# taz.de -- 100. Todestag Rudolf Mosse: Ein Mäzen wird lebendig | |
> Rudolf Mosse, Berliner Zeitungsverleger und Mäzen, wurde von den Nazis | |
> aus der Erinnerung der Stadt getilgt. Eine Initiative will das ändern. | |
Bild: Die „Annoncen-Expedition“ von Rudolf Mosse, eine Aufnahme von 1918 | |
BERLIN taz | Er ist eine Gestalt aus der deutschen Geschichte, die nur | |
langsam sichtbarer wird. Eine Gestalt, die zu Lebzeiten großen Einfluss | |
hatte auf Literatur, Kunst und Kultur in Berlin und bis heute zahlreiche | |
Spuren hinterlassen hat. Und die viele doch nicht kennen. Holger Siemann | |
bezeichnet ihn als einen der meistunterschätzten Gründungsväter der | |
Demokratie in Deutschland. Die Rede ist von Rudolf Mosse. Und Siemann weiß | |
jede Menge über ihn. | |
Wer sind die beiden und was haben sie miteinander zu tun? Genauer | |
kennengelernt hat der Schriftsteller Holger Siemann Rudolf Mosse, als er | |
vor drei Jahren auf einem Stadtplan von 1925 die Rudolf-Mosse-Straße | |
entdeckte. | |
Doch wie Siemann feststellte, war jene Straße, die quer durch den | |
Jahn-Sportpark im Prenzlauer Berg verlief, nicht mehr als solche existent – | |
zum einen, da der größte Teil davon inzwischen nur noch ein Weg ist, der | |
keinen Namen trägt. Zum anderen, weil der Name Mosse ab 1933 ganz | |
absichtlich aus dem Berliner Stadtbild getilgt wurde. Warum das geschah und | |
Mosse lange Zeit kaum in der Berliner Erinnerung sichtbar war, wird klar, | |
wenn man weiß, dass er nicht nur Kaufmann, Verleger und Kunstsammler war, | |
sondern auch Jude. Die Nazis vertrieben ihn und seine Familie aus | |
Deutschland und ließen ihren Namen weitestgehend verschwinden. Das regte | |
Siemann dazu an, gemeinsam mit Freund*innen mehr über Rudolf Mosse | |
herauszufinden und auf ihn aufmerksam zu machen. | |
Als sechstes von vierzehn Kindern wurde Mosse 1843 in Posen geboren. | |
Beeinflusst wurde er von seinem Vater, der Anhänger des liberalen Judentums | |
war. Schon in jungen Jahren machte Mosse in Berlin Karriere mit einer | |
Anzeigenagentur. Später gründete er den Mosse-Verlag und gab unter anderem | |
das Berliner Tageblatt heraus. Bald hatte er ein Zeitungsimperium | |
aufgebaut, 1913 war Mosse schließlich der größte Steuerzahler der Stadt. | |
Bekannt ist er als Berliner Mäzen, der gemeinsam mit seiner Frau Emilie | |
unter anderem den Bau von Lehrlingswohnheimen und Erziehungsanstalten in | |
der Stadt finanzierte, etwa das Mosse-Stift in Wilmersdorf, das früher ein | |
interkonfessionelles Waisenhaus war und heute ein Jugendzentrum beherbergt. | |
## Für die Gleichheit der Religionen | |
Mosse befürwortete eine Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften und | |
setzte sich für die Beseitigung der Ursachen sozialer Missstände ein. Mit | |
ihrem Geld förderten Rudolf und Emilie außerdem Schriftsteller*innen und | |
bildende Künstler*innen. Seine Kunstsammlung machte Mosse für die | |
Öffentlichkeit zugänglich. | |
Mit Blick darauf, wie stark der Mäzen die Stadt geprägt hat, gründeten | |
Siemann und Freund*innen vor zwei Jahren die Initiative „Mosse erinnern!“ | |
Die Änderung des Namens der ehemaligen Rudolf-Mosse-Straße ist ihr bisher | |
größter Erfolg. Es steht fest: Der kleine Teil der Straße, der aus dem | |
Sportpark hinausführt und bislang Eberswalder Straße heißt, soll wieder an | |
die Mosses erinnern. Im Kulturausschuss Pankow hätten alle Fraktionen ihre | |
Zustimmung zu einer Umbenennung signalisiert, so Siemann. Verschiedene | |
Vorschläge – darunter schlicht „Mosse-Straße“ sowie | |
„Emilie-und-Rudolf-Mosse-Straße“ – werden derzeit noch diskutiert. | |
Die Umbenennung der Straße war dabei zunächst gar nicht das Ziel der | |
Initiative: Auch [1][der Jahn-Sportpark], durch den die nach Mosse benannte | |
Straße führte, wurde mutmaßlich erst durch seine finanzielle Unterstützung | |
zum Sportpark. Eigentlich habe die Initiative deshalb ein Fußballturnier | |
organisieren wollen, erklärt Siemann: eine lebendige Form der Erinnerung, | |
die Mosses Wirken für Soziales und Sport gerecht wird. | |
Entlang der alten und bald neuen Mosse-Straße kann man derzeit in einer von | |
der Initiative organisierten Open-Air-Ausstellung mehr über Rudolf Mosse | |
und seine Familie erfahren. Anlass und Beginn waren sein 100. Todestag, der | |
8. September. Noch bis zum 23. ist die Ausstellung im Jahn-Sportpark | |
aufgebaut. | |
## Emigration in die Schweiz | |
Mit viel erpresserischem Druck wurde die Familie nach Rudolf Mosses Tod | |
enteignet: Unter der Drohung, der Tochter Felicia und ihrem Mann Hans | |
Lachmann-Mosse die Auslandspässe zu entziehen, stimmte sie 1933 zwangsweise | |
der Übertragung des Konzerns und ihrer Immobilien zu. Die Mosses | |
emigrierten in die Schweiz. Im Jahr darauf versteigerten die Nazis die | |
Kunstwerke der Sammlung und den in Berlin verbliebenen Besitz. | |
Dass das Ende des Mosse-Konzerns keineswegs der Wirtschaftskrise | |
zuzuschreiben war, ist seit Kurzem dank der in Berlin an der Freien | |
Universität ansässigen Mosse Art Research Initiative (MARI) bekannt. Welche | |
Werke beinhaltete [2][die Kunstsammlung Mosses]? Wo befinden sich die Werke | |
jetzt? Diese Fragen will das Projekt beantworten. Durch die Recherchen | |
konnten bisher 27 der verschollenen Werke identifiziert und lokalisiert | |
werden, neun wurden bereits restituiert. | |
Zum ersten Mal, erzählt MARI-Leiterin Meike Hoffmann, würden Nachfahr*innen | |
von Opfern mit deutschen Institutionen nicht nur kooperieren, sondern die | |
Forschung auch finanziell unterstützen. So haben die in den USA lebenden | |
Nachkommen der Mosses die öffentlich zugängliche Onlinedatenbank von MARI | |
ermöglicht. | |
Aber nicht nur das macht das Projekt besonders. Es betreibt keine reine | |
[3][Provenienzforschung]. Auch die Kontextforschung ist fester Bestandteil. | |
Andere Provenienzforscher könnten nicht leisten, was die Initiative | |
zusätzlich an Recherche betreibe, erklärt Hoffmann. So hätten sie etwa auch | |
die Emigrationswege der Familie erforscht. | |
An den Mosses fasziniert Hoffmann am meisten, dass ihr Anliegen nicht nur | |
das Kunstsammeln gewesen sei. Es sei ihrem Verständnis von Mäzenatentum | |
untergeordnet gewesen, die Gesellschaft kulturell zu bilden und ihr – auch | |
damit – zu helfen: wie mit der öffentlich zugänglichen Kunstsammlung. | |
Siemann findet hingegen auch: „Der Rudolf Mosse hat ja ein ideologisch | |
nicht allzu konfrontatives Leben geführt.“ Doch er schätzt die Entwicklung | |
von Mosses politischer Haltung. Zu Anfang nationalistisch eingestellt, | |
entwickelte Mosse sich unter dem Einfluss seiner Frau Emilie und im Zuge | |
der Novemberrevolution zunehmend zu einem Liberalen, der dem Kaiser | |
kritisch gegenüberstand, erzählt Siemann. Die Deutsche Demokratische | |
Partei, die Mosse mitgründete, stand für eine parlamentarische Demokratie | |
und war an Entwürfen der Weimarer Verfassung beteiligt. „Die wirken bis | |
heute in unserem Grundgesetz nach“, so Siemann. | |
Hoffmann wird weiter forschen. Zwar ist die Projektlaufzeit von drei Jahren | |
nun zu Ende, in denen das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste MARI zum | |
größten Teil finanzierte. Die Erb*innen aber haben entschieden, die Kosten | |
für die Forschung zunächst vollständig zu übernehmen. | |
Für die Zukunft hofft Siemann darauf, dass sich herausstellt, ob Mosse | |
tatsächlich den Bau des Sportparks im Prenzlauer Berg gestiftet hat. Im | |
nächsten Jahr will er mit der Initiative „Mosse erinnern!“ dann das | |
geplante Fußballturnier stattfinden lassen. | |
16 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-um-Berliner-Jahnsportpark/!5691510&s=jahn+sportpark/ | |
[2] /NS-Unrecht-und-Kunstrestitution/!5386912&s=rudolf+mosse/ | |
[3] /Nachdenken-uebers-Humboldt-Forum/!5709744&s=provenienz/ | |
## AUTOREN | |
Greta Rothenpieler | |
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