagt Ulle Schauws, queer- und
frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Die
Entscheidung, nicht mehr an Böhning festzuhalten, hätte das Ministerium
schon viel eher treffen können, ist Schauws überzeugt. Die zuständige
Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut sieht das ähnlich: Es sei ein
„Armutszeugnis“, dass der Chefposten nach wie vor vakant ist.
Franke selbst beschreibt die Lage weniger dramatisch: „Dass ich nur
kommissarischer Leiter bin, schränkt die Arbeit der Stelle inhaltlich nicht
ein“, sagt er. Allerdings sei er als Person nicht öffentlich bekannt und
habe deshalb eine „geringere Wirkmächtigkeit“.
## Zahnlose Gesetzesgrundlage
Genau darin sieht auch seine Vorgängerin das Problem. Christine Lüders
leitete die ADS von 2010 bis 2018 und schaffte es, die Behörde immer wieder
mit Vorschlägen in die Schlagzeilen zu bringen. Zwar würden Franke und
seine Mitarbeiter*innen hervorragende Arbeit leisten, so Lüders. Es fehle
aber jemand, der mit starkem Mandat kämpft. „Die Antidiskriminierungsstelle
ist durch das Offenhalten dieser Position eine lame duck geworden“, sagt
sie.
Doch die Behörde ist nicht erst durch die fehlende Leitung gelähmt. Auch
ihre juristische Basis, das deutsche Antidiskriminierungsrecht, ist
vergleichsweise schwach. 2006 ist die Stelle im Rahmen des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes eingeführt worden – als Beratungsangebot für
Betroffene und zur Koordinierung von Öffentlichkeitsarbeit und Forschung.
Das passierte erst auf Drängen der EU, eine entsprechende Richtlinie in
Deutschland umzusetzen. CDU und FDP wehrten sich lange vehement.
Im europäischen Vergleich ist das deutsche Recht noch immer zahnlos, die
Antidiskriminierungsbehörde klein und mit wenigen Kompetenzen ausgestattet.
Selbst wenn Betroffene also von der ADS wissen und sich an sie wenden, kann
die Behörde ihnen in vielen Fällen gar nicht helfen.
„Wir waren wahnsinnig spät dran und wir sind ziemlich schwach, was dieses
Gesetz angeht.“ So fasst es die Journalistin Ferda Ataman zusammen, die
selbst zwei Jahre lang als Referatsleiterin in der
Antidiskriminierungsstelle gearbeitet hat und jetzt im Beirat der Behörde
sitzt. Ihr größter Kritikpunkt: ein fehlendes Verbandsklagerecht.
Damit könnte die ADS bei einer Häufung ähnlicher Vorfälle die Betroffenen
kollektiv rechtlich vertreten. Auch die Behörde selbst fordert diese
Möglichkeit seit über vier Jahren öffentlich. Im Bundestag gibt es dafür
allerdings keine Mehrheit. Union und FDP lehnen den Vorschlag ab.
Das sichtbarste Problem bleibt aber die fehlende Ausstattung der Behörde.
Momentan verfügt die ADS über 27 Planstellen. Diese Beamt*innen sind
zuständig für Forschung, Beratung und Kampagnen zu fünf verschiedenen
Diskriminierungsformen – und das für die gesamte Bundesrepublik. Das
britische Äquivalent zählt dagegen beispielsweise über 201
Mitarbeiter*innen.
Auch die Zahl der Beratungsanfragen an die ADS ist niedrig. Sie steigt aber
stetig an – während der Coronapandemie noch einmal bedeutend schneller:
„Wir hatten dieses Jahr bereits Mitte August mehr Beratungsanfragen als im
gesamten Vorjahr“, berichtet Franke. Ohne mehr Mittel und Stellen sei das
für die kleine Behörde bald nicht mehr zu schaffen. „Wir sind am Limit“,
sagt Franke.
Mehr Geld und Personal – das unterstützen auf Anfrage zwar alle
demokratischen Parteien im Bundestag. Passiert ist bisher aber wenig. „Ich
rege mich eigentlich am meisten darüber auf, dass es so wenige aufregt“,
sagt die Grüne Schauws, die sich im Parlament schon lange mit der ADS
auseinandersetzt. „Wenn der Beauftragte für sexuellen Missbrauch der
Bundesregierung nicht besetzt wäre, was glauben Sie, was dann los wäre“,
fragt sie.
Die Antidiskriminierungsstelle hat einen schweren Stand. So berichtet Ferda
Ataman, dass selbst andere Bundesbehörden die ADS oft übergehen oder
vergessen würden. Franke drückt es etwas galanter aus: „Wir haben Erfahrung
darin, uns immer wieder in Erinnerung rufen und eine Beteiligung einfordern
zu müssen.“
## Letzte Hoffnung: Unabhängigkeit
Eine Lösung sehen manche darin, die ADS zu einer unabhängigen Behörde zu
machen. Ein dementsprechender Antrag wurde nach taz-Informationen in der
letzten Sitzung des Beirates der Stelle Ende August diskutiert. In dem
internen Papier wird vorgeschlagen, die ADS zur obersten Bundesbehörde zu
erheben – auf eine Stufe mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz.
Die Antidiskriminierungsstelle könnte dann eigene Personalentscheidungen
treffen und wäre unabhängig vom Familienministerium. Außerdem würde die
Leitung direkt vom Bundestag gewählt werden. Im Beirat habe der Vorschlag
große Zustimmung gefunden, heißt es.
Bis Ende Oktober will auch die Bundesregierung umfassende Maßnahmen zur
Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus beschließen. Nach dem
rechtsterroristischen Anschlag in Hanau hatte die Regierung dafür einen
Kabinettsausschuss ins Leben gerufen. Der Ausschuss würde die „erhebliche
politische Bedeutung“ unterstreichen, die man dem Kampf gegen Rassismus und
Rechtsextremismus beimesse, betont die Regierung in einer Pressemeldung.
Die Antidiskriminierungsstelle, die wichtigste staatliche Wissensquelle zum
Thema Rassismus, ist trotzdem kein ständiger Gast im Ausschuss – anders als
beispielsweise der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder.
Doch obwohl die ADS nicht dauerhaft mit am Tisch sitzt: Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass ihr in den Plänen eine wichtige Rolle zukommen wird.
In der Behörde besteht jedenfalls die Hoffnung, dass die Bundesregierung
die Möglichkeit nutzt, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die
Antidiskriminierungsstelle gleich umfassend zu reformieren.
22 Sep 2020
## LINKS
[1] /Statistik-zu-Diskriminierung/!5691926
[2] /Mit-Giffey-durchs-Schwule-Museum/!5707652
## AUTOREN
Leonard Scharfenberg
## TAGS
Antidiskriminierungsstelle
Schwerpunkt Rassismus
Rechtsextremismus
Diskriminierung
Antisemitismus
Ableismus
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Beratung
Diskriminierung
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Chefin der Bundes-Beratungsstelle: Ataman soll Diskriminierung angehen
Ihretwegen blieb Horst Seehofer einst dem Integrationsgipfel fern. Nun soll
Ferda Ataman die Leitung der Antidiskriminierungsstelle übernehmen.
Rassismus als Kündigungsgrund: Wer hetzt, fliegt aus dem Betrieb
Ein Mann beleidigt seinen Kollegen rassistisch, daraufhin wird ihm
gekündigt. Das war rechtens, urteilt das Bundesverfassungsgericht.
Neue Beratungsstelle in Bremen: Lückenhaftes System
Rot-Grün-Rot bringt eine Landesantidiskriminierungsstelle auf den Weg. Denn
das derzeitige Beratungssystem erreicht nicht alle.
Statistik zu Diskriminierung: Grundrauschen der Ausgrenzung
Der Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt:
Rassistische Vorfälle nehmen deutlich zu.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Meist rassistisch motiviert
Fast ein Drittel der gemeldeten Diskriminierungsfälle betraf 2019 die
ethnische Herkunft. Die Betroffenen bräuchten mehr Schutz, fordert die
Linke.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.