# taz.de -- Köfte in weiter Ferne: Der Corona-Hunger | |
> Endlich ging ich mal wieder ins Restaurant, um mein Lieblingsessen zu mir | |
> zu nehmen. Aber der Kellner wollte mir etwas anderes verkaufen. | |
Bild: Restaurant-Besuch in Corona-Zeiten: Keine Köfte, dafür Papier | |
Nach vielen Monaten gehe ich endlich mal wieder ins Restaurant, um meine | |
geliebten Köfte, Reis und Bohnensuppe zu essen. Nichts nehme ich Corona | |
mehr übel, als dass es mich von meinem Köfte und meiner Bohnensuppe | |
getrennt hat. | |
Der neue Kellner bringt mir die Menükarte. „Sie können die Menükarte wieder | |
mitnehmen. Ich weiß noch alles aus dem Kopf. Die Nummer 18, Bohnensuppe und | |
die Nummer 45, Köfte aus dem Lehmofen mit Reis, bitte.“ | |
„Das ist keine Menükarte, mein Herr. In dieses Heft tragen Sie Ihre Daten | |
ein, damit die Gesundheitsbehörde Sie sofort schnappen kann, falls Sie die | |
Leute hier mit Corona infizieren.“ | |
„Ich hab doch kein Corona!“ | |
„Das sagen alle. Aber es wurden schon mehrmals Leute von hier direkt ins | |
Krankenhaus deportiert, nur weil sie in Ruhe zwei Köfte essen wollten.“ | |
„Kriege ich denn nur zwei Köfte?“ | |
„Nein, fünf. Das war bloß eine Metapher, um Ihnen die Dramatik der | |
Situation bewusst zu machen“, spricht er und lässt mich mit der großen | |
Dramatik alleine. Für fünf Köfte zwei Wochen Quarantäne ist natürlich sehr | |
happig. Wenn die Köfte wenigstens umsonst wären. | |
Fünf Minuten später ist er wieder da. | |
„Geben Sie bitte die Menükarte her. Ich werde mich vollstopfen, damit die | |
Quarantäne sich lohnt.“ | |
„Das ist nicht die Menükarte, mein Herr, sondern eine Versicherungspolice, | |
für den Fall, dass Sie die Quarantäne nicht lebend verlassen.“ | |
„Das alles wegen fünf Köfte?“, jammere ich mit knurrendem Magen. „Was | |
kostet denn die Versicherung?“ | |
„60 Euro. Dafür würden Ihre Waisenkinder ein Jahr lang monatlich 200 Euro | |
bekommen.“ | |
„Ich kann mit leerem Magen nicht richtig denken. Bitte bringen Sie endlich | |
mein Essen“, flehe ich ihn an. Er reicht mir die Menükarte. | |
„Ich hab doch schon bestellt!“ | |
„Das ist keine Menükarte, mein Herr. Hier erklären Sie sich mit Ihrer | |
Unterschrift einverstanden, nicht gegen unser Lokal zu klagen, falls wir | |
Sie mit Corona infizieren.“ | |
„Okay. Geben Sie her. Ich sterbe vor Hunger!“ | |
„Apropos Sterben. Dafür habe ich dieses Formular hier. Ihre Familie darf | |
uns auch nicht verklagen, falls Sie Ihre Coronaerkrankung nicht überleben | |
sollten.“ | |
„Darf meine Familie Sie denn verklagen, wenn ich jetzt vor Hunger | |
krepiere?“ | |
Sofort zaubert er eine neue Versicherungspolice hervor. | |
„Wenn Sie einmalig 100 Euro bezahlen, würde Ihre arme Familie bei Ihrem | |
Ableben ein Jahr lang monatlich 200 Euro bekommen.“ | |
„Das ist ja ein Superangebot“, knurrt mein Magen. Ich unterschreibe und | |
sterbe. | |
16 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Osman Engin | |
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