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# taz.de -- Politologe über Neuwahlen im Libanon: „Ihre Anhänger sind zahlr…
> Die Eliten sind besser organisiert als die Demonstrant*innen, die in
> Beirut einen Systemwechsel fordern, glaubt Politologe Bassel Salloukh
Bild: Rauchiges Sit-in: Demonstrant am Samstag in Beirut
taz: Herr Salloukh, welchen Einfluss können Neuwahlen auf das politische
System im Libanon haben?
Bassel Salloukh: Alles hängt von der Art der Wahlen und von der Art von
Wahlgesetz ab. Wenn Ministerpräsident Hassan Diab sagt: „Ich bin bereit,
noch zwei Monate im Amt zu bleiben, um eine Vereinbarung über ein neues
Wahlgesetz zu beaufsichtigen“, dann bedeutet das nicht wirklich viel. Was
sich vielleicht ändern könnte, ist das Kräfteverhältnis zwischen den
Parteien, es wird aber keine radikale Veränderung des politischen Systems
sein.
Die Hoffnung, dass die altgedienten Parteien nicht wieder an die Macht
zurückkehren, wurde seit Beginn der Proteste im Oktober 2019 mit der
Forderung nach Abschaffung des Wahlrechts verknüpft. Wie wahrscheinlich ist
ein reformiertes Wahlgesetz?
Wir müssen sehr vorsichtig mit unseren Prioritäten sein. Den Fokus auf ein
neues Wahlgesetz zu legen spielt der sektiererischen politischen Elite in
die Hände. Denn ganz gleich, welches Wahlgesetz kommt: Ihre Anhänger sind
zahlreich und viel besser organisiert als jene, die einen Wechsel des
politischen Systems fordern.
Was die politisch-konfessionell unabhängigen Menschen in diesem Land
möchten, ist ein unabhängiges Kabinett mit zusätzlichen verfassungsmäßigen
Befugnissen. Ein Kabinett, das mit der internationalen Gemeinschaft,
insbesondere dem IWF und der Weltbank, verhandeln könnte, um sich auf
Reformen zu einigen, die den Armen in der Gesellschaft nicht schaden, aber
Korruption und die öffentlichen Ausgaben unter Kontrolle bringen und
dadurch die Tür für die Art von Finanzhilfe öffnen würden, die dem Land
helfen kann, wieder auf die Beine zu kommen.
Am Sonntag hat Frankreichs Staatschef Macron bei einer internationalen
Geberkonferenz von 36 Staaten, darunter Deutschland und die USA, um
Hilfsgelder geworben. Welchen Einfluss hat die internationale Gemeinschaft
auf das politische System im Libanon?
Es scheint mir, dass Macron auf seiner Reise nach Beirut vor ein paar Tagen
die Idee eines nationalen Einheitskabinetts unterstützt hat. Das bedeutet,
dass die sektiererische politische Elite vereint zurückgebracht wird, um
sich gemeinsam auf bestimmte Reformen zu einigen, die dazu beitragen
können, die Tür für die Hilfe von außen zu öffnen – im Gegenzug für eine
Art neuer geopolitischer Spielregeln.
Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft heute wirklich daran
interessiert ist, dass der Libanon einen weiteren Machtteilungspakt
eingeht. Wir haben von den Amerikanern und von den Franzosen gehört, dass
sie an Reformen interessiert sind, die die Wurzeln der Finanz- und
Wirtschaftskrise im Libanon betreffen: die Unabhängigkeit der Justiz, die
Eindämmung der Korruption, die Sicherstellung, dass der Staat Steuern
einnimmt.
Außerdem sind sie womöglich daran interessiert, eine Art geopolitischen
Pakt zwischen der Hisbollah und Israel auszuhandeln, wahrscheinlich unter
der Aufsicht der Amerikaner und der Franzosen, der die Situation
stabilisieren würde – vor allem in Hinsicht auf das Waffenarsenal der
Hisbollah und Israels Entschlossenheit, jede Art von Hochpräzisionsraketen
zu zerstören, die die Hisbollah besitzen könnte.
10 Aug 2020
## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
Libanon
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Hassan Diab
Protest
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