Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Libanon nach der Explosion: Regierung tritt zurück
> Schon wieder schmeißt Libanons Regierung das Handtuch: Nach der
> Detonation in Beirut ist das Kabinett von Hassan Diab geschlossen
> zurückgetreten.
Bild: War keine sieben Monate im Amt: Hassan Diab
Berlin taz | Nach der schweren [1][Explosion am vergangenen Dienstag auf
dem Hafengelände in Beirut] ist die gesamte Regierung des libanesischen
Ministerpräsidenten Hassan Diab am Montag zurückgetreten. Diab wandte sich
am Abend in einer Ansprache an die LibanesInnen. Die Missstände im Staat
seien so gravierend, dass seine Regierung demgegenüber ohnmächtig sei. Die
Explosion stellte er als Folge von korrupten Machenschaften dar.
Sein Regierungsteam verteidigte er gegen Vorwürfe und griff eine seinen
Worten zufolge korrupte, politische Elite scharf an – ohne allerdings Namen
zu nennen. „Ihr Geruch ist überall“, so Diab, „sie haben alle ihre Waffen
gegen uns eingesetzt.“ Sie verhinderten den Wandel, den die LibanesInnen
verlangten und den seine Regierung versucht habe einzuleiten.
Zuvor hatte am Montag bereits Justizministerin Marie Claude Najm ihren
Rücktritt eingereicht. Sie halte „ohne grundlegende Änderung des Systems“
keine Reformen für möglich, begründete sie ihre Entscheidung. Berichten
zufolge hatten weitere MinisterInnen ihren Rücktritt geplant, als das
ursprünglich zwanzigköpfige Kabinett am Nachmittag dann in einer
Sondersitzung den gemeinsamen Rücktritt beschloss. Bis zur Bildung einer
neuen Regierung bleibt das bisherige Kabinett geschäftsführend im Amt.
Die Zahl der Toten infolge der Explosionskatastrophe stieg unterdessen auf
über 200, Dutzende Menschen würden noch vermisst, wie verschiedene Medien
am Montag unter Berufung auf den Gouverneur Beiruts, Marwan Abud,
berichteten. Während die Explosion vor allem wohlhabende Stadtteile der
libanesischen Hauptstadt verwüstete, sind unter den Toten und Vermissten
Abud zufolge viele ausländische ArbeiterInnen.
Der Rücktritt der Diab-Regierung hatte sich in den vergangenen Tagen
abgezeichnet. Am Sonntag waren bereits der Umweltminister sowie die
Informationsministerin zurückgetreten. Am Montag vergangener Woche – einen
Tag vor der Explosion – war zudem auch der [2][Außenminister] aus dem
Kabinett ausgeschieden.
## Protest nicht nur gegen Diab-Regierung
Doch die politischen Folgen der Katastrophe beschränken sich nicht auf die
Regierung. Bis Montag waren auch neun Abgeordnete des Parlaments in Beirut
aus Protest zurückgetreten. Mit diesen Entwicklungen kündigen sich für den
Libanon bewegte Zeiten an, möglicherweise kommt es auch zu einer
vorgezogenen Neuwahl des Parlaments, für die sich Diab bereits am Samstag
ausgesprochen hatte.
Der Druck auf [3][Diab und seine Regierung, die erst seit Januar im Amt
war], war zuletzt groß – nicht zuletzt auch wegen der Wiederaufnahme von
Massenprotesten. Am Samstag und Sonntag hatten mehrere Tausend Menschen aus
Wut über die Explosion im Stadtzentrum Beiruts gegen Korruption,
Misswirtschaft und Inkompetenz protestiert, die sie für den Zustand des
Landes wie auch für die Katastrophe vom Dienstag verantwortlich machen.
Dabei richteten sich die Demonstrierenden nicht nur gegen die
Diab-Regierung, sondern explizit gegen die gesamte politische Elite des
Landes. Pappfiguren, die namhafte Politiker darstellten, wurden symbolisch
an Galgen aufgehängt, darunter auch der Führer der einflussreichen
schiitischen Hisbollah, die als politische Partei auch an der
Diab-Regierung beteiligt war. Im vergangenen Herbst erst hatten
vergleichbare Proteste zum Rücktritt der Regierung von Diabs Vorgänger Saad
Hariri geführt.
## Monatelanges Ringen um Einfluss
Nun steht das Land wieder vor einem monatelangem Ringen um Einfluss und
Macht. Nach der letzten Wahl im Mai 2018 hatte es neun Monate gedauert,
[4][bis sich die verschiedenen Fraktionen auf eine Regierung und einen
Ministerpräsidenten geeinigt hatten]. Dem war eine zweieinhalbjährige
Hängepartie vorausgegangen, in der um das Amt des Staatspräsidenten
gerungen worden war, das nun der einflussreiche christliche Politiker und
ehemalige Kriegsherr Michel Aoun bekleidet. Auf ihn wird nach dem
Regierungsrücktritt in den kommenden Monaten das Augenmerk gerichtet sein.
Indes ist nicht zu erwarten, dass sich die Demonstrierenden mit dem
Rücktritt der Diab-Regierung zufrieden geben werden. Viele scheinen nach
der Explosion noch entschlossener zu sein als zuvor. Schon seit Oktober
fordern sie den Rückzug der gesamten alteingesessenen politischen Klasse,
die sie für Korruption und Misswirtschaft verantwortlich machen.
Ihr [5][Protestmotto „Alle heißt alle“] brachte die Forderung nach einem
neuen politischen System mitsamt neuer Führung zum Ausdruck, darunter auch
ein von vielen gefordertes neues Wahlgesetz und die Reform des
konfessionellen Systems, in dem Ämter nach Religionszugehörigkeit vergeben
werden.
Zudem ist die Diab-Regierung mitnichten allein verantwortlich für die
Katastrophe von Beirut. Die 2,7 Millionen Kilogramm Ammoniumnitrat, die am
Dienstag offenbar explodierten, [6][lagerten bereits seit 2013 im Hafen] –
also lange vor Amtsantritt der Diab-Regierung im Januar 2020. Was die
Explosion auslöste und warum das Material trotz Warnungen nicht entfernt
wurde, ist bislang ungeklärt.
Für eine vorgezogene Neuwahl sprach sich am Montag vor dem
Regierungsrücktritt auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) aus, der
ursprünglich am Mittwoch zu Gesprächen nach Beirut reisen wollte, um sich
für Reformen einzusetzen. Eine Neuwahl sei „das Mindeste, was die
Bevölkerung erwartet“, sagte Maas in einem Radiointerview.
10 Aug 2020
## LINKS
[1] /Nach-Explosion-in-Beirut/!5700273
[2] /Krise-im-Libanon/!5700056
[3] /Neue-Regierung-im-Libanon/!5656682
[4] /Libanon-hat-eine-neue-Regierung/!5569855
[5] /Massenproteste-im-Libanon/!5636622
[6] /Explosion-in-Beirut/!5700400
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Libanon
Hassan Diab
Beirut
Schwerpunkt Korruption
Libanon
Libanon
Libanon
Hassan Diab
Protest
## ARTIKEL ZUM THEMA
DJ Rabih Beaini zu Explosion in Beirut: „Libanons BürgerInnen aufrütteln“
Die Proteste nach der Explosion in Beirut gingen von der Kulturszene aus.
Der DJ Rabih Beaini über Korruption und Wiederaufbau in seinem Heimatland.
Libanon nach der Beirut-Katastrophe: Regierungskrise nach der Explosion
Im Libanon beginnt die Suche nach einem Ministerpräsidenten. Im Gespräch
ist ein derzeitiger Richter am Internationalen Gerichtshof.
Nach Rücktritt der Regierung: Libanons vollkommene Krise
Ein neues Kabinett bringt im Libanon keine Lösung, der desolate Zustand des
Landes wurzelt tiefer. Viele Menschen wollen einen echten Wandel.
Politologe über Neuwahlen im Libanon: „Ihre Anhänger sind zahlreich“
Die Eliten sind besser organisiert als die Demonstrant*innen, die in Beirut
einen Systemwechsel fordern, glaubt Politologe Bassel Salloukh
Proteste in Beirut: „Samstag der Rache“
Nach Massenprotesten in Beirut schlägt Libanons Ministerpräsident Diab
Neuwahlen vor. Bis der Modus dafür klar ist, will er im Amt bleiben.
Nach der Explosion in Beirut: Zusammen fegen
Vor allem junge Menschen kommen in die zerstörten Viertel Beiruts, um
aufzuräumen. Aus Trauer wird Wut auf den Staat. Zerbricht der Libanon?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.