# taz.de -- Auf in die „neuen Länder“: Westbesuch auf Kruzifix-Safari | |
> Was soll man im Coronasommer machen, wenn Capri und Provence nicht zu | |
> haben sind? Genau, man tourt durch die „neuen Länder“. | |
Bild: „Ich hab mich bis zu diesem Gespräch noch nie gefragt, was kreuzmäßi… | |
Juhu, der Mann und ich hatten Westbesuch. Nette Menschen aus Bayern | |
[1][hielten es im Coronasommer] für eine gelungene Idee, einmal die | |
ostdeutschen „neuen Länder“ zu besuchen. Was soll man auch machen, wenn | |
Capri und die Provence nicht zu haben sind. Ostdeutschland – na ja, man | |
muss nehmen, was man kriegen kann. | |
Nachdem unsere Freunde also eine Woche durch die Uckermark und Vorpommern | |
gestromert waren, machten sie auf dem Heimweg ins Bayerische noch für einen | |
letzten Abend Rast in unserem Brandenburger Habitat. Erholt schauten sie | |
aus. Und ja, sie hatten richtig was erlebt. Waren in klaren Seen | |
geschwommen und durch Buchenwälder gewandert. Waren über top ausgebaute | |
weitgehend leere Radfernwege gekurvt und hatten das ostdeutsche | |
Gastrogewerbe kennengelernt. | |
Interessanter Erkenntnisgewinn: Im Osten, hatten sie erstaunt festgestellt, | |
sieht man keine Kreuze. Keine kleinen geweißelten Kapellen am Wegesrand. | |
Keine Kreuze an Hausgiebeln, außer natürlich an Kirchen. Kein Kruzifix wie | |
bei ihnen daheim im Münchner Hausdurchgang, an dem ein bräunlich blutender | |
Jesus die jüngsten Hausbewohner auf ihren Lauflernrädern erschreckt. | |
Die einzigen Kreuze, derer sie bei ihren Erkundungen ansichtig geworden | |
seien, erzählten sie uns, wären die im Straßengraben gewesen. Einfache | |
Holzkonstruktionen, auf deren Querholz viel zu oft die Namen junger | |
VerkehrsteilnehmerInnen gestanden hätten. Abgesehen davon – kein Kreuz | |
nirgends. | |
## Religiosität ist privat | |
Offen gestanden habe ich mich bis zu diesem Gespräch noch nie gefragt, was | |
kreuzmäßig so geht in Ostdeutschland. Wenn wir unbedingt Kreuze sehen | |
wollen, gehen wir in eine Kirche in unserer Gegend oder wir ziehen eine | |
Bibel aus dem Regal. Religiosität ist komplett privat. Ebenso kleine | |
Gedenkstellen für verunglückte Angehörige – in welcher Form auch immer. | |
Als unsere Freunde sich tags darauf gen Bayern verabschiedet hatten, ging | |
mir die Kreuzsache nicht aus dem Kopf. Spricht die Unsichtbarkeit dieses | |
christlichen Symbols wieder mal gegen den Osten? Sind wir hier alle gottlos | |
und deshalb ein bisschen rauher in Ton und Umgang? Oder ist es umgekehrt? | |
Ich kam mit mir selbst überein, dass ich die ostdeutsche Kreuzarmut okay | |
finde. Soll doch jedeR nach seiner oder ihrer Fasson selig werden, wie es | |
Friedrich zwo Mitte des 18. Jahrhunderts gesagt hat. | |
Dunnemals hatte der Preußenkönig in Brandenburg die Religionsfreiheit | |
gewährt. Und das hat uns – und vor allem jenen, die wegen ihres Glaubens | |
verfolgt wurden, – nicht geschadet. Um mal im Sprachbild zu bleiben: Weiß | |
Gott nicht geschadet. Wenn ich mich an Wallfahrtskirchen erfreuen möchte, | |
an Heiligenbildern und geweißelten Kapellen an Weggabelungen, komme ich | |
gerne „rüber“ in den Westen. Ich nehme dann die einstige Transitstrecke | |
Richtung München und auf der A9 am Hirschberg hupe ich kurz. | |
1 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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