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# taz.de -- Die Wahrheit: Zugige Zugspitze
> Auf den höchsten Gipfel Deutschlands zu kommen, ist gar nicht so einfach.
> Da ist Training gefragt. Es sei denn, man nimmt die Gondel.
Bild: Ist es noch Corona oder schon Mathematik?
Die Meine und ich kamen einst aus dem Süden zurück. Fernpass, Reutte. Wir
hielten am Parkplatz „Zugspitzblick“. Sie hauchte: „Einmal auf die
Zugspitze steigen! Das ist einer meiner Lebensträume!“ Zack! Das saß. Man
will als Mann ja nicht mehr und nicht weniger, als der Frau deiner Träume
ihre Träume erfüllen. Hier war nun schon mal ein Traum, der ohne mich
stattfinden musste.
Der höchste Berg Deutschlands. 2.962 Meter. Wie kam sie auf so was?
Natürlich, rein körperlich ist sie eine leichtfüßige Bergziege, ich ein
schwergewichtiges Holsteinrind. Die Zugspitze! Ein solches Vorhaben
bedeutet jahrzehntelange Vorbereitung. Intensives Training, erhebliche
Gewichtsreduktion. Warum sollte ihr Lebenstraum solch grausame Folgen für
mein Leben haben?
Ich fragte: „Da willst du rauf?“ Sie nickte begeistert. „Donnerwetter“,
sagte ich, als hätte sie den Weg bereits bewältigt.
Drei Jahre später lerne ich Martl Jung kennen, Bergsteiger, Bergführer,
Barfußwanderer und Schriftsteller („Oh Sohle mio“).
Ich sage: „Meine Freundin träumt davon, auf die Zugspitze zu gehen.“
„Des ko ma scho macha.“ „Und wenn ich mitgehen wollte?“ Ohne Zögern sa…
der Martl: „Bernd, des schaffst du aa.“
August 2020. Nur neun Monate danach. Ich bin plötzlich trainiert,
schwimmbadgestählt und sagenhafte neun Kilo leichter, für die ich insgesamt
aber ganz sicher 17 Kilo abgenommen habe. Dann steige ich mit ihr, geführt
vom Martl, auf die Zugspitze. Er immer vor, die Meine hinter mir. Ich bin
zuständig für die Pausen, was mir gut gelingt. Ein Bergabenteuer in drei
Tagen mit zwei traumhaften Hüttenübernachtungen. Unser Aufstieg endet am
dritten Tag nach 1.600 Höhenmetern auf der Aussichtsplattform der
Zugspitze.
## Ned bei uns
Auf den letzten 200 Höhenmetern gibt es einige heikle Passagen und man kann
theoretisch links nach Österreich, rechts nach Deutschland abstürzen. Unser
Bergführer sagt aber eindeutig: „Naa, des is no koa Klettern ned. Ned bei
uns!“
Dann sind wir oben. Nach der Einsamkeit der Berge und den Anstrengungen des
Aufstiegs ein Kulturschock: Hunderte im Selfiewahn vorm Gipfelkreuz, die
sich ohne jeden Schweißtropfen hier haben hochgondeln lassen.
Aber dann passiert das Zugspitz-Wunder – durch mich! Angekommen zeigt der
Schweißrand meines T-Shirts exakt die Silhouette der Berge vom
Jubiläumsgrat, also Zugspitze zur Alpspitze und weiter, aus Richtung
Mittenwald gesehen. Martl erkennt es sofort und fällt auf die Knie. In der
Folge kommt es auf der Besucherplattform zu spontanen Anbetungen des
Schweißrands durch Angehörige verschiedenster Nationen. Strittig ist nur,
ob mein T-Shirt als Reliquie ersten oder zweiten Grades zählt.
Nun bin ich zurück. Allerdings glaubt mir niemand, dass ich oben war. Alle
Fotos werden als Fake bezeichnet! Egal, ich habe diesen Aufstieg nicht für
die Zweifler gemacht.
16 Sep 2020
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
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Gipfel
Bergsteigen
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Schwerpunkt Coronavirus
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