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# taz.de -- Die Kunst der Zeitungskolumne: Es lebe der Kolumnismus!
> Liebe zur Sprache, Verantwortung, Unberechenbarkeit und persönliche
> Anmaßung: vom Wesen der Zeitungskolumne.
Bild: Lieber mal die Füße kühlen, falls die Empörung über eine Kolumne zu …
Als ich heute Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in einen
deutschen Zeitungskolumnisten verwandelt. Jemand musste mich verleumdet
haben, denn ohne dass ich etwas Böses getan hätte, wurde ich haftbar
gemacht für das seelische und soziale Wohlergehen von Redakteuren,
Kolleginnen, Leser*Innen, Kommentatoren und Kommentatorinnen, Juristen und
[1][Polizistinnen]. „Wir sind angekommen“, sagte Frau N. gerade in einem
meiner verlorensten Momente.
Der Text also ward gefordert, in den wesentlichen Kategorien „deutsch“,
„Zeitung“ und „Kolumne“. Und beim Deutsch, da stock ich schon. Einersei…
bilde ich mir ein, diese Sprache, die Worte wie „obzwar“ oder
„Rentenfeststellungsbescheid“ hervorgebracht hat, vielleicht zu einem
Viertel so zu beherrschen wie der Wahnsinnige, der sie erfunden hat.
Andererseits aber ist gerade dies ein Hindernis für soziale Akzeptanz. Denn
in diesem Lande ist eine Liebe zur Sprache höchst verdächtig. Besonders
natürlich von rechts. Einen Menschen, der vor allem stolz darauf ist,
Deutscher zu sein und „Kanaken“ deshalb in höflichem SA-Stil bittet:
„Sprich erst mal deutsch, wenn du mit mir reden tust“, erkennt man an
seinem offenkundigen Hass auf die eigene Sprache.
Ich will gar nicht darauf hinaus, dass Nazis in der Regel mit Orthografie
und Grammatik, wie man so sagt, auf Kriegsfuß stehen, sondern es geht
vielmehr um die Art, wie sie dieser Sprache alles auszutreiben versuchen,
was nicht Befehl, Drohung, Waffe, Häme, Propaganda und Niedertracht ist.
Aber noch weiter verbreitet ist das Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten
der eigenen Sprache. Sprachliebe gilt hierzulande als elitär, untüchtig,
klassistisch oder abgehoben. Pauschalurteil mit leicht narzisstischer
Tendenz? Ich darf das, ich bin Kolumnist.
Bevor sie von irgendwas anderem handeln, handeln Kolumnen von der Mühe, die
sich Autorinnen und Autoren mit der Sprache machen, und bestenfalls auch
von der Freude, die dabei für sie und die Leser*innen abfällt. Dabei gibt
es offenbar zwei literarische Hauptstrategien. Die eine lädt die Adressaten
zu einem Spiel der Assoziationen, Mehrdeutigkeiten oder Engführungen ein
(Letzteres natürlich vor allem in politisch-moralischer Hinsicht), die
andere nutzt ein Rollenspiel. Das schreibende Ich als Zeitgenosse, Kumpel,
Mensch wie du und ich, Kind, Vater, Mutter, Arzt oder auch mal
Stammtischbruder/-schwester, jedenfalls, um mit Markus Söder zu sprechen:
audendisch.
Wie auch immer, eine Kolumne ist keine Information, keine Analyse und keine
Kritik. Aber wenn sie nicht auf diese drei Bausteine der Kommunikation
aufbaut, dann bleibt sie eine ziemlich leere Angelegenheit, vielleicht
sogar der Missbrauch einer in der Tat privilegierten Position. Weil
Kolumnistinnen und Kolumnisten mehr dürfen als wirkliche Journalisten,
haben sie auch eine besondere Verantwortung. Auch und gerade der Sprache
gegenüber.
Die zweite Kategorie ist „Zeitung“. Gedruckte, klassisch gegliederte
Zeitungen sind ja ein sogenanntes Auslaufmodell. In der traditionellen Form
war die Kolumne eine Methode, dem starren semantischen und methodischen
Regelwerk – Nachricht, Kommentar, Glosse; Politik, Kultur, Sport etc. – zu
entkommen. Eine Kolumnistin, ein Kolumnist darf sich nicht nur, was die
persönliche Einstellung anbelangt, etwas mehr an Freiheit herausnehmen als
die Redaktion. Dafür ist er oder sie eben auch nur ein Gast und bleibt für
sein Schreiben am Ende selbst verantwortlich. Eine Insel der Subjektivität
im Meer der, nun ja, objektiven oder wenigstens argumentierenden
Informationen. In der Kolumne darf auch von Gefühlen die Rede sein. In der
elektronischen Form der Informations- und Meinungsverbreitung gibt es keine
Kolumnen mehr – oder es gibt sozusagen nur noch Kolumnen, was in etwa auf
dasselbe hinausläuft.
Aber was, dritte Kategorie, ist das überhaupt, [2][eine Kolumne]?
Bemerkenswerterweise findet sich in der Zeitungswissenschaft, doch, die
gibt es, keine wirkliche Definition für dieses Textformat. Kolumnen können
verschärfte Formen von Kommentaren sein, sie können Expertenwissen
vermitteln, ebenso gut aber, und besonders populär, kann eine Kolumne
launige Mitteilungen aus dem Alltagsleben beinhalten, Plätzchenrezepte,
Pubertätsnöte der Kinder oder Homöopathie für Goldfische. Großmeister der
Kolumne, wie Umberto Eco, stellen unter Beweis, dass einfach alles
kolumnentauglich ist, wenn man nur akzeptieren kann, dass alles mit allem
verbunden ist, und daher die Schwierigkeit, einen geschenkten Lachs in
einem Hotelzimmer-Minibar-Kühlschrank aufzubewahren, sich zugleich
subjektphilosophisch oder historisch-materialistisch deuten lässt.
Aber gleichgültig auf welchem Niveau, in welchem Lebenssegment, mit welcher
Perspektive und Absicht, mit welchem Eros und welchem Ethos: Kolumnen
sprechen in der ersten Person Einzahl. Das birgt die Gefahr von Anmaßung
und Peinlichkeit, und es schafft Angriffsflächen für unsere derzeitige
Lieblingsbeschäftigung: die Empörung. Was wäre eine Kolumne schon wert,
wenn man nicht gleich darauf sagen dürfte, dass der oder die absolut keine
Ahnung hat und kein Recht, das zu sagen und überhaupt weggehört, weil man
nämlich sonst das Abo kündigt oder zu den Nazis geht oder nur noch Twitter
guckt. Die Guten halten’s aus, den Antikolumnismus dieser Tage.
Eine Kolumne hat etwas von einer Bußpredigt, einer Tagebuchnotiz, einem
Mini-Essay, einer Ideenskizze, einem freundschaftlichen Ratschlag, einer
Anekdote, einer Etüde, einem Work in Progress, einem Gedankenexperiment,
einem Tratsch, einem Einwurf und vielem mehr. Sie ist jedenfalls in einem
Zeitungsumfeld ein Relikt des Unberechenbaren und Offenen. Dementsprechend
mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet: Schon okay, wenn sie noch etwas
von den unruhigen Träumen enthält, die ihr vorangegangen sind.
26 Aug 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Georg Seeßlen
## TAGS
Schlagloch
Schwerpunkt Zeitungskrise
Journalismus
Kolumne Internetexplorerin
Backen
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