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# taz.de -- Digitalise Inkompetenz im Alltag: Dinos wie Horst und ich
> Zwischen Digitalem Lernen, nicht funktionierenden Katastrophen-Warn-Apps
> und digitalen Dienstplänen: Neues aus dem Land der Technik-Dinos.
Bild: Die Warn-App war eine halbe Stunde zu spät, als vielerorts die Sirenen s…
Alarmstufe Rot!, rief am Mittwoch eine gebeutelte Branche vor dem
Brandenburger Tor, dieser neuen Klagemauer im Herzen des
Landesprotestaufmarschgebiets, zu dem Berlin jetzt endgültig geworden ist.
Früher waren wir nebenbei ja auch noch Kulisse für sportliche und
kulturelle Großevents, vom Marathon bis zum Straßentheater-Festival.
## Plastikstühle
Doch jetzt, im einsetzenden Coronaherbst, ist das Vergnügen aus der
Öffentlichkeit verschwunden und zwischen 17. Juni und Reichstag
manifestieren sich nur noch Trauer, Wut und Protest. Am Montag standen da
(im Rückblick betrachtet wie ein makabres Fanal) 13.000 Plastikstühle,
einer für jeden Menschen im überfüllten griechischen [1][Flüchtlingscamp
Moria], das es seit Mitte der Woche nicht mehr gibt.
## Belüftungstechnik
Am Mittwoch also machten die [2][VeranstaltungstechnikerInnen] auf ihre
desolate Lage aufmerksam: Konzert- und Theaterbühnen, Soundanlagen,
LichtkünstlerInnen und DJs – sie werden gerade nur noch selten gebraucht.
Mit den paar Lautsprecherwagen für Demos lässt sich auch kein Geld
verdienen. Wer es sich leisten kann, hat inzwischen technisch nachgerüstet.
Wie etwa das Kleinkunstzelt, das auf Großplakaten wirbt: „Optimaler Schutz
vor Viren dank neuartiger Belüftungstechnik!“
Wie lange ich schon nicht mehr im Theater gewesen bin. Oder im Kino. Noch
nicht mal im Museum, obwohl die gerade so leer sind wie nie, was ich
unbedingt nutzen will. Eigentlich. Aber mit Maske macht das alles keinen
Spaß. Und so verbringe ich meine Freizeit zunehmend in der Natur – oder zu
Hause mit einem Buch. Dabei habe ich es versucht: erst mit einem digitalen
Zugang zur Philharmonie, dann, niedrigschwelliger, mit Links zu
irgendwelchen Konzerten. Aber nachdem ich den halben Tag vor Bildschirmen
verbracht habe, löst der Gedanke an einen gestreamten abendlichen Beethoven
Widerwillen in mir aus. Also habe ich mich zum kulturtechnischen
Dinosaurier zurückentwickelt – ich höre sogar wieder CDs!
## Sirenen
Da befinde ich mich übrigens ganz auf der Höhe der deutschen
Gesamtgesellschaft: Was die miese Bilanz des Ersatzunterrichts während der
Corona-Schulschließung ahnen ließ, bestätigte nun der landesweite
[3][Warntag am Donnerstag]: Es läuft generell nicht so rund mit der
digitalen Technik im Lande: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe (BBK) verschickte die Warnung eine halbe Stunde zu spät,
als vielerorts die Sirenen längst losgegangen waren. In Berlin blieb man
sogar akustisch ganz unbehelligt: Hier wurden die Sirenen in den 1990er
Jahren abgebaut. Wer da nicht die NINA-Warn-App installiert hatte (die auch
nicht bei allen funktionierte), hätte vom Chemieunfall um die Ecke
höchstens aus dem Radio erfahren können – oder aus der Tageszeitung. Für
Kulturtechnik-Dinos wie mich natürlich eine Genugtuung.
Herzerwärmend auch der komplett analoge Elternabend der Grundschule am
Donnerstag: Hatten mich diese oft recht zäh verlaufenden
After-work-Veranstaltungen früher genervt, regte sich diesmal eine gewisse
innere Freude: Da waren sie alle wieder, live und in Farbe, Mütter und
Väter, die man lange nicht gesehen hatte, und die Lehrerin, die sich
zuletzt nur per E-Mails und Infozetteln manifestiert hatte. Zwar entbehrte
der vorgestellte „Notfallplan“ für eine erneute Schulschließung im
Winterhalbjahr nicht einer verzweifelten Komik, denn mehr als
Lehrerin-deponiert-kopierte
Arbeitsblätter-in-vor-der-Schule-aufgestellten-Schrankfächern und zweimal
wöchentlich eine Stunde Videofachunterricht scheint nicht drin zu sein, was
im Jahr 2020 schon, sagen wir mal neutral, bemerkenswert ist.
Immerhin gibt es bald eine ganztägige Schulung im Digitalen Unterrichten
für alle LehrerInnen – natürlich fällt an diesem Tag der Unterricht für d…
Kinder komplett aus, denn während des Lockdowns hatte man ja keine Zeit für
Fortbildungen, da mussten ja fortwährend Aufgaben in Spinden deponiert und
wieder abgeholt werden – weil ein E-Mail-Versand von mit dem Smartphone
abfotografierter Blätter ja nun wirklich nicht erwartet werden kann.
(Plötzlich fühlte ich mich regelrecht cutting edge, als ich im gemeinsamen
Smartphone-Familienkalender den schulfreien Tag eintrug).
## Handschrift
Aber dafür gab es sorgfältige Diskussionen über das Für und Wider von
Schulnoten. Und leidenschaftliche Plädoyers für das Erlernen der
Kulturtechnik der Handschrift – wo ich mich natürlich vollen Herzens
anschloss. Als es dann an die Wahl der Elternvertretung ging, hatte ich es
dann aber eilig. Ich musste ja noch den digitalen Dienstplan fürs Ressort
fertig basteln: Die KollegInnen hatten mich dazu genötigt, weil digital
halt manchmal doch besser ist als ein abfotografierter Wandkalender.
Da geht es mir quasi wie dem obersten Katastrophenschutz-Dienstherrn Horst
Seehofer. Mal schauen, was zuerst funktioniert: NINA oder Ninas erster
digitaler Dienstplan.
13 Sep 2020
## LINKS
[1] /Bundesinnenminister-Seehofer-zu-Moria/!5713668&s=Moria/
[2] /Berliner-Musikszene-in-der-Corona-Krise/!5703104&s=Bel%C3%BCftung/
[3] /Der-Warntag-in-Berlin/!5707814&s=Warntag/
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Digitales Lernen
Katastrophenschutz
Schwerpunkt Coronavirus
Apokalypse der Woche
Moria
Andreas Geisel
Schule
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