Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Osnabrücker Ausstellung „Enttäuschung“: Verhoben am großen A…
> Die neuen Leiterinnen der Kunsthalle Osnabrück wollen Hemmschwellen
> abbauen. Mit ihrer Auftakt-Ausstellung „Enttäuschung“ gelingt genau das
> nicht.
Bild: Thema Selbstversorgung: Rosalie Schweiker hat einen Hühnerhof im Innenho…
Osnabrück taz | Barrierefreiheit. Anna Jehle und Juliane Schickedanz sagen
dieses Wort gern. Seit Anfang 2020 leiten sie die Kunsthalle Osnabrück, und
seither betonen sie, wie wichtig es ihnen ist, Hemmschwellen abzubauen.
Ihr Ausstellungsprojekt „Enttäuschung“, ihr Auftakt im neuen Job, weckt
jedoch Zweifel, ob das stimmt. Website, Flyer, Reader, Lageplan und Plakat
errichten eine Blockade, die so abschreckend ist wie die Eismauer, die in
Game of Thrones die Sieben Königslande von den Wildlingen trennt:
Design-Snobismus mündet in Dysfunktionalität. Endlose Textwüsten erstrecken
sich vor uns in unterschiedlichsten Schriftarten und -größen, durchsetzt
von sinnfreien Grafikelementen. Jede Information will gesucht, enträtselt,
erkämpft werden. Ermüdend ist das, verwirrend. Gedankensplitter wie
„implodierendes Konglomerat ohne Artgrenzen“ spreizen sich, und wer nicht
mindestens einen Dr. phil. auf der Visitenkarte hat, hat es schwer.
Gut, zumindest online lässt sich das Design-Geflirre ausschalten und eine
Option auf leichte Sprache an, aber viel hilft das nicht. „Es geht uns
nicht darum, ein Ort leichter Konsumierbarkeit zu sein“, sagt Juliane
Schickedanz. „Wir zeigen dadurch, dass unser Haus in Sachen
zeitgenössischer Gestaltung mitspielen kann.“ Vor Osnabrück war sie, wie
Jehle, in Leipzig. Fun Fact am Rande: Der dortige „Verein für
zeitgenössische Kunst“ führt beide als „Friendly Fire“ – was sich nur
jemand ausgedacht haben kann, der nicht weiß, was das im Nato-Jargon
bedeutet: den irrtümlichen Beschuss von Streitkräften der eigenen Seite.
Ein Dreivierteljahr hat die Vorbereitung von „Enttäuschung“ gedauert.
„Potenziale der kritischen Gewahrwerdung“ beleuchten Schickedanz und Jehle
darin, und wenn sie darüber reden, klingt das oft ziemlich apodiktisch.
Fangen wir mal bei den 15 Hühnern der „Crisis Communication“ an. Ein
Bretterhäuschen hat Rosalie Schweiker ihnen in den Innenhof der Kunsthalle
gestellt, umgeben von 70 Kubikmetern apokalyptisch nackter Erde. Irgendwas
über Selbstversorgung soll uns das sagen, über das „Zusammenleben in der
Gemeinschaft“. Strohballen stapeln sich in der Kunsthalle,
Futtermittelsäcke, daneben stehen Gummistiefel, Besen, Schaufeln. Alle paar
Schritte stößt der Betrachter auf kniehohe Klumpen aus Pappmaché und
Hühnerdraht, angeblich Wegweiser, auf denen, sehr zu Recht, Sachen stehen
wie „WTF is this?!?“. Alle paar Schritte erwartet uns ein Türmchen aus
Zetteln, und wer von allen ein Exemplar mitnimmt, mit viel Text drauf
natürlich, Dialogfetzen wie „Wir existieren, um abzulenken“ etwa, kann sie
sich am Ende zusammenleimen lassen.
Wer am Eingang keinen Lageplan mitnimmt, ist verloren. Wo welche
Präsentation beginnt und endet, wie sie heißt, von wem sie stammt, was sie
bezweckt, ist in der Halle selbst nirgendwo notiert. Aber auch wer ihn
mitnimmt, kommt ins Grübeln, und das nicht produktiv. Position 15, der
Trailer zu Jovana Reisingers Videoserie „Men in Trouble“? Falsch
eingezeichnet. Der Ausgang? Gar nicht eingezeichnet. Ärgerlich.
Reisingers rosafarbenes Film-Set, dessen vier Meter hohes Obergeschoss die
Fenster des mittelalterlichen Kirchenschiffs, das den Hauptraum der
Kunsthalle bildet, spannenderweise wie Türen wirken lässt, ist ein
Eyecatcher: Riesige Treppen, Glitzervorhänge, Scheinwerfer, durchsichtiges
Gestühl. Sechs Episoden für Reisingers Talkshow „Men in Trouble“ werden
hier gedreht – es geht um Geschlechterrollen, Machtmissbrauch,
Schönheitsstandards, Intoleranz. Ohne rosafarbene Schuhüberzieher hat
niemand Zutritt, und wer sie sich eigenhändig überstreifen will, muss
ziemlich insistieren. In der dunklen, labyrinthischen Unterwelt des
Gerüstmonsters laufen ältere Filme von Reisinger. Aus denen lernen wir
dann, zum Beispiel, dass Frausein eine „klaffende Wunde“ ist.
Und dann sind da noch David Polzins Sitzmöbel der Installation „Ossi
Osnabrück“, zu Dutzenden auf Regale gereiht wie in einem Museumsmagazin –
teils leider so hoch, dass man sie nur von unten sieht. Angeblich geht es
bei ihnen um eine „Erinnerung an die ehemalige DDR“, um die
Marginalisierung ihrer Designgeschichte durch den Westen, eine, wie Polzin
sagt, „Enttäuschung mit der Wiedervereinigung“.
In Wahrheit ist alles fake, auch die Designernamen. Klar: Skurrilitäten,
auf denen niemand sitzen kann, Beschriftungen wie „echte, nachempfundene
Replika“ signalisieren: Wer dies betrachtet, braucht Sinn für Ironie. Aber
warum dann zugleich diese angebliche deutsch-deutsche Bedeutungsschwere?
Eine Aussage „auch über Machtstrukturen“ sei das, sagt Polzin. Dass die
Regale „ganz bewusst schlampig“ zusammengefrickelt sind, sei künstlerische
Absicht, sagt Schickedanz, und nicht dem Umstand geschuldet, dass sie zwei
Tage vor Eröffnung noch nicht fertig waren.
Interdisziplinär werde ihr neues Programm sein, prozessual, kollaborativ,
sagen Schickedanz und Jehle. Gut, das hat es auch schon unter ihrer
Vorgängerin Julia Draganović gegeben, heute Direktorin der Villa Massimo in
Rom – und unter Draganovićs Vorgänger André Lindhorst, ohne den es die
Kunsthalle nicht gäbe. „Wir setzen den guten Weg mit neuen Akzenten fort“,
sagt Stadtrat Wolfgang Beckermann, zuständig für Kultur. So hatte es sich
auch schon bei Draganovićs Dienstantritt angehört, 2013. Sichtbarkeit
erhöhen, Profil schärfen. Was man eben so sagt bei solchen Gelegenheiten.
„Enttäuschung“ bringt sich selbst zu Fall: Der Anspruch ist so übergroß,
dass die reale Wirkung dagegen verblasst. Bleibt die Frage, warum das halbe
Kirchenschiff leer ist. Vielleicht für die Lesungen und Vorträge, für
Workshops zu Themen wie Latex-Suppe, Bodyhacking, Unfit Make-Up?
Damit „Enttäuschung“ nicht allzu statisch wirkt, wird Polzin Mitte Oktober
gegen Mickey Yang ausgetauscht, Yang Anfang Dezember gegen Aleksandra
Domanović. Schweikers Hühnerhof allerdings hält die volle Laufzeit durch,
ebenso wie Reisingers rosafarbene Bühne.
Über Rechtspopulismus und Religion schreiben Jehle und Schickedanz in ihrem
Reader zu „Enttäuschung“ essayistisch, über Neoliberalismus und
Klimawandel, Kapitalismus und Corona, Feminismus und schablonenhafte
Repräsentationspolitik. Wer all das in „Enttäuschung“ zu finden versucht,
hat es schwer.
1 Sep 2020
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Bildende Kunst
zeitgenössische Kunst
Osnabrück
Installation
Videokunst
Medienkunst
Felix Nussbaum
## ARTIKEL ZUM THEMA
European Media Art Festival in Osnabrück: Kunst nur für Durchblicker
Die Ausstellung „Trembling Time“ ist das vielgliedrige Herzstück des
diesjährigen European Media Art Festivals – und gibt sich äußerst
abweisend.
Museumsdirektor über das Möglich-Machen: „Kunst muss mir Welten eröffnen“
Nils-Arne Kässens ist Dozent, Kurator und Regisseur – und seit knapp drei
Jahren Direktor des Museumsquartiers Osnabrück.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.