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# taz.de -- Konsequenzen im Fall Nawalny: Unschuldsvermutung mit Grenzen
> Der Mordversuch am Oppositionellen Nawalny könnte unaufgeklärt bleiben.
> Dennoch verdient Russland Strafe – denn dem Kreml ist egal, wer ihn
> vergiftet hat.
Bild: Russischer Oppositioneller Nawalny im Jahr 2019
Hoch im Kurs steht die Unschuldsvermutung. Wer Konsequenzen für Russland im
Fall Nawalny ablehnt, argumentiert in diesen Tagen bevorzugt mit den
Grundsätzen des Rechtsstaats. Erst mal abwarten, wer den Oppositionellen
denn zu ermorden versucht hat, [1][meint beispielsweise
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch]. „Für viele steht fest, was passiert
ist, für mich nicht“, sagte er.
Erst ermitteln, dann bestrafen: An diesem Anspruch ist natürlich etwas
dran. Die Reihenfolge entspricht nicht nur dem allgemeinen
Gerechtigkeitsempfinden. Sie kann auch noch juristisch relevant werden,
wenn sich die Betroffenen etwaiger Sanktionen vor Gericht gegen ihre
Bestrafung wehren.
Einen entscheidenden Punkt blenden Bartsch und Co allerdings aus. Die
Unschuldsvermutung funktioniert nur unter der Maßgabe, dass sich der Staat
ernsthaft darum bemüht herauszufinden, wer für ein Verbrechen
verantwortlich ist. Für Mordermittlungen im sibirischen Omsk ist aber nicht
das Polizeipräsidium Berlin zuständig, sondern der russische Staat.
Und dieser Staat, der eben kein Rechtsstaat ist, wird diese
Aufklärungsarbeit nicht leisten. Das lehrt die Erfahrung aus früheren
Fällen, und das haben russische Offizielle mit ihrem demonstrativen
Desinteresse am Fall Nawalny auch diesmal wieder klargemacht.
Die Täter*innen werden also unbekannt bleiben. Das ist schwer erträglich,
geht es doch mutmaßlich um einen Mordversuch unter Anwendung einer
international geächteten Chemiewaffe. Der Ausweg aus dem Dilemma: Nicht der
Attentäter selbst wird bestraft, sondern diejenigen, die sich nicht darum
kümmern, ihn zu ermitteln. Der russische Staat muss nicht dafür
Konsequenzen spüren, dass er Nawalny töten wollte. Er muss dafür
Konsequenzen spüren, dass ihm egal ist, wer Nawalny töten wollte.
## Zweite Untersuchung wäre hilfreich
Und die Bundesregierung? Sie darf dem Kreml keine Gelegenheit bieten, von
der eigenen Untätigkeit abzulenken. Seit zwei Wochen wartet die russische
Staatsanwaltschaft auf die Antwort auf ihr Rechtshilfeersuchen an die
Bundesrepublik. Das ist für solche Ersuchen vielleicht kein ungewöhnlich
langer Zeitraum.
Der Fall Nawalny ist aber auch kein gewöhnlicher Kriminalfall. Mit den
eigenen Erkenntnissen so schnell wie möglich so transparent wie möglich
umgehen: Damit könnte Berlin der russischen Regierung den Wind aus den
Segeln nehmen. Helfen würde es auch, die Nawalny-Proben von zweiter Stelle
auf Nowitschok untersuchen zu lassen. Nicht vom russischen Staat, sondern
von der zuständigen Anti-Chemiewaffen-Organisation OVCW. Und nicht erst
nächste Woche, sondern am besten schon heute.
7 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/int/202009/07/nawalny-eu…
## AUTOREN
Tobias Schulze
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