# taz.de -- Pfarrer wird rehabilitiert: Späte Reue | |
> Der schwule Pfarrer Friedrich Klein wurde während der NS-Zeit verfolgt. | |
> Nun hat die erste Landeskirche ihre Mitschuld anerkannt. | |
Bild: Gottesdienst für verfolgten Pfarrer Klein in der Immanuelkirche in Prenz… | |
Lothar Dönitz ist aufgeregt. Über dem Mundschutz in Regenbogenfarben | |
verraten feuchte Augen, wie viel dem 77-Jährigen dieser Abend bedeutet. „Es | |
ist ein besonderer Tag“, sagt der schwule Aktivist am Dienstag im Altarraum | |
der evangelischen Immanuelkirche in Prenzlauer Berg, in der sich etwa 100 | |
Gäste versammelt haben. | |
Zusammen mit anderen aus dem „Gesprächskreis Homosexualität“ ist Dönitz | |
gekommen um dabei zu sein, wenn seine Kirche [1][erstmals ihre Mitschuld | |
anerkennt] an der Verfolgung eines schwulen Pfarrers im Nationalsozialismus | |
– und ein Versprechen abgibt, auch weitere Fälle aufzuklären. Seit 1982 | |
trifft sich der Ostberliner „Gesprächskreis Homosexualität“ in der | |
benachbarten Advent-Zachäus-Gemeinde. Seit 2018 die Entlassung des Pfarrers | |
Friedrich Klein aufgrund des „Homosexuellenparagrafen“ 175 durch einen | |
Zufallsfund in den Kirchenakten bekannt wurde, setzt sich die Gruppe für | |
die Aufarbeitung ein. | |
Nach über 75 Jahren ist es so weit. „Der Entzug der Ordinationsrechte von | |
Pfarrer Friedrich Klein am 20. Januar 1943 durch das Konsistorium wird als | |
Unrecht anerkannt und für nichtig erklärt“, verkündet Christian Stäblein, | |
Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz | |
(EKBO), feierlich während des Gottesdienstes. | |
Wenn auch wenig über ihn bekannt ist – nicht einmal ein Foto ist | |
überliefert – lässt sich am Leben Friedrich Kleins viel lernen über die | |
evangelische Kirche in der NS-Zeit. Klein, 1905 im Saargebiet geboren, wird | |
nach seinem Theologiestudium 1933 Mitglied der NSDAP – und der | |
rassistischen und antisemitischen Gruppe „Deutsche Christen“ (DC). Die DC | |
bringt ihn auch nach Prenzlauer Berg. Denn die dortige, stramm braune | |
Immanuelgemeinde sucht einen deutschnationalen Nachfolger für ihren 1935 | |
verstorbenen, unbequem widerständigen Pfarrer Walter Häfele. Doch in Berlin | |
entfremdet sich Friedrich Klein von den Nazi-Christen. 1937 kommt Johannes | |
Schwartzkopf (1889–1968) als Pfarrer an die Immanuelkirche. Der gehört der | |
oppositionellen Bekennenden Kirche an und setzt sich für in der NS-Zeit | |
Verfolgte ein. Friedrich Klein, so berichtet der heutige Pfarrer Mark | |
Pockrandt im Gottesdienst, habe Schwartzkopf dabei unterstützt. | |
## An der Front gestorben | |
Auch diese Abtrünnigkeit mag zu Kleins Verfolgung als Homosexuellen geführt | |
haben. Im Juni 1941 wird der Pfarrer Kriegsdienst eingezogen, arbeitet in | |
einer Abhörstation. Im Dezember dann wird er wegen „widernatürlicher | |
Unzucht“ mit dem 19-jährigen Unteroffizier Karl-Heinz Scheuermann verhaftet | |
und 1942 schließlich zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Kirche folgt dem | |
Nazi-Urteil und lässt Klein fallen. Im Juli 1944 wird die Gefängnisstrafe | |
zur Bewährung im Fronteinsatz ausgesetzt. Klein ist vermutlich schon wenige | |
Tage nach seinem Einsatz an vorderster Front im Raum Leningrad ums Leben | |
gekommen. | |
Auch über den NS hinaus habe die Kirche bei der Verfolgung und | |
[2][Diskriminierung Homosexueller] mitgemacht, erklärt Bischof Stäblein am | |
Dienstag reuig. Kleins kirchliche Rehabilitierung erfolgt 18 Jahre nachdem | |
der Bundestag 2002 alle 175er-Urteile aufgehoben hatte. In den letzten | |
Jahrzehnten habe es jedoch eine Kehrtwende bei den Berliner | |
Protestant*innen gegeben, so der Bischof. „Wir sind eine Institution, die | |
ihre Schuld anerkennt und sich in neuer Weise homosexuellen Menschen | |
zuwenden möchte.“ | |
Weitere Fälle von kirchlichen Entlassungen und Nicht-Einstellungen, von | |
denen aber im Gebiet der EKBO noch keine weiteren bekannt seien, sollen | |
wissenschaftlich aufgearbeitet werden, berichtet die landeskirchliche | |
Beauftragte für Erinnerungskultur, Marion Gardei, am Rande des | |
Gottesdienstes. Im Sommer 2021 soll eine grundsätzliche theologische | |
Erklärung zu queerem Leben folgen. | |
## Im Kern geht es um Antifaschismus | |
Für die Pfarrerin Silke Radosh-Hinder ist der begonnene | |
Aufarbeitungsprozess ein notwendiges Signal weit über Berlin hinaus, denn | |
d[3][ie Gewalt gegen queere Menschen nehme wieder zu]. „Es ist ein Zeichen | |
an die Landeskirchen, in denen die Situation queerer Menschen schlechter | |
aussieht.“ Am Rande des Gottesdienstes setzt sie antifaschistisch gesinnt | |
hinzu: „Nie wieder!“ | |
Auch Lothar Dönitz geht es im Kern um Antifaschismus: „Ich bin sehr | |
berührt, dass der Bischof in seiner Predigt beides aufgegriffen hat. Den | |
Weltfriedenstag, der am 1. September begangen wird, und den Paragrafen 175, | |
der am 1. September 1935 von den Nazis verschärft wurde“, erklärt er beim | |
Verlassen der Kirche. „Das gehört zusammen.“ | |
2 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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