# taz.de -- Die Geschichte des Helikopters: Hilft nur noch Hubschraubereinsatz | |
> Die Geschichte des Helikopters beginnt mit einem Ahornsamen. Das Blog | |
> „Helikopter Hysterie ZWO“ widmet sich dem Fluggerät. | |
Bild: Der Beginn der „erratischen Hubschrauberfotografie“. Das Bild entstan… | |
Fangen wir an mit dem letzten Satz aus Heinrich Dubels Buch „Helikopter | |
Hysterie“. 1997 erschienen im Verlag von Erich Maas in Berlin, ist es | |
Keimzelle fürs spätere Blog: „Autorotation – die Helikopter Hysterie nimmt | |
die Form eines endlosen Gedichtes an, das sich unablässig selbst | |
fortzuschreiben scheint, und dessen Verse aus Bildern bestehen, aus Bildern | |
von Hubschraubern.“ | |
Das Blog „[1][Helikopter Hysterie ZWO]“ existiert seit dem 28. Dezember | |
2011 und weist stattliche 17.359 Einträge in 59 Kategorien auf (Stand 21. | |
Juni 2020). Sie reichen von „Propellermütze“, „Crashes“, „Patches“, | |
„Helicopter nudity“ zu „Rüttelmaschinen“ und „Karussells“ oder „… | |
of the species“. Auf diese Fotos, Videoclips, Grafiken, Kunstwerke, | |
Abstürze, Kuriosa, Sichtungen, Filmstills und Texteinträge, die allesamt | |
Drehflügler im Einsatz zeigen, gibt es pro Tag durchschnittlich tausend | |
Zugriffe. | |
Das Blog versteht sich als Verlautbarungsorgan einer unabhängigen | |
Körperschaft innerhalb des Erratik Instituts Berlin, des | |
kulturwissenschaftlichen Langzeitforschungsprojekts von Heinrich Dubel, und | |
besitzt eine Redaktion von vier Personen, wobei derzeit etwa achtzig | |
weltweit aktiv an der Content-Gewinnung arbeiten – Männer in leichter | |
Überzahl. Auch drei Kinder sind mit an Bord, die regelmäßig Zeichnungen, | |
Basteleien, Kekse in Hubschrauberform oder Fotografien beisteuern. Im März | |
wurde dem Blog der „Goldene Blogger“ Deutschlands in der Kategorie | |
Wissenschaft Technik Forschung (WTF) verliehen. | |
Unerreichbares, gleichwohl gesetztes Ziel ist die totale, jedoch offene und | |
unabschließbare Kulturgeschichtsschreibung des Hubschraubers als | |
internationales Kompendium. Eine derartige Maßnahme bewegt sich zwar hart | |
an der Grenze dessen, was die Rede vom Archiv überhaupt noch zulässt, dies | |
jedoch konsequent und nachdrücklich. | |
## Helikopter für Lachse | |
Teppiche aus Afghanistan mit eingewebten Helikoptern, Angela Merkel vor dem | |
Eurocopter AS532 Cougar, Kaffeetassen, Helikopter in Entenhausen, Elvis als | |
Hubschrauberpilot in „Südsee-Paradies“ (1966), Zeitungsberichte zum | |
Helikoptershuttle für Lachse in British Columbia, die von ihren | |
Laichgründen abgeschnitten wurden, Kampf- und Zivilpilotinnen aus aller | |
Welt mit ihren Maschinen, internationale Modelle und deren technische | |
Dokumentation, paranormale Hubschraubererfahrungen, verblüffende | |
Gegenüberstellungen etwa des buddhistischen Dharmachakras mit dem | |
ummantelten Heckrotor des neuesten Airbus-Helikopters, Helipads vom | |
Dubai-Tower bis zur Friedrichshainer Notaufnahme – und wer sich fragt, was | |
denn nun das bekannteste deutsche Hubschrauberlied sei | |
(„Hubschraubereinsatz“ der Avantgarde-Pop-Band Foyer des Arts aus dem Jahr | |
1982), bekommt ein selbst gemachtes Musikvideo präsentiert, weil die Band | |
ein solches damals nicht veröffentlichte. | |
Das Blog sammelt demnach Assoziationen des Disparaten, denen es weniger um | |
Bedeutungen als um Ähnlichkeiten geht. Die Ambivalenz zwischen Methode und | |
Manie wird auf diesem Blog nie in Eindeutigkeit überführt. Alle Bereiche | |
von Kunst, Kultur, Pop und sozialem Leben sollen auf ihre | |
Hubschraubergehalte hin geprüft und abgebildet werden, allerdings im | |
Gegenzug auch alle Bereiche der Hubschraubertechnologie und deren | |
Anwendungen auf ihre künstlerisch-kulturellen Sedimente hin ausgelotet. | |
Womit wir beim zentralen Bauteil des Helikopters angelangt wären, seinem | |
Rotor. Dieses Palindrom liefert den entscheidenden Hinweis auf die | |
Narrationstechnik des Blogs, die dem Lauf der Rotorblätter gleicht und auf | |
diese Weise mit seinen inhärenten Verweisen und Textschleifen eine | |
Spiralform generiert, die nicht allein beim Hubschrauber für Vor- und | |
Auftrieb sorgt. | |
Doch wo hat es nun wirklich angefangen mit dem Helikopter? Sieht man ab von | |
Mythologie, ekstatischen Visionen von Aufstieg und Fall sowie dem sehr | |
alten chinesischen Kinderspielzeug, dann lautete die Antwort: Im späten 15. | |
Jahrhundert, als Leonardo da Vinci einen herabschwebenden Ahornsamen | |
bemerkt und dessen Rotationsbewegung mit der Archimedischen Schraube zur | |
Wasserhebung bei seiner Konstruktionszeichnung einer Wendelschraube | |
zusammendenkt. | |
## „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ | |
Bis zum tatsächlichen Abhub dauerte es allerdings noch ein Weilchen, wobei | |
wir ja gerne außer Acht lassen, dass es mit der menschlichen Flugbefähigung | |
nicht allzu lange her ist. | |
Otto Lilienthal veröffentlicht im Jahr 1889 „Der Vogelflug als Grundlage | |
der Fliegekunst“, worin er den Störchen ganz besondere Aufmerksamkeit | |
widmet. Sein Freund Ludwig Boltzmann – der erkannte, dass Entropie nichts | |
anderes sei als die Anzahl mikroskopischer Zustände, die unsere unscharfe | |
Sicht von Welt nicht auseinanderhalten kann – propagiert hingegen beim 66. | |
Jahrestreffen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte im Jahr | |
1894 in Wien nicht den Flügelschlag, sondern den motorbetriebenen | |
Propeller. Von diesem erwartet er die Ermöglichung, Mensch und Flugobjekt | |
gemeinsam in ungeahnte Höhen zu heben und eine neue Verkehrsform zu | |
schaffen. | |
Deshalb lässt Boltzmann flugs einen Prototyp eines derartigen Fluggeräts, | |
das von Wilhelm Kress, Klavierbauer und -stimmer, schon seit 1877 | |
entwickelt worden war, durch den Hörsaal fliegen, wo dieses schließlich | |
unter Applaus und heller Freude in den Armen einer Dame landet. | |
Kress ist von der Aeronautik fasziniert und baut, unterstützt von einem | |
durch Boltzmann angeregten Finanzierungsfonds, die Kaptivschraube, ein | |
dreibeiniges Gestell mit Fahnenpropeller, an dem ein Motor angebracht ist. | |
Bahnbrechend jedoch war seine Idee, dass man zusätzlich einen einzigen | |
Hebel konstruieren müsse, der die Flugmaschine sicher in alle Richtungen | |
dirigieren könne. Boltzmann war der Ansicht, man müsse, um das Problem der | |
Manövrierfähigkeit eines Luftschiffs zu lösen, nicht bloß ein Genie sein, | |
sondern zugleich ein Held, um ein solches hernach auch zu fliegen. Kress’ | |
eigene Versuche in dieser Sache scheitern allesamt, doch er bleibt bis zu | |
seinem Tod vom propellergetriebenen Luftautomobil überzeugt, das für ihn | |
das Vehikel der Zukunft darstellt. | |
Boltzmann begeht 1906 in Duino, wo später Rilke über die „Ordnung der | |
Engel“ dichten wird, Suizid. Im selben Jahr schreibt sich Ludwig | |
Wittgenstein, der bei Boltzmann studieren wollte, an der Technischen | |
Hochschule Charlottenburg ein. Seine als Ingenieurwissenschaftler | |
eingereichten „Verbesserungsvorschläge für Flugzeugpropeller“ werden 1911 | |
in Manchester patentiert. | |
## Helikopter hat Verkehr revolutioniert | |
Aber erst am 11. November 1922 hebt dann der stabilisierte, manntragende | |
und senkrecht startende Quadropter von Étienne Œhmichen ab und realisiert | |
das Bild, das Leonardo mehr als vierhundert Jahre zuvor skizziert hat. 19 | |
Jahre nachdem das erste propellergetriebene, horizontal startende Flugzeug | |
der Brüder Wright die Startbahn verließ. | |
Verkehr bedeutet auch, dass etwas am verkehrten Ort sich befindet und an | |
den richtigen gelangen soll. Was aber, wenn man gar nicht weiß, wo der | |
richtige oder verkehrte Ort ist, beinah jeder Ort ein optionaler Lande- | |
oder Startplatz? Der Helikopter hat den Verkehr revolutioniert, weil er | |
senkrecht abzuheben und aufzusetzen, potenziell alle Objekte in jedes | |
beliebige Gelände zu transportieren und von dort aufzunehmen vermag, in der | |
Luft „stehen“ kann (wozu im Tierreich allenfalls Libellen und Kolibris in | |
der Lage sind) und eine erstaunliche Wendigkeit besitzt. Weshalb auch die | |
Bilder seines Verkehrsverhaltens auf bemerkenswerte Weise in unsere | |
Kulturen eingeflogen sind. | |
Um dies zu veranschaulichen, setzt das Blog „Helikopter Hysterie ZWO“ seit | |
geraumer Zeit verstärkt auf die Präsentation von Ergebnissen der | |
erratischen Helikopterfotografie (EHF). Sie entfaltet eine | |
halluzinatorische Psychotopologie unbekannten Ausmaßes, wobei die | |
Betrachter*innen häufig vom Sog dieses Loops erfasst werden. Denn im Grunde | |
geht es ja gar nicht um Objekte und die Bilder, die wir uns von ihnen | |
machen, sondern um Elementarereignisse, deren jeweilige flüchtige | |
Verschränkungen verzeichnet werden. Es erstaunt also nicht, dass die | |
Leser*innen des Blogs häufig selbst damit beginnen, Helikopter zu | |
fotografieren oder anfangen, beständig über diese im Alltag stolpern. | |
Ursprünglich beschreibt die eingangs bereits erwähnte Autorotation eine | |
Technik, mit der ein*e geschickte*r Hubschrauberpilot*in auch nach | |
Ausfall des Motors landen kann – indem zum Sturzflug angesetzt wird, der | |
den Rotor durch die anströmende Luft sich weiter drehen lässt. Auch | |
außerhalb des luftfahrttechnischen Zusammenhangs ist ein derartiges | |
self-propelling ein faszinierendes Manöver, von dem die | |
Hobbyhelikopterdrohnen-pilot*in – mit beiden Füßen fest auf dem Boden – | |
bloß zu träumen wagt. „Helikopter Hysterie ZWO“ ist Poesie und Atlas eines | |
solchen Manövers. | |
22 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://helikopterhysteriezwo.blogspot.com/ | |
## AUTOREN | |
Andreas L. Hofbauer | |
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